Demokratisch gestoppt
Das Nein zum neuen Luzerner Theater kam unerwartet. Aus der ‹Kontroverse Luzern› lassen sich für die Architektur zwei Schlüsse ziehen.
Das Nein zum neuen Luzerner Theater hat mich überrascht. Am 9. Februar stimmten 58 Prozent der Stimmberechtigten der Stadt Luzern gegen den Projektierungskredit. Damit ist das Projekt von Ilg Santer vom Tisch. Obwohl es im Vorfeld der Abstimmung auch in Fachkreisen kontrovers diskutiert worden war, standen alle Parteien (mit Ausnahme der Juso und der Jungen Grünen) hinter dem Vorhaben. Das klare Resultat zeigt nun, dass die Politik völlig daneben lag. Das gibt auch dem Luzerner Stadtpräsidenten Beat Züsli zu denken. In einem Interview mit der ‹Luzerner Zeitung› gibt er Auskunft darüber, wie es nun weitergeht. Doch so genau weiss das niemand – weder die Befürworter noch die Gegner. Das «Zurück auf Feld eins», wie es der Architekturhistoriker Stanislaus von Moos in seinem Kommentar auf Hochparterre gefordert hatte, ist Tatsache geworden.
Inzwischen lässt der Stadtrat in einer repräsentativen Umfrage abklären, was genau die Gründe für die deutliche Ablehnung waren. Die ‹Luzerner Zeitung› fasst die Vermutungen des Stadtrates so zusammen: «Das Siegerprojekt sei zu gross und zu präsent, dessen architektonische Qualität umstritten, es gebe Unsicherheiten wegen der Kosten, und das Betriebskonzept sei zu ambitioniert gewesen.» Und Betriebsdirektor Stefan Vogel erklärte seinen Mitarbeitenden nach der Abstimmungsniederlage laut ‹Luzerner Zeitung›: «Wir haben gesagt, dass die Politik auf unserer Seite steht und dass die Stimmenden nur das Projekt und nicht das Theater insgesamt abgelehnt haben.»
Lag es also an der Architektur? Ich meine ja.
Meiner Meinung nach gibt es zwei offensichtliche Schlussfolgerungen, die wir als Architekturschaffende aus der Kontroverse um das neue Luzerner Theater ziehen sollten.
Auf eine falsche Frage gibt es keine richtige Antwort
Das Raumprogramm war zu gross. Das hat Ivo Bösch bereits in seiner ausführlichen Wettbewerbskritik Anfang 2023 festgehalten: «Ohne in den bürgerlichen Kultur-Spar-Kanon einstimmen zu wollen, ist aus fachlicher Sicht zu empfehlen, das Raumprogramm zu hinterfragen – und zwar radikal. Braucht es drei Säle? Muss das Theater ein Vielfaches des heutigen Publikums aufnehmen können? Ein kleineres Volumen täte auch dem Siegerprojekt gut. Der Entwurf ist in vielen Teilen stimmig, müsste nur konsequenter auf Bescheidenheit getrimmt werden. Dann hätte Luzern das richtige Programm für eine in der Klimakrise dringende Strategie des Weiterbauens».
Eine Überarbeitung des Wettbewerbsprojekts hat zwar stattgefunden – radikal war sie aber nicht. Den Architekten kann man keinen Vorwurf machen. Sie kämpften bis zuletzt mit der Grösse des vorgegebenen Bauvolumens. Ausmass und Charakter der Erweiterung passen einfach nicht zum gewählten Standort. Warum ist das so? Das überfrachtete Wettbewerbsprogramm sah nicht vor, den bestehenden Theaterbau an der Reuss zu erhalten. Vorstudien hatten gezeigt, dass der heutige Bau keine Weiterentwicklung zulasse. Nach dem Nein werden nun in den Kommentarspalten Stimmen laut, es sei klar gewesen, dass mit dem überraschenden Bestandserhalt keine harmonische Lösung möglich sei. Aber darum geht es nicht. Es geht eben um «das richtige Programm für eine in der Klimakrise dringend notwendige Strategie des Weiterbauens». Es geht darum, aus dem Bestand heraus zu bestimmen, was möglich ist, und nicht darum, ein Neubauprogramm auf einen Bestand zu projizieren. Dafür hätten sich alle Beteiligten und insbesondere die Wettbewerbsjury von der ersten Stunde an bei der Programmerstellung einsetzen müssen. Ihre Einsicht kam zu spät.
Ein Architekturwettbewerb ist noch keine demokratische Entscheidung
Das Nein sei ein Schuss ins Knie des Architekturwettbewerbs, heisst es auch. Selbstverständlich haben die Fachverbände das Resultat des Wettbewerbs verteidigt und eine öffentliche Veranstaltung zur Überarbeitung organisiert. Insofern ist das Nein auch für sie eine Niederlage – und für den Stand des Wettbewerbs. Aber wenn wir an den Architekturwettbewerb glauben, ist es wichtig, ihn kritisch zu hinterfragen.
Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Kontroverse in Fachkreisen geradezu «wettbewerbsideologisch» geprägt war. Die Befürworter beriefen sich auf den Wettbewerb, um das Projekt zu legitimieren: Das Verfahren sei vorbildlich verlaufen, die Jury habe eine fachlich fundierte Entscheidung getroffen und das Siegerprojekt sei das beste aller Projekte. Das mag alles stimmen, aber die Jury repräsentiert nicht die Stadtbevölkerung. Vielmehr stellt jede Jury – und die Architekturszene, aus der sie stammt – einen «hegemonialen Block» dar. Der Begriff des italienischen Philosophen Antonio Gramsci umschreibt eine Gruppe, die sich verbündet, um eine schwache Form der Dominanz auszuüben.
Die Stimmberechtigten der Stadt Luzern haben mit ihrem Votum die städtebauliche Dominanz des Juryentscheids gebrochen. Das ist gut so, denn es gibt uns Architekturschaffenden die Gelegenheit, die Bilder und Codes, die wir produzieren, zu hinterfragen und nach neuen Wertorientierungen zu suchen. Diese gibt es bereits. So fordern die jungen widerständigen Luzerner Architekturschaffenden: «Ein öffentliches Haus für alle muss als Infrastruktur unterschiedlichen Bevölkerungsschichten Räume anbieten, die sich durch Offenheit, Verhandelbarkeit, Adaptierbarkeit und Niederschwelligkeit auszeichnen.»
Das neue Luzerner Theater wird sich verändern müssen. Vielleicht bietet die notwendige Sanierung des bestehenden Theaterbaus bereits die Gelegenheit dazu. Auch die nun wieder diskutierte Ausdehnung der Theaterräumlichkeiten auf die angrenzende Buobenmatt mit der frequentierten Stadtpassage könnte eine Möglichkeit sein, die Zukunft des Theaters schrittweise und niederschwellig aus dem Bestand heraus entstehen zu lassen.