Digitale Architektur ist technisch hochpräzis, bleibt kulturell jedoch oft an der Oberfläche. Etwa in Mulegns, einem Dorf im Val Surses, wo die Stiftung Origen einen Turm gedruckt hat. Eine Betrachtung.
Der Elfenbeinturm
Digitale Architektur ist technisch hochpräzis, bleibt kulturell jedoch oft an der Oberfläche. Etwa in Mulegns, einem Dorf im Val Surses, wo die Stiftung Origen einen Turm gedruckt hat. Eine Betrachtung.
Fotos: Stefan Kaiser
Surreal. Mehr fällt mir nicht ein. Es ist, als stünde ich vor einer dreidimensionalen Riesenkopie des Bildes, das schon länger durch die Medien geistert: die knochenbleiche Erscheinung eines Turms. Mein drei Jahrzehnte hoch aufgeschichtetes architektonisches Assoziationsgedächtnis streikt. Was, zum Teufel, ist das – ausser «der erste 3-D-gedruckte Turm der Welt»?
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Mulegns, das sind ein paar Häuser zwischen Chur und St. Moritz. Elf oder zwölf Einwohner, eine scharfe Rechtslinks-Kurve, das wars. Früher war Mulegns wichtig, Wechselstation für die Postkutschen ins Engadin. Zum ‹Post Hotel Löwe› gehörten Stallungen, herrschaftliche Säle und ein eigenes Elektrizitätswerk. Noch vor wenigen Jahren drohte all das zu verfallen. Das Dorf entleerte sich, das Hotel auch, und die Lastwagen hinterliessen auf ihrem Weg hinauf zum Julierpass Schrammen an den eng stehenden Häusern. Die gibt es noch immer, die Tristesse jedoch ist verflogen. Das Hotel strahlt wieder, die Nebenbauten sind saniert. Pressemeldungen verkünden die Eröffnung eines «ETH-Zentrums für digitale Bautechnologie» im Dorf, Ende Mai enthüllte ein Bundesrat den Weissen Turm.
Dieser Turm besteht aus einem offenen Betontragwerk mit vier Abschnitten. Die denkmalgeschützte Fuhrhalterei dient als Sockel. Statt eines Dachs schliesst nun ein Fuss aus weissem Ortbeton das quadratische Bruchsteingemäuer ab, das Planungsteam nennt ihn «Flaschenhals». Durch ihn hindurch gelangt man über eine Wendeltreppe aus Stahl in die vier Geschosse darüber, genauer: Man durchsteigt vier Ringscheiben durch deren Mitte. Erst ganz oben, im letzten Abschnitt, verlässt man die Treppe auf einem schmalen Betonring mit rundumlaufender Bank aus Stahl. Jeweils acht V-Säulen tragen die Turmabschnitte, zuoberst sind es Bündel aus vier sehr dünnen, sechs Meter langen Stützen, die eine Art Kuppel aus 32 Minisä...
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