Zehn zu null

Das ETH-Architekturdepartement ist eine Männerwelt. Nach der jüngsten Berufungswelle wird es auch eine bleiben. Chronologie einer Niederlage.

Fotos: Stefan Jäggi

Das ETH-Architekturdepartement ist eine Männerwelt. Nach der jüngsten Berufungswelle wird es auch eine bleiben. Chronologie einer Niederlage.


Herzog & de Meuron, Diener und Märkli, Šik und Eberle, Christiaanse, Lampugnani und Hassler – seit 2015 sind viele Professoren abgetreten, die das ETH-Architekturdepartement prägten. Einige ihrer Lehrstühle zerteilte die Hochschule in zwei kleinere, gleichzeitig erhöhte sie das Budget des Departements und verteilte es neu. Dies ermöglichte in den letzten drei Jahren zwanzig Berufungen und Beförderungen. Bei derzeit 45 Professoren ist das ein beachtlicher Generationenwechsel.

«Sie haben diese einmalige Chance verpasst», sagen Charlotte Malterre-Barthes und Torsten Lange. Als Teil der ‹Parity Group› engagieren sich die Postdoktorandin und der Dozent seit Jahren für mehr Diversität am Departement. Tatsächlich sind nun sechs Frauen unter den zwanzig Neuernannten. Das ist keine streng arithmetische Parität, aber immerhin stieg der Anteil der Professorinnen dadurch zwischen 2015 und 2019 von 13 auf 20 Prozent. Das entspricht dem Trend im ETH-Bereich, wo Frauen 2018 ein Drittel der Ernennungen ausmachten.

Das Versagen in den Augen der ‹Parity Group› erklärt erst der Blick auf die Art der Lehrstühle. Eine Frau wurde Titularprofessorin. Fünf Frauen und vier Männer besetzen ausserordentliche Professuren, bis auf eine Ausnahme mit Sechsjahresverträgen. Doch die Hälfte der zwanzig Neuernannten wurden ordentliche Professoren mit unbefristetem Lehrauftrag, mehr Lohn, Budget und Angestellten. Sie werden das Departement in den nächsten Jahren und Jahrzehnten prägen. Und sie alle sind Männer.

Herzog & de Meuron im Crossdressing auf dem Plakat der ersten ‹Parity Talks›. (Grafik: Völlm + Walthert)

Akademische Aktivisten

Im internationalen Vergleich hat die ETH selbst angesichts ihres technischen Profils wenige Professorinnen. Im globalen ‹race for talents› ist das für Wissenschaftlerinnen ein Minuspunkt. Seit dem Bundesprogramm Chancengleichheit aus dem Jahr 2000 macht der Bund via den ETH-Rat darum regelmässig Zielvorgaben für höhere Frauenanteile auf allen akademischen Stufen, die die Hochschulen ebenso regelmässig nicht erreichen. 2014 verabschiedet die ETH-Schulleitung darum den ‹Gender Action Plan› mit vier Handlungsfeldern: Karriereentwicklung, Genderaspekte in Forschung und Lehre, Vereinbarkeit von Beruf und Familie, Belästigung und Diskriminierung. Die Umsetzung des Plans delegiert sie an die Departemente. Sie ist letztlich freiwillig.

Während das Architekturdepartement selbst zunächst nichts unternimmt, entsteht ab dem Herbstsemester 2014 eine Grass-Roots-Bewegung. Nach einer Schlusskritik mit ausschliesslich männlichen Gästen beschliessen unzufriedene Assistenten und Studentinnen, sich zu engagieren. Im Sommer 2015 gründen sie die ‹Parity Group› und erarbeiten erste Ideen.

Am 8. März 2016, dem 95. Weltfrauentag, veranstaltet die Gruppe die ersten ‹Parity Talks›. Die Plakate – Konzept und Design der Kampagne stammen vom Grafikatelier Völlm + Walthert – zeigen Herzog & de Meuron im Crossdressing, Le Corbusier mit gelbem Haar und blau umrandeten Augen und Gottfried Semper höchstpersönlich mit knallroten Lippen, grünem Lidschatten und roter Perücke. Die Debatte zwischen Departementsangehörigen und Gästen mündet in ‹Neun Punkte für die Gleichstellung›, darunter die Forderung nach «Geschlechter-Parität bei Professuren, Dozenturen, Oberassistenzen, Gastvorträgen und Gastkritiken». Hochparterre publiziert diese neun Punkte in der Septemberausgabe 2016. Zwei Monate später nimmt der SIA den Ball auf. In einem Brief an Annette Spiro und Lino Guzzella, damals Departementsvorsteherin und Schulpräsident, fordert er «weibliche Professuren an der ETHZ».

Die ‹Leaky Pipeline› des ETH-Architekturdepartements vor der jüngsten Berufungswelle. (Quelle: Gender Monitoring 2015/16)

Bauingenieure engagierter als Architekten

Damals wissen die akademischen Aktivisten noch nicht, dass sie eine Zehn-zu-null-Niederlage kassieren werden. Was aber bekannt ist: Seit Jahrzehnten liegt der Anteil der Studentinnen am Departement zwischen einem Drittel und der Hälfte. Das bleibt so bis zur Stufe der Doktorierenden, danach sinkt der Frauenanteil auf der akademischen Karriereleiter zunächst sanft, dann steil. Diese ‹leaky pipeline› ist laut Gender Monitoring 2015 / 16 am Architekturdepartement «steiler als im ETH-Durchschnitt, d.h. die Chancen von Frauen […] vergleichsweise gering». In Zahlen: Mit 44 Prozent Studentinnen liegt das Architekturdepartement damals deutlich über dem ETH-Durchschnitt von 30 Prozent. Trotzdem ist der Professorinnenanteil mit 13 Prozent exakt gleich hoch.

Am 11. März 2016 ernennt die ETH Stefan Holzer zum ordentlichen Professor für Bauforschung und Konstruktionsgeschichte. Eins zu null.

Im Mai 2016 kommt der erste Umsetzungsbericht zum ‹Gender Action Plan› zum Schluss, dass sich «Departemente mit einem tiefen Studentinnenanteil sehr viel engagierter um die Chancengleichheit kümmern». Bei den Bauingenieuren beispielsweise startete die Departementsleitung bereits 2014 einen mehrstufigen Prozess und forderte die Professuren auf, ihren Mitarbeitenden dafür Arbeitszeit freizustellen. Schon 2015 hatten sie 22 Massnahmen in fünf Handlungsfeldern erarbeitet, die über den Faktor Geschlecht hinausgehen. Derweil versuchten bei den Architekten noch ein paar Aufmüpfige aus dem Mittelbau, das Thema überhaupt zu platzieren.

Am 9. Dezember 2016 ernennt die ETH Maarten Delbeke zum ordentlichen Professor für Geschichte und Theorie der Architektur. Zwei zu null.

«Miss Mies» ist der Eyecatcher der zweiten ‹Parity Talks›. (Grafik: Völlm + Walthert)

#MeToo auch in der Architektur

2017 macht das Architekturdepartement in Gleichstellungsfragen erste Fortschritte. «Miss Mies» mit Schmetterlingsbrosche ziert die Plakate der zweiten ‹Parity Talks›. Die Professorenkonferenz bekennt sich nun offiziell zum ‹Gender Action Plan›, und ein informelles ‹Parity Board› entsteht. Die Departementskonferenz verabschiedet die Zielvorgabe ‹50 % + 50 % = 100 % for excellence› für paritätische Berufungskommissionen, Gastkritiken und Vortragsreihen. Die Professorenstufe ist davon ausgenommen, denn hier zählt allein die Exzellenz.

Und dann kommt #MeToo.

Ab Mitte Oktober wirbelt die Bewegung in den sozialen Medien die Filmwelt durcheinander. Bald kursiert auch die anonyme Google-Tabelle ‹Shitty Architecture Men›. Drei ETH-Architekturprofessoren stehen darauf, einer davon mit mehreren Einträgen zu sexueller Belästigung an US-Universitäten. Daraufhin beschliessen ehemalige Mitarbeitende seiner Zürcher Professur, die ETH mit ihren eigenen Erlebnissen zu konfrontieren.

Am 14. Dezember 2017 befördert die ETH Philippe Block zum ordentlichen Professor für Architektur und Tragwerk. Drei zu null.

Für die dritten ‹Parity Talks› entzückt Rem Koolhaas mit seiner femininen Seite. (Grafik: Völlm + Walthert)

Fortschritte dank Belästigungsvorwürfen

Anfangs 2018 sammelt die Fachstelle für Chancengleichheit weitere Vorfälle des Architekturprofessors. Nun melden sich auch Studierende. Die Vorwürfe drehen sich um ein katastrophales Arbeitsklima und sexuelle Belästigung. Mittlerweile ist die Professorenschaft aufgeschreckt. «Seither nehmen sie unsere Anliegen ernster», sagen die zwei Aktivisten.

8. März 2018, Weltfrauentag. Rem Koolhaas blickt mit roten Fingernägeln und Ohrringen aus dem Plakat der dritten ‹Parity Talks›. Bei der darauffolgenden Departementskonferenz ist der Antrag zur Gründung einer Parity- und Diversity-Kommission erfolgreich. Aus dem informellen ‹Parity Board› ist damit eine in der Geschäftsordnung verankerte Kommission entstanden. Ihr Ziel: die neun Punkte umsetzen. Ihre Macht und ihre Mittel: «momentan leider wenig mehr als guter Wille, aber wir bemühen uns um mehr Gehör und Unterstützung», sagt Philippe Block, der mit der Kunstprofessorin Karin Sander, den zwei Aktivisten der ‹Parity Group› und zwei Studierenden zur Erstbesetzung gehört. Die Kommission darf Stellung beziehen zur Besetzung der Berufungskommissionen. Doch inzwischen rollt die Berufungswelle ihrem Ende entgegen.

Am 8. März 2018, dem 97. Weltfrauentag, ernennt die ETH Emanuel Christ und Christoph Gantenbein zu ordentlichen Professoren für Entwurf und Architektur. Fünf zu null.

Am 17. Mai 2018 ernennt die ETH Tom Avermaete zum ordentlichen Professor für Geschichte und Theorie des Städtebaus und befördert Laurent Stalder zum ordentlichen Professor für Architekturtheorie. François Charbonnet und Patrick Heiz werden ordentliche Professoren für Architektur und Entwurf. Neun zu null.

Einen Monat später findet an der Architekturbiennale in Venedig ein feministischer Flashmob statt. An Bord sind mehr als hundert Architektinnen, darunter die Biennale-Kuratorinnen Yvonne Farrell und Shelly McNamara, Elizabeth Diller, Kazuyo Sejima und Benedetta Tagliabue. Die Pritzkerpreis-Direktorin Martha Thorne verliest das Manifest ‹Voices of Women›.

Zeitgleich macht das Online-Portal ‹Tsüri› die laufende Voruntersuchung gegen den ETH-Architekturprofessor publik. Drei Monate später stellt die Hochschule ihn frei und leitet eine Disziplinaruntersuchung ein.

Mittlerweile ist der ‹Gender Action Plan› vier Jahre alt. Im Umsetzungsbericht 2018 steht: «Die bereits 2016 beobachtbaren Unterschiede im Aktivitätslevel der Departemente haben sich eher vergrössert als verkleinert.» Die Architekten können nun immerhin die neue Kommission, die ‹Parity Talks›, ein Gender-Wahlfach und ein paritätisches Doktoratsprogramm vorweisen. Die Fortschritte der Bauingenieure füllen bereits einen 13-seitigen Bericht. Eine eigene Website zum Thema listet die ETH-weit erste Ansprechperson auf Departementsstufe auf, und eine ‹Gender Diversity Kommission› beginnt 2019 ihre Arbeit.

1985 wurde die Tessiner Architektin Flora Ruchat-Roncati die erste ETH-Professorin überhaupt. (Copyright: Archivio del Moderno)

Patriarchat Schweiz

«Die Schweiz ist eine patriarchalische Gesellschaft», betitelt die NZZ im Dezember 2018 ein anderthalbseitiges Interview mit Philip Ursprung. Im Lauftext ergänzt der Departementsvorsteher: «Und die Hochschulen sind Teil davon.» In der Tat kam das Frauenstimmrecht hierzulande erst 1971, also ein halbes Jahrhundert nach den meisten Ländern Mitteleuropas. 1981 folgte der Gleichstellungsartikel. Als Elisabeth Kopp 1984 erste Schweizer Bundesrätin wurde – damals noch «Frau Bundesrat» –, war die Ehe ein Verfügungsrecht. Auch als die Tessiner Architektin Flora Ruchat-Roncati im Jahr darauf die erste Professorin der gesamten ETH wurde, brauchten Frauen noch die Unterschrift ihres Mannes, um einen Job anzunehmen. Erst 1988 änderte sich das. 1991, im Jahr des Frauenstreiks, entstanden die Gleichstellungsbüros von ETH und Universität Zürich. 2004 kam der Erwerbsersatz während des Mutterschaftsurlaubs per Volksabstimmung. Beim Vaterschaftsurlaub ist die Schweiz noch immer ein europäisches Schlusslicht.

Die akademische Welt ist ein Spiegel dieser Gesellschaft. In den Statistiken der ‹International Alliance of Research Universities›, eines Elite-Uni-Verbunds von Nordamerika bis Australien, haben nur die Universitäten von Tokio und Singapur weniger Professorinnen als die ETH, selbst in den Bereichen Physik, Technik, Ingenieurswissenschaften und Mathematik. Mit 14 Prozent Professorinnen liegt die EPFL praktisch gleichauf. Zum Vergleich: Die Schweizer Fachhochschulen haben meist um die 30 Prozent Professorinnen und Dozentinnen. An den Universitäten sind es meist knapp ein Viertel. Bei den Uni-Studierenden ist der ‹gender shift› derweil längst passiert: 2001 begannen erstmals mehr Frauen als Männer ein Studium. Seit 2008 sind sie gesamthaft in der Überzahl.

Ernennungen am ETH-Architekturdepartement 2015-18. (links ausserordentliche Professorinnen, rechts ordentliche Professoren)

Auf dem richtigen Weg?

Nachdem ein Artikel über die Belästigungsvorwürfe in den Damentoiletten hängt, sagt eine junge Entwurfsassistentin: «Mir hängt die Fifty-fifty-Rhetorik zum Hals raus, das Patriarchat ist doch längst Vergangenheit.» Fast alle Assistentinnen und Doktorandinnen berichten von einer diskriminierungsfreien und interessanten Umgebung. Ältere Wissenschaftlerinnen sagen eher Dinge wie: «Mit Glück leiten Frauen eine Forschungsgruppe oder bekommen einen befristeten Lehrstuhl oder eine Titularprofessur. Die grossen Futtertröge gehen immer an Männer.»

Am 13. Dezember 2018 ernennt die ETH Freek Persyn zum ordentlichen Professor für Architektur und urbane Transformation. Zehn zu null.

Persyn ist der sechste Belgier, der seit 2016 ans Departement berufen wird. Dazu kommen je zwei Deutsche und Franzosen, ein Holländer, eine Serbin und eine Japanerin. «Die Nationalität spielt keine Rolle», erklärte Philip Ursprung bereits in Hochparterres Aprilausgabe 2018.

Und das Geschlecht, spielt es eine Rolle? Am Tag von Persyns Berufung stellt Hochparterre Philip Ursprung diese und andere Fragen: Ob die Taten, die er in der NZZ aufzählte – die neue Kommission, die Fünfzig-zu-fünfzig-Vorgabe, die ‹Parity Talks› –, nicht vorab Dinge sind, die akademische Aktivisten in ungezählten Freizeitstunden erkämpften? «Das Departement besteht nicht nur aus der Professorenschaft, und darum begrüssen und unterstützen wir Initiativen aus dem Mittelbau und von den Studierenden.» Wie weit ist das Departement von sinnvoller Diversität entfernt? «Wir sind weiter, als es von aussen scheinen mag und auf dem richtigen Weg, allerdings liegt auch noch ein Stück vor uns.» Warum besetzte die ETH die ordentlichen Lehrstühle ausschliesslich mit Männern? «Wichtiger als der Status der Professuren ist, dass wir in der letzten Berufungswelle sechs Professorinnen gewinnen konnten.» Welche Rolle spielten die Vorwürfe wegen sexueller Belästigung bei den jüngsten Fortschritten für die Chancengleichheit? «Im bereits laufenden Prozess dienten sie sicherlich als Katalysator, um unser Bewusstsein für Machtgefälle und Chancengleichheit noch zu schärfen.»

Die Vereinbarkeit von Familie und Karriere ist ein Knackpunkt im Ganzen, aber sie ist nicht der einzige.

Komplizierter als Kinder

«Diese Themen sind präsenter als zuvor», sagt Entwurfsprofessor Adam Caruso, «und die Neuernannten sind diesbezüglich bewusster und interessierter.» Philippe Block bestätigt das und fügt an: «Mittlerweile ist die Stimmung sehr angespannt. Viele haben Angst, etwas Falsches zu machen oder zu sagen, Angst auch gegenüber den Medien. In der High-Speed- und High-End-Wissenschaft begegnen junge Eltern, die in leitenden Positionen kürzertreten wollen, erheblichen Barrieren. Über diese Dinge müssen wir offen sprechen, wollen wir die bestmöglichen Strukturen aufbauen. An unserem Institut diskutieren wir derzeit, wie sich erweiterter Mutterschutz und Elternzeit für beide Partner finanzieren liessen.»

Immer wieder geht es in den Gesprächen zur Chancengleichheit um Kinder. Ist es ein Zufall, dass die einzigen drei ordentlichen Architekturprofessorinnen keine haben? Die Vereinbarkeit von Familie und Karriere hat sich in den letzten zwanzig Jahren zwar entwickelt, doch in profilierten Jobs ist sie noch immer eine Herausforderung. Für die Kinderbetreuung während Departementsvorträgen ist mittlerweile gesorgt, doch bei Schlusskritiken, Lehrstuhlveranstaltungen oder Symposien ist das nicht der Fall. «Wir wünschen uns eine Hochschule, die sich weniger auf privat organisierte Kinderbetreuung verlässt oder Veranstaltungen zeitlich familienverträglicher ansetzt», sagen die Aktivisten der ‹Parity Group› und kritisieren: «Die Mutterschaftspause ist zwar bezahlt, aber dass der Vertrag nicht entsprechend verlängert wird, diskriminiert Frauen explizit. Diese Zeit fehlt den Müttern eins zu eins, beispielsweise um ihre Doktorarbeit zu schreiben.» Ein emeritierter Professor sagt: «Man kann das alte Modell umdrehen – der Mann kümmert sich um die Kinder, die Frau macht Karriere –, aber beides gleich aufteilen geht nicht in Jobs, die einen mit Haut und Haaren fressen. Im Übrigen braucht eine Frau, die Karriere macht, einen Mann, der das mitträgt – und erträgt.»

Kinder- und Familienfragen erklären nicht alles abschliessend. Ein Beispiel: Zwischen 1986 und 2017 reichten Frauen am Institut für Geschichte und Theorie der Architektur (GTA) 36 von 91 Doktorarbeiten ein. Dennoch ist das Institut seit der Gründung 1967 fest in Männerhänden. Die drei Jahre dauernde Titularprofessur von Ita Heinze-Greenberg sieht da wie ein aus der Reihe tanzendes Intermezzo aus. Sie sagt: «Persönlich würde ich mich an einem paritätisch besetzten Institut und Departement wohler fühlen, so wie ich es am Technion in Haifa in den Achtziger- und Neunzigerjahren erlebte.»

Immer wieder geht es in den Gesprächen zur Chancengleichheit auch um unbewusste Vorurteile und tief verankerte Rollenbilder, um die Erziehung von Jungen und Mädchen, um Erfolgskriterien und Führungsstile, die Dynamik von Männer- und Frauengruppen und die Frage: Wie überwinden wir die Opferrolle der Frauen zugunsten einer gemeinsamen Aufgabe?

Nach den jüngsten Fortschritten stehen viele Ideen für die Zukunft im Raum.

Wie weiter?

Die akademischen Aktivisten erhoffen sich nun den Durchbruch für ihre Anliegen, nicht bloss etwas mehr Budget für die nächsten ‹Parity Talks› im März: «Im Fahrwasser des Belästigungsfalls sind wir einen Schritt vorangekommen, doch nun braucht das Departement eine festangestellte Diversity-Delegierte mit einer kompetenten und strategischen Vision. Denn wir und die Studierenden, die sich engagierten, sind temporäre Figuren.»

Die Parity- und Diversity-Kommission nimmt derzeit Stellung zur Besetzung der Berufungskommissionen. Sollte sie auch Kandidierende kommentieren dürfen? Sie brütet auch darüber, wie weibliche Vorbilder im Curriculum mehr Platz erhalten könnten und wie sich genderrelevante Themen fest verankern liessen. Die Studierenden sollen öfters die Werke von Lina Bo Bardi, Charlotte Perriand und Eileen Gray sehen, von Lux Guyer, Flora Steiger-Crawford und Flora Ruchat-Roncati. «Langfristig muss es aber um mehr als um das Geschlecht gehen, Diversität beinhaltet Fragen von Rasse und Klasse, Ethnie und Identität», sagen die Aktivisten. «Die Studierenden werden vielfältiger und stellen entsprechende Fragen, darauf muss der Lehrplan antworten.» Und natürlich brauche es weibliche Vorbilder, also Professorinnen. «Ohne positive Diskriminierung kommen wir da nie ans Ziel.»

Bis 2025 verlassen fünf ordentliche Professoren das ETH-Architekurdepartement, und die drei einzigen ordentlichen Professorinnen.

Eine zweite Chance

Nun ist der Generationenwechsel passiert. In den letzten zwei Jahren hat die ETH je vier Frauen – An Fonteyne, Momojo Kajima, Anne Lacaton und Elli Mosayebi – und vier Männer – Arno Brandlhuber, Anne Holtrop, Alexandre Theriot und Jan de Vylder – zu ausserordentlichen Entwurfsprofessorinnen mit Sechsjahresvertrag ernannt. Am Institut Stadt der Gegenwart arbeitet Milica Topalovic seit 2018 ebenfalls als ausserordentliche Professorin. Ita Heinze-Greenberg, seit 2016 Titularprofessorin am GTA, wird Ende 2019 emeritiert.

Im Februar 2019 ist die Lage dennoch eindeutig: Der Departementsvorsteher und die sieben Institutsleiter sind Männer, vier Institute haben keine einzige Professorin. Insgesamt stieg der Frauenanteil zwar auf zwanzig Prozent, doch bei den ordentlichen Professuren stehen 31 Männer drei Frauen gegenüber: Annette Gigon, Karin Sander und Annette Spiro. Alle drei werden bis 2025 emeritiert, ebenso wie die fünf ordentlichen Professoren Marc Angélil, Andrea Deplazes, Mike Guyer, Marcel Meili und Markus Peter. Die nächste Berufungswelle rollt heran.

Kommentare

Ladina 20.02.2019 08:37
Ich freue mich sehr auf den Moment, ab dem über Qualifikation anstelle Quoten gesprochen wird und ich als Frau nicht mehr wie ein unterstützungsbedürftiges Wesen ("begrüssen insbesondere Bewerbungen von Frauen oder Menschen mit Behinderung") dargestellt werde, sondern wie eine Person, die sich wie jede andere Person auf eine Position bewerben kann und sie bekommt, wenn die Qualifikation dafür die Beste aus den zur Verfügung stehenden ist. Es hinterlässt einen sehr fahlen Beigeschmack, eine gute Stelle zu erhalten und stets im Hinterkopf zu haben, es könnte vornehmlich auf mein Geschlecht, meine Herkunft, oder meine Behinderung zurückzuführen sein. Es ist erforscht und alt bekannt, dass jedes Gremium mit Diversität besser wird. Und wer Führungsgremien erlebt, weiss, dass ganz viele davon um Diversität ringen, es jedoch an ebensolchen Bewerbungen mangelt. Wirklich aussagekräftig wäre also nur die Zahl der bestqualifizierten und abgewiesenen Frauen auf die genannten Positionen an der ETH. Ich wage zu behaupten sie beträgt null.
prokne 15.02.2019 02:57
Nochmal @urs: Ja, bleiben wir bei den "facts". Allerdings: Der zitierte USA today-Artikel ist kein redaktioneller Beitrag, sondern steht unter "opinion und einige der Aussagen sollten mit Sicherheit historisch-kritisch hinterfragt werden. Wir sprechen ja hier von akademischen Einrichtungen, da darf auch akademisches Handwerk und Denken gefordert werden. Der genannte Artikel insinuiert eine geradezu verkehrte Welt, die in amerikanischen Colleges Einzug gehalten habe, als ob dort das Goldene Zeitalter der Frauen angebrochen sei. Aber die Wirklichkeit (facts!) sieht etwas anders aus. Women's Health centers etwa, die in dem Artikel als Beispiel für Privilegierung genannt werden, sind ja nicht entstanden, um Männer zu diskriminieren und Frauen zu privilegieren, sondern weil der Mainstream männlich war und damit auch die medizinische Versorgung an den Hochschulen, Frauen sich darin nicht gut und gerecht behandelt fühlten und ihre gesundheitlichen Probleme andere waren als die von Männern. Wenn eine Männerbewegung nun dasselbe für sich geltend macht, können sie ja mit guten Argumenten bestimmt auch Männergesundheitszentren gründen. - "Dieser allgemeine Gender-Diskurs" ist nicht dasselbe wie die Forderung nach Chancengleichheit und Gleichstellung von Frauen und Männern. Letztere Forderung kommt nicht aus den USA, sondern spätestens aus der europäischen Aufklärung des 18. Jahrhunderts. Ersterer, der Gender-Diskurs ist ursprünglich auch ein europäisches Gewächs, denn er wäre ohne eine Simone de Beauvoir und dann die französische postmoderne Theorie wohl nicht möglich gewesen (Verzeihung an die Spezialist*innen für die sehr verknappte Darstellung). Beide Diskurse sind verknüpft, aber NICHT derselbe Diskurs. Angesichts der Umsetzung von Massnahmen zur Chancengleichheit an amerikanischen Universitäten möchten wir fast mit dem grossen europäischen Mann Goethe ausrufen "Amerika, du hast es besser ", wäre da nicht ...
prokne 15.02.2019 02:52
@urs: Können Sie uns Ihre 4:4-Rechnung erklären? Gerne hätte ich auch gewusst, woher Sie die Zahl zur Gründung von Architekturbüros durch Männer haben und welche These Sie dazu haben, warum vielleicht immer noch mehr Büros von Männern gegründet werden als von Frauen? - Ich muss sagen, dass ich Ihre Verdreh-Argumentation höchst faszinierend finde. Gilt teils auch für @anon. Dass die TU Wien nur noch Frauen anstellen würde, dafür hätte ich auch gerne einen Beleg gesehen - haben Sie verstanden, dass bei "Assistent_innen" Männer "mitgemeint" sind? Nun ja, die Gleichstellung hat Folgen, wenn sie denn erfolgt. @urs: Ja, die Forderung nach gleichen Chancen bei der Anstellung in der Lehre und Forschung ist absolut und nicht relativ, dem Verhältnis der Anzahl der bestehenden männlich oder weiblich geführten Architekturbüros entsprechend. Die Frage ist ja gerade, warum weniger Frauen als Männer solche Büros gründen und wie wir das ändern können. Wenn der Massstab der Status quo ist, dann ändert sich ja nichts. Oder ist es das, was Sie wollen?
prokne 15.02.2019 02:51
Danke, lieber Herr Petersen, für den informativen und richtigen Artikel, der Erfahrungen bestätigt und andererseits Wissenslücken schliesst. Was ist nun mit der Denkmalpflege-Professur, weiss man da was? Wir sind gespannt auf mehr.
urs 14.02.2019 12:36
@Markus Brändle-Ströh, das Resultat aus den letzten Berufungen lautet ja, entgegen dem reisserischen Titel: Vier zu vier. Und das notabene in einer Branche, wo 90% der Büros von Männern gegründet werden. Man kann es also auch so ausdrücken: Die Chance von männlichen praktizierenden Architekten auf eine Professur ist massiv kleiner als von weiblichen praktizierenden Architekten. Für weibliche Berufstätige ist die soziale Durchlässigkeit offen wie nie - für Männer ohne die notwendigen sozialen oder finanziellen Ressourcen ist diese Durchlässigkeit praktisch verbaut.Und das nennen wir dann Chancengleichheit.
Markus Brändle-Ströh 14.02.2019 10:38
@urs: aha, soso - demnach lautet das Zwischenresultat am Poly Null zu Zehn!!?? Haha!
urs 14.02.2019 08:43
@markus brändle-ströh, "einen Blick ins Innere der Struktur und Kultur von Gesellschaft und Hochschule – und sichtbar wird (auch in der ETH) die systematische und systemimmanente Benachteiligung der Frauen". dazu einen interessanten artikel aus der tageszeitung usa today. in tat und wahrheit werden an den unis in der usa (woher dieser allgemeine genderdiskurs und diese vorwürfe stammen) nämlich die männer diskriminiert, und das seit jahrzehnten (und wie wir wissen, kommen die amerikanischen gepflogenheiten nach einigen jahren auch bei uns an). aktuell angelaufen in den usa eine welle erfolgreicher breit unterstützter klagen von männern unter dem title IX gegen die massive privilegierung von frauen an hochschulen. ich finde, man sollte in dieser debatte, entgegen ihrer ideologischen phrasen, bei den facts bleiben. "Higher education discriminates against men, but Title IX complaints may change that " https://eu.usatoday.com/story/opinion/2019/02/12/colleges-universities-discriminate-men-title-ix-complaints-toxic-masculinity-column/2831834002
Markus Brändle-Ströh 13.02.2019 10:31
Die akademische Welt ist ein Spiegel der Gesellschaft. Am Beispiel der ETH ermöglicht uns die faktenbasierte Chronologie von Palle Petersen einen Blick ins Innere der Struktur und Kultur von Gesellschaft und Hochschule – und sichtbar wird (auch in der ETH) die systematische und systemimmanente Benachteiligung der Frauen. So wird es möglich, den „courant normal“ (die von Männern dominierte Schichtung) zu hinterfragen und eine institutionell abgesicherte strategische Gegen-Vision zu etablieren: Schluss jetzt mit den Wiederholungszwängen!
Anon 13.02.2019 09:46
Leider sind wir weit entfernt von Chancengleichheit in der Forschung. Im Moment hat Man, als 40-jähriger männlicher weisser Mitteleuropäer, nicht unbedingt gute Karten auf dem sehr schwierigen akademischen Job-Markt. Das fängt damit an, dass der SNF einen Teil seiner Fördermittel neuerdings in ein spezielles Förderprogramm für Frauen fliessen lässt (Prima) und geht so weit, dass z.B. die TU Wien ausschliesslich nach weiblichen Kandidaten für Assistenzprofessuren sucht. Alle anderen Unis "begrüssen insbesondere Bewerbungen von Frauen oder Menschen mit Behinderung". Und dann ist da noch die Diskriminierung nach Alter. Die ETH schreibt in ihren Ausschreibungen für Assistenzprofessuren, dass Kandidaten ab einem Alter von 35 Jahren besser von einer Bewerbung absehen sollten. Wer also nicht direkt von der Schule zum Studium, zum Doktorat und dann zum Postdoc übergegangen ist, ist quasi raus. So etwas wäre in den USA undenkbar, wo persönliche Merkmale, wie das Alter, absolut nicht auf den Lebenslauf gehören. Auch wenn ich jeden Effort begrüsse, Chancengleichheit zu fördern, so geht aktuell doch ein Stück weit die Objektivität verloren. In meinen Augen sollten die besten Bewerber ausgewählt werden und nicht diejenigen die gerade eine Quote erfüllen. In der Konsequenz heisst das, dass mehr darüber nachgedacht werden sollte wie mehr Bewerber aus Minderheiten auf den Jobmarkt gebracht werden können und wie Objektivität in den Bewerbungsverfahren gewährleistet werden kann.
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