Nachdenklich: Lando Rossmaier in seinem Atelier in Ennenda. Foto: Daniel Auf der Mauer

Zurück zur Idylle

Lando Rossmaier zog von Zürich ins Glarnerland. Er will sich um das Eigentümliche eines Ortes kümmern. Wie der Architekt dazu von früher lernt, zeigen zwei Häuser in Zug und Unterägeri.

Lando Rossmaier steht in der Altstadt von Zug mit einem Stuhl unter dem Arm, den er für den Fotografen mitgebracht hat. Der Architekt trägt eine Jacke von Barbour, auf dem Kopf eine Adler-Bier-Mütze. Hinter ihm ein Gebäude mit Giebeldach, Fensterläden, geschmückter Traufkante. «Das Haus wirkt, als wäre es schon ewig hier», sagt Rossmaier. «Nicht, weil ich es will. Weil der Kontext es braucht.» Der Architekt setzt um, wovon viele nur reden: Er lässt sich wie ein Chamäleon auf die Umgebung ein. Erst auf den zweiten Blick wird klar: Die Fassade ist aus Beton, die Läden sind aus Aluminium, die Schindeln aus Eternit. Das Haus ist ein Neubau.

Der Neubau am Kolinplatz in Zug wirkt, als stünde er schon lange hier. Foto: Rasmus Norlander

Das vorherige Gebäude am Kolinplatz ist vor Jahren abgebrannt. Lando Rossmaier hat den Wettbewerb gewonnen und die Altstadtecke repariert. Das Haus gehört der Stadt, elf Studierende wohnen darin in zwei Duplex-Wohnungen. Auf der Dokumentation hat Rossmaier das Wort Autorenschaft durchgestrichen und daneben «Baumeisterhaus» geschrieben. «Das ist ein Haus ohne Architekt», sagt er. Doch dass Rossmaier durch und durch Autor ist, merkt man auf Schritt und Tritt. Die Läden sind bündig mit der Fassade angeschlagen. Die Brüstung auf der Terrasse verläuft im Zickzack. Die Handläufe im Treppenhaus biegen sich zum Ornament. Die kleinen Irritationen geben dem Haus eine Identität und versüssen den Alltag. Und sie machen aus dem Baumeisterhaus ein Architektenhaus.

Die Essküchen ragen zweigeschossig hinauf. Foto: Rasmus Norlander

«Man soll dem Haus ansehen: Das hat ein Mensch gemacht, da steckt Liebe drin, es hat Fehler», sagt Rossmaier. Er sehnt sich nach dem Handwerk. Nach einer Zeit ohne industrielle Fertigung. Nach: Früher war es gut. Das gilt auch innen. Die Räume sind klug verschachtelt, die Essküchen überhoch. Die sorgfältigen Details aber erinnern an eine vergangene Ära. Ein Fries rahmt den Parkett, die Fensterleibungen sind mit Steinplatten verkleidet, die Lampen in Deckenrosetten eingelassen. Eher Grossmutters Stube als Studentenbude. Die Architektur passt vielleicht nicht zu den Nutzern, zum Gebrauch hingegen schon. Statt die Garderobe auf einen Kleiderhaken zu reduzieren, wird sie zum Möbel mit Ablage, Schublädchen und Spiegel. Das ist altmodisch, aber alltagstauglich. Rossmaier baut eine Architektur, die aus der Zeit gefallen scheint, die jedoch jeder versteht.

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2. Obergeschoss

1. Obergeschoss

 

Werde der, der du bist

Lando heisst eigentlich Roland Josef Rossmaier. Der Architekt hat mehrere Verwandlungen hinter sich. Eine Färbung im Schweizerdeutsch verrät: Er stammt aus Niederbayern, aus dem «Niemandsland», wie er sagt. Rossmaier ist in der Gaststätte und auf dem Bauernhof seiner Eltern gross geworden. Das Wirtshaus war seine Kinderstube. «Ölige Böden, schwere Türen, schwermütige Leute: So bin ich aufgewachsen.» Noch heute sitze er gerne mit Spengler und Schreiner am Stammtisch.

Dann zog Roland Josef vom katholischen Bayern ins reformierte Zürich und wurde der, der er heute ist. An der ETH studierte er unter anderem bei Miroslav Šik, dem er viel zu verdanken habe. «Doch die Ideologie stresste mich. Ich wollte raus aus dem analogen Stall.» Also ging er nach dem Studium zu Herzog & de Meuron, wo er am ‹Bird’s Nest› in Peking mitarbeitete. Er war dabei, als Architektur zum Ereignis wurde und Räume für Schlagzeilen sorgten. Die ideologischen Grabenkämpfe zwischen Traditionalisten und Modernisten an der ETH kann er bis heute nicht verstehen. «Ich liebe beide Seiten, beide Haltungen.»

Nach seinen Lehr- und Wanderjahren gründete Rossmaier ein Büro in Zürich, schrubbte Wettbewerbe, hoffte auf den grossen Auftrag. 2014 zog er mit Sack und Pack und Familie nach Ennenda im Glarnerland, wo ein prächtiges Haus neben der Kirche zum Verkauf stand. Der Architekt schwärmt vom dörflichen Leben. Die beiden Kinder gehen am Ende der Strasse zur Schule. Seine Frau führt Buch und Team des Architekturbüros, wie er sagt. Die beiden Mitarbeiter entwerfen in der ehemaligen Metzgerei im Erdgeschoss. Manchmal isst die ganze Familie mit den Angestellten zu Mittag in der guten Stube, wo der Kachelofen wärmt und das Parkett knarrt.

Eine ehemalige Metzgerei gegenüber der Kirche in Ennenda wurde zum Architekturbüro. Fotos: Daniel Auf der Mauer

Der Neuanfang in Ennenda war ein Wandel zurück zu seinen ländlichen Ursprüngen. Ganz so einfach war es allerdings nicht. «Wir hatten Angst», sagt Rossmaier rückblickend. «Sind das alles erzkonservative Sturköpfe? Werden die Kinder glücklich? Gibt es genug Sonne? Können wir überleben? Finden wir Mitarbeitende?» Der Wegzug war ein Entscheid für weniger Fixkosten und mehr Ruhe. «Entwerfen ist ein einsamer Prozess. In Ennenda bin ich mehr bei mir. Ich kenne wenige, aber gute Leute. Und dann sind da die Berge. Sie zeigen mir immer wieder die Absurdität dieser Steinkugel im Weltall und relativieren meine Sorgen.» Rossmaier gefällt die Gemeinschaft auf dem Land. Er engagiert sich im Kunstverein, im Heimatschutz, in der Gestaltungskommission. Er kickt mit im Fussballclub. An Besichtigungen fährt er nur noch selten, wie er sagt: «Die Arbeiten anderer Architekten setzen mich unter Druck und lenken mich letztlich ab.»

Lando Rossmaier spricht viel, stets mit einem Schmunzeln im Gesicht. Dann wird er wieder nachdenklich, zögerlich. Er merkte: Viele Aufträge werden auf dem Land unter der Hand vergeben. Man kennt sich, man geschäftet miteinander. Als kleines Büro ohne Millionenaufträge arbeitet Rossmaier in einem engen finanziellen Rahmen. Die Löhne sind bescheiden, das Leben einfach, die Ferien selten. «Manchmal wusste ich nicht, ob ich das Büro halten kann.» Und manchmal habe er sich gesagt: Die beiden Projekte noch, und dann ist Schluss.

 

Architektonisch Frieden stiften

Unterägeri liegt zehn Autominuten von Zug entfernt. Alte Holzhäuser mischen sich im Zentrum mit belanglosen Neubauten, dazwischen gluckert ein Bächlein. Am Wasser steht ein Ersatzneubau. Auch dieser orientiert sich an der Tradition, jedenfalls von aussen betrachtet: Schindelkleid, Doppelgiebel, Ziegeldach. Beim Eingang plätschert ein Brunnen, mit dem Rossmaier den Parkplatz zum Platz machen will. Vom Frohsinnweg zweigt hier das Harmoniegässli ab, als sollte die Adresse architektonisch wirken. «Ich bin ein Friedensstifter», sagt der Architekt. Das galt auch rechtlich: Obwohl er eng an den Nachbarn baut, legte keiner der neun Anwohner Einsprache ein.

Der Ersatzneubau steht direkt an der Lorze in Unterägeri. Foto: Rasmus Norlander

Eine Nische mit Bank erinnert an früher. Foto: Rasmus Norlander

Lando Rossmaier geht von einem malerischen Bild des Dorfes aus, er blendet die Brüche unserer Zeit aus und traut dem Ort wenig Gegenwart zu. Er denkt die Architektur von ihrem Ursprung her. Dabei überspielt er gekonnt, dass das Haus heutigen Ansprüchen genügen muss. Das verwinkelte Volumen bricht den Massstab, die Abwürfe in der Fassade nehmen ihm die Höhe, die Teilung der tiefen Fenster versteckt ihre Grösse. Hinter den Schindeln verbirgt sich ein Hybridbau aus Beton und Holz. Der Architekt, der sonst viel von Authentizität spricht, sieht darin keinen Widerspruch. «Die viel bemühte konstruktive Ehrlichkeit gibt es gar nicht», sagt er. «Es muss die Intention, die Absicht transportiert werden, hier in Unterägeri das Holzhaus.» Rossmaier interessiert die Wirkung, nicht die Konsistenz der Konstruktion.

Bis auf jene unter dem Dach stehen alle Wohnungen noch leer. Grundstück und Bauweise haben ihren Preis: 2800 Franken kostet eine 4½-Zimmer-Wohnung. Und die Architektur, die die Mieter für dieses Geld erhalten, ist ungewohnt. Astfreies Täfer trifft auf Sichtbeton, das Wohnzimmer ist loftartig offen, eine Nische mit Bank erinnert derweil an die gute alte Stube. Das Haus ist ein Mischling, konstruktiv wie räumlich.

Situation

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Regelgeschoss

Die baukulturelle Restschweiz

Auf dem Weg zurück fahren wir durch Schindellegi, Pfäffikon SZ, Niederurnen. Im Zentrum stehen Coop- und Migros-Kisten neben Altstadthäusern, am Rand verstellen gesichtslose Siedlungen den Blick. «Wir haben ein grosses Feld Architekten überlassen, die industriell hergestellte Katalogware sampeln», sagt Rossmaier. Er ist viel unterwegs in dieser baukulturellen Restschweiz, fährt jede Woche nach Luzern, wo er an der Hochschule unterrichtet und den Studentinnen erklärt: Versucht, den Ort zu verwirklichen, nicht euer Ego. Seine eigene Ausbildung sei zu stark auf grosse Baukünstler ausgerichtet gewesen. Architekt sein bedeute vor allem: Durchschnitt entwerfen.

Derzeit saniert Rossmaier die Fassade des Anna-Göldi-Museums in Glarus. Doch für Sanierungen, eine wichtige Aufgabe gerade auf dem Land, fühlt er sich wenig geeignet. «Da habe ich zu wenig Gestaltungsspielraum.» Und zum Markt für Wohnblöcke oder Gewerbezeilen der Strassendörfer findet er keinen Zugang. Also plant er klein, aber fein: einen Steg über die Linth, einen Ersatzneubau in einem Weinberg. Seit er im Resort Andermatt ein Ferienhaus gebaut hat, hinter dem er heute nicht mehr stehen kann, ist er vorsichtig geworden. Rossmaier entwirft an intakten Orten für umsichtige Bauherren. Er will sich nicht um den Massenmarkt, die Banalität, das Mittelmass kümmern. Er will das Eigentümliche, das Urtümliche einer Nachbarschaft retten. Auch wenn dies bedeutet, die Vorurteile vor der Vergangenheit abzulegen und sich auf die Idylle von damals einzulassen.

Dieser Beitrag stammt aus der Ausgabe 5/2019 der Zeitschrift Hochparterre.

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Kommentare

Andreas Konrad 29.05.2019 23:06
«Die viel bemühte konstruktive Ehrlichkeit gibt es gar nicht», sagt er. «Es muss die Intention, die Absicht transportiert werden, hier in Unterägeri das Holzhaus.» Richtig ! Diese Architektur ist weder alt noch neu , sondern gut gemacht und schön . Sie hilft , den zerschundenen Müll im Schweizer Mittelland zu heilen . Sie spricht so nicht von gestern oder von heute . Sie ist die Architektur der Zukunft .
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