Edouard Manets Gemälde «Le Déjeuner sur l'Herbe» von 1863 Fotos: Edouard Manet via www.carusostjohn.com

Was ist modern?

Gestern Abend hielt Adam Caruso seine Antrittsvorlesung an der ETH Zürich. Statt über seine eigenen Werke zu erzählen, sprach er über Architektur, Kunst und Philosophie, die ihn inspiriert – von Gottfreid Semper über Pablo Picasso bis Marcel Proust.

Der Zeitpunkt könnte perfekter kaum sein: Während die Spuren der monumentalen Ausstellung über Hans Kollhoff noch auf dem Boden des Hauptgebäudes der ETH Zürich sichtbar sind, hielt Adam Caruso am gestrigen Vorabend im Auditorium Maximum seine Antrittsvorlesung. Zwar lehrt er bereits seit einem Jahr am Architekturdepartement, doch erst hiermit trat er formell die Nachfolge von Kollhoff als fester Entwurfsprofessor an. Also waren alle gekommen, um ihm zuzuhören - die versammelte Professorenschaft, sein Büropartner Peter St. John, seine Familie und natürlich zahllose Assistenten und Studenten, die sämtliche Ränge füllten.

Was ist dies nun für ein Architekt? Einer, der seinen Vortrag unter den Titel «What is modern?» stellte und als Titelbild Edouard Manets Gemälde 'Le Déjeuner sur l'Herbe' von 1863 wählte. Einer, der mit keinem einzigen Wort seine eigene Architektur erwähnte und stattdessen über die Dinge sprach, die ihn interessieren und inspirieren. Einer, der neben Architektur auch Kunstgeschichte und Mathematik studierte und seinen Büropartner beim britischen Ingenieurbüro Arup kennenlernte. Adam Caruso präsentierte sich gestern als Intellektueller, den vor allem schreibende Architekten faszinieren. Allen voran Personen wie Gottfried Semper oder Adolf Loos, deren Schriften weit über die Architektur hinausweisen und sich mit der gesamten kulturellen Praxis beschäftigen. Einen solcherart komplexen, «leicht abgelenkten Zugang» verfolgte er denn auch in seiner Antrittsvorlesung und verknüpfte Kunst, Architektur und Philosophie seit 1850.

Er begann bei Gottfried Semper, Adolf Loos und T.S. Eliot, raste über Pablo Picasso, Igor Strawinsky und Marcel Proust hinweg, legte einen Zwischenstopp bei Zaha Hadid ein, um in der Folge zu Charles-Pierre Baudelaire und Edouard Manet weiterzufahren. Von dort aus ging es über Louis Sullivan und Andreas Gursky direkt zu Rem Koolhaas, Fischli-Weiss, Aby Warburg, Jože Plečnik, Auguste Perret und Otto Wagner. Wem der Kopf nun brummt vor lauter Namen, kann zur Essaysammlung «The Feeling of Things» greifen, in der viele im allzu dicht gepackten, wenn auch interessanten und präzisen Vortrag bloss gestreiften Gedankengänge etwas gemächlicher dargelegt werden.

Adam Caruso sieht sich als Teil eines Postmodernismus, der die «heroische Moderne» – architektonisch gesprochen den «International Style» – als positivistische Bewegung ablehnt, die in Diskontinuität und absolutem Bruch zur Vergangenheit stand. Die gesamte Geschichte ist ihm Ausgangspunkt einer angestrebten Moderne, die sich aus der Geschichte heraus ernsthaft und doch unverkrampft entwickeln sollte. Hierfür nannte er beispielhaft Giovanni Muzios Mailand, Auguste Perrets Paris, Otto Wagners Wien und Louis Sullivans Chicago. Sichere, am Architekturdepartement der ETH Zürich wohlvertraute Werte. Hier haben wir keinen Revolutionär, sondern einen Evolutionär, der gut in die Reihen der ETH-Professorenschaft passt und den Blick auf die Gesellschaft dabei in kunsthistorischer und philosophischer Perspektive weitet. In einem durchaus pathetischen Schlusswort forderte er «Realismus, Kontinuität und einen sozial und physisch engagierten Modernismus». Auf gutes Gelingen!

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