Ischtar-Tor, Babylon, 6. Jhdt. v. Chr. Fotos: Tamaki Yamazaki

«Mich werdet ihr niemals los!»

Ich bin mehr als 10 000 Jahre alt. Ich bin Normalo und Star. Auch die vierte industrielle Revolution werde ich locker überstehen. Dabei bin ich bloss gebrannter Lehm. Gestatten, mein Name ist Backstein.

Man bat mich um eine Autobiografie auf vier Seiten. Ein ganzes Heft könnte ich füllen! Könnten wir füllen, müsste es wohl heissen, denn wir sind soziale Steine und kommen selten allein. Mies van der Rohe sagte: «Architektur beginnt, wo zwei Backsteine sorgfältig zusammengesetzt werden.» Bis sie fertig ist, braucht es allerdings ein paar mehr. Beispielsweise hat man allein beim Anhalter Bahnhof in Berlin 16 Millionen gelbe Klinker verbaut. Klinker, das sind bis an die Sintergrenze gebrannte und darum haltbarere Backsteine. Die gelben Kollegen haben sich jedenfalls einwandfrei gehalten bis zum Bombardement 1945. Danach liess man ihre Trümmer erst links liegen, dann sprengen. Nach Kriegsende verzehnfachte sich dann die Backsteinproduktion Deutschlands auf fünf Milliarden Stück im Jahre 1953. So viel Wiederaufbau, bloss für den Anhalter Bahnhof hat es nicht gereicht? Kulturelles Unvermögen! Doch worum es eigentlich geht: Fünf Milliarden Backsteine in einem Jahr und einem Land. Überlegen Sie selbst, wie viele wir sind!

Beim Anhalter Bahnhof gab es übrigens auch Terrakotten. Das sind Verwandte aus unserer Lehmfamilie. Wie wir sind sie gebrannt, bloss plastischer. Unsere schönen Schwestern wären eine eigene Geschichte wert: zunächst als Reliefs und Skulpturen, später dann als Balken in Betondecken, um Gewicht zu sparen. Übrigens gossen schon die Römer aus demselben Grund hohle Tonvasen in ihren primitiven Beton. Auch mein Bruder, der Dachziegel, hat eine reiche Geschichte. Manche meinen, man solle nur ihn Ziegel nennen und mich konsequent Backstein. Jedenfalls könnte ich Ihnen viel erzählen: über römische Leistenziegel, holländische Pfannenziegel, Hohl- und Falzziegel und natürlich Flachziegel mit Rund-, Segment-, Spitz-, Rechteck- oder Kielbogenschnitt, einfach oder doppelt gedeckt. Aber ich darf das Heft ja nicht füllen.

 

Ischtar-Tor, Babylon, 6. Jhdt. v. Chr.

Mesopotamien: die Geburt eines Baustoffs

Seit jeher bin ich aus Lehm und Sand gemacht. Lehm, das sind verwitterte Steine, maximal sandkorngross. Die kleinsten Partikel heissen Ton. Für ungebrannte Lehmbauten reichen 30 Prozent davon. Guter Backstein braucht einen höheren Tonanteil. Man spricht dann von fettigem Lehm, im Unterschied zu magerem. Doch natürlich ist die Sache weit komplizierter: Heute mischt man Lehm aus verschiedenen Gruben. Die Ziegler hüten ihre Rezepte wie ein Geheimnis. Das ist wie bei Käse und Kräuterbonbons.

Wann man den ersten Backstein brannte? Vermutlich lag einst ein Lehmklumpen im Lagerfeuer und einer Ihrer haarigen Vorfahren begriff freudig, dass so ein Stein entstand. Die ältesten Ziegel fand man in Jericho im heutigen Palästina. Es sind handgeformte, sonnengetrocknete Lehmziegel, etwa 10 000 Jahre alt. Dreitausend Jahre später produzierten die Mesopotamier schon massenweise Backsteine mit Holzrahmen. Ein schöner Kreislauf war das: Lehm stechen von Frühling bis Herbst, aufschichten und einen Winter liegen lassen, im Frühling dann nachbearbeiten und brennen in Feldmeilern. Das sind mit Lehm abgedichtete Ziegelstapel mit Leerräumen, die etwa zwei Wochen brennen. Eine Verschwendung war das und ist es in Entwicklungsländern noch heute: Abgesehen von all dem Holz, Torf oder Stroh, die man ständig nachlegen muss, werden die innersten Steine oft zu heiss gebrannt, die äussersten zu wenig heiss, und fast jeder fünfte bricht.

Die mesopotamischen Backsteine waren quadratisch. Erst die Ägypter entwickelten das Prinzip Zwei-zu-Eins und den Kreuzverband. Dann verfeinerten die Babylonier die Herstellung und brachten die Backsteinbaukunst zur Blüte. Das war noch Jahrhunderte bevor Ihr werter Herr Christus in Bethlehem auftauchte. Ein Jammer, können Sie die hängenden Gärten nicht mehr erleben! Aber vielleicht kennen Sie die Zikkurats und Paläste und die wundervollen Glasursteine des Ischtar-Tors? Andernfalls buchen Sie bitte eine Reise in den Irak. Vielleicht teilen Sie danach meinen Unmut über Alexander den Grossen, dessen Feldzüge Babylon den Garaus machten.

 

Zeitgenössischer Durchlaufofen

Heutige Produktion: kein Hightech, aber ausgereift

Heute bin ich der Popsong der Bauwirtschaft: vordergründig einfach, aber aufwendig produziert. Die Lehmmischung wird stranggepresst, mit dem Draht geschnitten und kommt drei Tage in die Trockenkammer. Dann stapeln Roboterarme die Rohlinge auf Wagen, die durch teils über hundert Meter lange Durchlauföfen fahren. Ein austariertes Temperaturprofil verhindert zu schnelles Aufheizen oder Abkühlen. Je nach Backstein, Sichtstein oder Klinker liegt die Maximaltemperatur bei 900 bis 1200 Grad. Nach dem Brand werden die Steine dann palettiert und gelagert. Backstein ist nämlich zwangsläufig Lagerware, kein Just-in-time-Produkt. Moderne Öfen brauchen bis zu zwei Wochen, um aufzuheizen oder abzukühlen. Darum hat so mancher Ofen jahrzehntelang durchgedient. 24 / 7 nennen Sie das heute, nicht wahr?

Freilich hat sich nicht nur die Produktion verändert, sondern auch der Backstein selbst. Dem Lehm beigemischte Zellulose brennt aus und macht ihn leichter. Mit Perlit gefüllte Hohlräume sorgen für bessere Dämmwerte. Interessant auch, wie man heute mit Weichsteinpressen, sauerstoffarmem Brand oder Kohlepulver der so lang ersehnten Einheitlichkeit des Sichtbacksteins wieder Abwechslung entgegensetzt. Zugegeben, verglichen mit dem, was die Nasa in den Weltraum schickt, ist das Lowtech. Doch würden Sie mich heute erfinden, so wäre ich die disruptive Sensation und Sie der Elon Musk der Bauindustrie.

Arrogant wirke ich? Bitte entschuldigen Sie, ich bin bloss verletzt, weil man mich chronisch unterschätzt. Der Tadsch Mahal, der Florentiner Dom, die Pagan-Tempel und das Mausoleum von Sultaniye sind nur die Spitzen des Backsteingebirges, das die ganze Welt und alle Zeiten umspannt. Die Chinesen bauten die mit 21 196 Kilometern längste Mauer der Menschheitsgeschichte aus Backstein. Mag sein, dass ein durchgeknallter Immobilienhai an der Grenze zu Mexiko eine lange Betonmauer errichtet. Sie wäre um ein Vielfaches kürzer.

 

Typischer Aquädukt

Die Römer: eine Liebesgeschichte

Aber wir waren bei den Babyloniern. Kommen wir nun also zu den antiken Mittelmeerkulturen. Natürlich kannten mich die Griechen. Doch nordöstlich von Athen liegen die endlosen Marmorvorkommen des Pentelikons, und so waren sie vor allem ein Steinbauvolk. An dieser Stelle ein kleines Outing: Ich bin traumatisiert. Oft war ich ein Baumaterial zweiter Wahl und vor allem dort erfolgreich, wo es keine Steinbrüche gibt. Hoffentlich reicht die Zeit, um Ihnen nachher von meinen Abenteuern im steinarmen Nordeuropa zu berichten, vom Deutschorden und der Hanse, von Dänen, Holländern und Skandinaviern und natürlich auch von ihren modernen Architekten: Aalto, Asplund, Jacobsen, de Klerk, Lewerentz, Utzon.

Zuvor aber zu den Römern. Unsere Liebesgeschichte beginnt holprig: Die Römer hatten sich ja ein Vorbild an den Griechen genommen und verputzten oder verkleideten darum anfangs ihre Backsteinbauten. Vielleicht erinnern Sie sich an Augustus, der um das Jahr Null in Rom regierte und verkündete, eine Stadt aus Backstein vorgefunden zu haben und eine aus Marmor zu hinterlassen? Marmorplatten liess er an Backstein klammern, der Prahlhans! Glücklicherweise legten die Römer bald darauf ihre falsche Scham ab und bauten dekoratives Sichtmauerwerk. Ein schönes Beispiel sind die Trajansmärkte, das wohl beliebteste Shoppingcenter seiner Zeit.

Irgendwann lernten die Römer auch Bögen, Gewölbe und Kuppeln zu mauern. Wie viel grössere Spannweiten waren nun möglich! Ich bin stolz auf meinen Beitrag zu den grossen Aquädukten, und das bin ich auch bei all den Basiliken, Thermen und Katakomben. Für mich allein beanspruchen kann ich sie leider nicht, denn die Römer füllten meist zweischalige Mauern mit ihrem Beton. Aus Festigkeitsgründen reichten manchmal ein paar Steinlagen durch die ganze Mauer, doch kräftige Mauern komplett aus Backstein waren selten.

Schliesslich kam das Unausweichliche. Diesmal überrannten die Germanen die Römer. In Ostrom setzte sich die Backsteinbaukunst noch eine Weile fort. Die Hagia Sophia in Istanbul, dem früheren Konstantinopel, krönt bis heute die grösste Kuppel über vier Tragepunkten. Auch wenn man es nicht sieht: Sie ist komplett aus Backstein gebaut! Damit wir uns nicht falsch verstehen: Ich habe den Zwang zur Materialehrlichkeit längst abgelegt und erfreue mich guter Gesellschaft wie Kalk oder Marmor. Bloss bei lausigem Kunststoffputz auf Polystyrol, da bleibt mir die Luft weg.

 

Schloss Burgdorf, 11. Jhdt.

Das Mittelalter: Wiederbelebung auch in der Schweiz

Mit den Römern kam ich auch auf die Alpennordseite. Vorher kannten die Germanen vor allem den Holzbau. Ja, ich spreche von Ihren undankbaren Vorfahren, die die Römer vertrieben. Mittlerweile habe ich das Ganze verarbeitet, aber ich muss schon sagen: Das Mittelalter war für mich nicht einfach. Während man mich in Oberitalien noch schätzte, gab es nördlich der Alpen vom fünften bis zum elften Jahrhundert zwar einige Mischbauten, aber keine richtigen Backsteinbauten. Doch dann tauchte ich schlagartig wieder auf und verbreitete mich rasant, was Archäologen bis heute rätseln lässt. Sicherlich spielten Zisterziensermönche und Deutschordenritter, Hansekaufmänner und Kriegsherren eine Rolle. Warum auch immer, man pries meine Bescheidenheit und schichtete mich zu Kirchen und Burgen auf und zu Zwittern namens Wehrkirchen. Sie können sich heute ja kaum mehr vorstellen, wie mächtig die Kirche im Mittelalter war.

In diese Zeit fallen auch die ersten Backsteinbauten der Schweiz. Das Land ist reich an Holz und Stein. Darum taugte ich hier lange Zeit vor allem für Böden, Latrinen und Kamine. Nichts gegen Kamine, da bin ich ganz bei Gottfried Semper, der den Herd als «das erste und wichtigste, das moralische Element der Baukunst» bezeichnete. Trotzdem erfreuten mich die ersten richtigen Backsteinbauten: Auf das Schloss in Burgdorf um 1200 folgte das Kloster St. Urban im luzernischen Pfaffnau. Im 15. Jahrhundert kamen dann die savoyischen Burgen im Waadtland und ein paar nette Terrakotten. Aber bis zur Industrialisierung kann man wahrlich nicht von einer grossen Schweizer Backsteinbegeisterung sprechen.

Eigentlich wollte ich nicht über Dachziegel sprechen, doch für Sie als Schweizer mache ich eine Ausnahme: Vereinzelt gab es bei Ihnen schon frühe Ziegeldächer bei Repräsentationsbauten wie dem Kloster St. Gallen. Das einfache Haus deckten Brett- oder Spaltschindeln. Ab dem 14. Jahrhundert forderten Brandschutzvorschriften dann zunehmend eine Hartbedachung. In Teilen Graubündens, im Tessin und im Wallis wählte man oft Steindächer, doch im Mittelland und in den Städten trat der Ziegel einen wahren Siegeszug an. Schon im 16. Jahrhundert dominierte er die Dachlandschaft. Dann kam das Flachdach. Ich sage Ihnen: Der Beton, dieser disziplin- und willenlose Steinbrei, hat unserer Lehmfamilie ganz schön zugesetzt. Bis zum Ende der Weltkriege hatten in der Schweiz noch fast alle Wohnbauten und zwei Drittel der Nicht-Wohnbauten ziegelgedeckte Satteldächer. Bei den neuen Wohnbauten der letzten zehn Jahre hat kaum noch die Hälfte ein Schrägdach, im Nicht-Wohnbereich ist es ein Viertel. Glaube ich meinem Bruder, so ist der Dachziegel bald ein Sanierungsgeschäft.

 

Hoffmannscher Ringofen, ab 1859

Die Industrialisierung: Masse mit Klasse

Zum Beton möchte ich noch ein paar Missverständnisse ausräumen. Damit wir aber zeitlich nicht völlig durcheinandergeraten, zunächst zu meinem grossen Auftritt im 19. Jahrhundert. Ich war das Material schlechthin. Niemals zuvor waren Backsteine und Klinker von solch prächtiger Qualität, vielleicht auch niemals seither. Manche meinen sogar, die Moderne hätte 1835 in Berlin mit Friedrich Schinkels Bauakademie begonnen. Dazu will ich mich aber nicht äussern und zum Wiederaufbau noch weniger. Ich bin schliesslich Proletarier.

Mein Erfolg damals hat viele Gründe. Das Bevölkerungswachstum war enorm, die Transportmöglichkeiten nie da gewesen, und die Fertigungstechniken entwickelten sich rasant: 1810 kam das Strangpressverfahren, 1839 der Drahtschnitt, 1858 der Hoffmannsche Ringofen. Zuvor hatte man die Kammeröfen befüllt, eingeheizt, abgekühlt und so weiter. Im Ringofen wanderte das Feuer kontinuierlich durch ein rundes System von Kammern und Türen, was zwei Drittel Energie sparte. 24 / 7, das begann hier! Ein nimmermüder Ringofen produzierte jährlich über zwei Millionen Backsteine, und es gab Abertausende, denn der Bauhunger war endlos: Man baute Akademien, Museen und Rathäuser, Eisenbahntunnel und Bahnhöfe, Brücken und Kanäle, Bürogebäude, Wohnhäuser und Industriebauten. Nicht alle sind so hübsch wie Ihr Feldschlösschen, doch feuerfest allemal.

Während der Industrialisierung habt ihr Menschen uns Backsteine auch vereinheitlicht. Zwar folgten wir längst dem Prinzip 4 auf 2 auf 1, doch es herrschte ein Durcheinander von Formaten verschiedener Hersteller und Regionen. Dann kam 1872 das deutsche Reichsformat, die erste Baunorm überhaupt. Heute ist es längst selbst Geschichte. Damals befeuerte es die Vorfabrikation, denn auf einmal gab es Standardöffnungsmasse für Fenster und Türen. Und die erste Baunorm der Schweiz? Richtig, die Normalisierung der Backsteinformate 1883.

 

Chilehaus, Hamburg 1924

Die Moderne: missverstanden und vielfältig

Nun zum Beton. Immer wieder stopfen sie die Köpfe junger Architekturstudenten mit diesem Unsinn über die Stahl-Glas-Beton-Moderne. Natürlich gab es den degenerierten Funktionalismus und Geschichtsfeindlichkeit. «Steinhäuser machen Steinherzen», schrieb Bruno Taut und meinte Natursteine. Meine Wenigkeit aber stellte die Orthodoxen vor ein Dilemma: Einerseits bin ich das Industrieprodukt schlechthin, andererseits bin ich uralt. Ist Ihnen ausserdem mal aufgefallen, dass ich bei einigen modernen Schlüsselwerken mitmischte? Denken Sie an die Chemische Fabrik von Hans Poelzig oder die Fagus-Werke von Walter Gropius.

Nun mögen Sie einwenden: «Was ist mit der amerikanischen ‹curtain wall› aus Stahl und Glas?» Da kenne ich sehr schöne Beispiele, und das sage ich frei von Neid. Zur Vollständigkeit: Die Amerikaner bauten glatte Backsteinfassaden, bevor die Europäer sich trauten. Im Hochhausbau der Chicago School war ich omnipräsent. Das Monadnock Building aus den 1890ern ist mit 17 Stockwerken sogar das welthöchste Bauwerk mit tragendem Backstein, am Fusse mit zwei Meter dicken Wänden. Als die Häuser dann immer noch höher sein mussten, war ich zu schwer, doch Schwester Terrakotta hängte sich brandschützend vor die Stahlskelette. Und Frank Lloyd Wright, dessen ‹prairie houses› wahrlich keine Türme sind, sprach an einer Konferenz: «Meine Damen und Herren, wissen Sie, was ein Backstein ist? Er ist trivial und kostet elf Cents. Er ist gewöhnlich und wertlos, besitzt aber eine besondere Eigenschaft. Geben Sie mir diesen Backstein, und er wird sein Gewicht in Gold wert sein.»

Aus Europa könnte ich Ihnen von der Amsterdamer Schule erzählen. Oder vom Backsteinexpressionismus und Fritz Högers Chilehaus mit der vielleicht gewagtesten Ecke, seit es Backstein gibt. Oder von Le Corbusiers Maison Jaoul, wo der Meister 1955 Beton und Backstein quasi brutalistisch vermählte, während dumpfe Nachahmer noch Bandfenster und weisse Wände predigten. Der Beton und ich, müssen Sie wissen, wir sind keineswegs verfeindet. Bis in die 1970er waren wir ein echtes Dreamteam, nicht nur im Massenwohnungs- und Einfamilienhausbau. Freilich trat ich damals häufig als Zweischalenmauerwerk auf. Dann wurde die Dämmung immer dicker, und irgendwann sparte man die Aussenschale weg. Seither lebe ich meist im Verputzten.

Trotzdem, liebe Menschheit: Ein herzliches Dankeschön, denn ohne euch gäbe es meinesgleichen nicht, und manchmal fügt ihr uns so gekonnt zusammen, dass Lehm zu Gold wird. Dafür bin ich gerne die billigste Aussenwand am Markt. Im letzten Jahrzehnt diene ich hierzulande bei der Hälfte aller Neubauten als solche, im Wohnbereich bei fast drei Vierteln. Wie ich dabei aussehe, ist einerlei, denn innen gibt es einen weissen Abrieb. Aber das sehe ich gelassen: Ich habe schon untergehende Weltreiche überlebt und die erste, zweite und dritte industrielle Revolution. Soll die vierte nur kommen. Mich werdet ihr niemals los!

 

Das Standardformat: Länge = (2 x Breite) + Fuge

Vorfabrikation, Mörtel, Verbände, Chinesen, Islam

Ach, verdammt! Nun wollte ich Ihnen doch noch von den Skandinaviern erzählen, vor allem von Lewerentz. Wissen Sie, warum die Vorfabrikation sich im Holzbau durchsetzte und im Backsteinbau nicht? Warum die Formel ‹Länge = (2 × Breite) + Fuge› in der Schweiz nicht gilt? Kennen Sie meinen ständigen Begleiter, den Mörtel? Können Sie den Flämischen vom Englischen Gartenmauerverband unterscheiden? Gerne würde ich Ihnen auch vom Reisbreimörtel und den Nut-und-Feder-Ziegeln der Chinesen berichten oder Ihnen die Doppelwandkuppeln erklären, die islamische Baumeister Jahrhunderte vor dem Florentiner Dom mauerten. Aber ich muss weiter.

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