#MeToo an der ETH
Sexuelle Belästigung und Machtmissbrauch? Steht einem Architekturprofessor ein Entlassungsverfahren bevor? Nun schreibt der SIA einen offenen Brief. Und Hochparterre steckt in einer Kollektivrecherche.
Kurzer Rückblick: Anfangs Jahr kursierte die Liste «Shitty Architecture Men» im Internet. Auf der versammelten Gerüchteküche fanden sich die Namen dreier Professoren des ETH-Architekturdepartements. Wenig später übergabdie Abteilung für Chancengleichheit Vorwürfe gegen einen der drei der ETH-Leitung. Das Stadtmagazin Tsüri machte den Fall erstmals publik. Die ETH begann eine Voruntersuchung. Viel Zeit verstrich und nichts drang nach aussen. Mitte September dann leitete die ETH ein Disziplinarverfahren ein und stellte den Professor frei. Im Oktober berichtete die Wochenzeitung von «Machokultur auf dem Hönggerberg» und swiss-architects legte nach. Seither verstrich weiter Zeit und nichts drang nach aussen. Angeblich könnte der Fall Ende Monat entschieden werden. Wie die Republik berichtete, steht eventuell die erste Kündigung in der 163-jährigen ETH-Geschichte bevor. Das Entlassungsverfahren einer ETH-Astronomieprofessorin läuft bereits. Ein solches könnte auch im Falle des Architekturprofessors beginnen. Bis zum Entscheid gilt die Unschuldsvermutung.
Nun wird auch der SIA aktiv: Heute versendet er einen offenen Brief an den Vorsteher des Architekturdepartements Philip Ursprung und an den Noch-Präsidenten Lino Guzzella. Der Verband sei «in Sorge um das Ansehen unserer Alma Mater» und vermutlich sei der Fall «nur die Spitze eines Eisbergs». Der SIA fordert darum «Transparenz» in Form eines «von einer unabhängigen Stelle erstellten, öffentlich zugänglichen Berichts» zu den Themen «Machtmissbrauch und sexuelle Belästigung». Es bräuchte Anlaufstellen, klare Prozesse und «konsequentes Handeln». Schliesslich fordert der Verband «die Erhöhung der Anzahl Professorinnen am Departement für Architektur», was zum «gleichberechtigten Miteinander» beitrüge. Für all das bietet er Unterstützung an durch sein Kompetenzzentrum «Frau und SIA».
Und was macht Hochparterre? Forschung und Lehre im 21. Jahrhundert heisst nicht bloss HighTech, sondern auch eine faire, offene und transparente Lernumgebung. Von dieser scheint die ETH so weit entfernt wie von modernem Krisenmanagement und entsprechender Kommunikation. Compliance-Papiere reichen nicht, es braucht nun Taten. Wir wollen unseren Beitrag leisten im nötigen Diskurs und stecken mitten in einer kollektiven Recherche zu den Themen Machtmissbrauch, Respektlosigkeit, Mobbing-Unkultur und sexuelle Belästigung – an der ETH, an anderen Fachhochschulen und in der Schweizer Architekturszene. Wir sind spät dran, aber wir sind dran.