Jean Nouvels Hotel Sofitel Stephansdom neigt sich grau in grau Hans Holleins Media Center entgegen Fotos: zVg

Vier Tage in edlem Grau

Jean Nouvel ist bekannt für eine Architektur ohne Firlefanz. Wie streng sie für den Gast sein kann, lernt, wer für einige Tage in Wien im Hotel Sofitel Stephansdom logiert. Es passt bestens in eine Stadt, die den touristischen Klischees entwachsen ist.

Jean Nouvel ist bekannt für eine Architektur ohne Firlefanz. Wie streng sie für den Gast sein kann, lernt, wer für einige Tage in Wien im Hotel Sofitel Stephansdom logiert. Es passt bestens in eine Stadt, die den touristischen Klischees entwachsen ist.

Im Januar 2011 als Filiale der französischen Hotelkette eingeweiht, steht das achtzehnstöckige Gebäude, 75 Meter hoch, an der Ecke Prater-, Taborstrasse. Wie gut es gelegen ist, erschliesst sich im Restaurant Le Loft, das die gesamte Fläche im achtzehnten Stock einnimmt. Die geschosshohen Fenster erlauben eine spektakuläre Rundsicht über die Stadt. Gegen Nordost grüsst das Riesenrad vom Prater, gegen Süden fällt der Blick auf den schiffbaren Donaukanal, über die Schwedenbrücke bis hin zum Stephansdom. Der Kanal trennt die nördlichen Bezirke von der Innenstadt, markiert die Grenze der Zone, in der Hochhäuser erbaut werden dürfen vom historischen Stadtkern. Im Westen, gleich gegenüber neigt sich der Media-Tower von Hans Hollein in den Strassenraum – eine Referenz, die Jean Nouvel zurückgibt, und so scheinen sich die beiden Hochhäuser gegenseitig zuzunicken.
 
An dieser Lage befand sich früher die Wiener Zentrale der Bundesländer-Versicherung, in den Fünfzigerjahren erbaut von Georg Lippert. Die Besitzerin Uniqa Versicherung liess 2004 einen zweistufigen Wettbewerb ausschreiben. Jean Nouvel setzte sich unter anderen gegen Richard Rogers, Murphy/Jahn und Rafael Moneo durch. Sein Entwurf bietet in einem fünfstöckigen Sockelgeschoss Raum für die allgemein zugänglichen Bereiche des Hotels: Foyer, ein Wintergarten, Atrium, Konferenzräume und ein Wellnessbereich. Auf drei Etagen gegen die Taborstrasse ist ausserdem Stilwerk eingemietet, ein Anbieter für Wohndesign. Darüber folgen zwölf Geschosse für 182 Zimmer und das Restaurant. Der graue Monolith mit einem strengen Fassadenraster schliesst mit einer verglasten Krone ab. Im Innern des Gebäudes setzt sich der Farbverzicht und die strenge Form fort. Die Zimmer gegen Süden sind monochrom in grau gehalten: Grau sind Boden, Wände, Decken, Einbauschränke, Schreibpult und Stuhl, grau ist das Bett, grau die Wanne im offenen Badezimmer mit Dusche und Regendusche, grau und eckig die vom Hersteller Wittmann in seine Kollektion aufgenommenen Sessel und Hocker. Einzig Lampenschirme, Bett- und Frottéwäsche leuchten weiss. Und die Soft Touch-Oberflächen mögen den einen oder anderen Gast für die visuelle Askese entschädigen. Textiles sucht man sonst vergebens: kein Teppich, keine Vorhänge, keine Wandbespannung. Dafür gibt es Schiebefenster, deren Mechanismus Jean Nouvel eigens entworfen hat und die sich je nach Bedarf nach Aussicht auf die Stadt schliessen oder öffnen lassen. Der Ausblick ersetzt alles, was an unmotivierter Deko sonst so in Hotelzimmern herumhängt. Erst wer genau hinschaut, entdeckt mit Bleistift geschriebene Zeichensymbole an der Decke – Teil des Kunstprojekts, für das die zurückhaltende Farbigkeit den Rahmen bietet.

Er bietet auch Pipilotti Rist einen fulminanten Auftritt. Grossformatige Installationen aus ihrer üppigen Bildwelt begrüssen den Gast bereits vor dem Betreten der Lobby: Im spitz zulaufenden Vordach leuchtet ein überdimensioniertes Auge. Der Blick fällt in Nasenlöcher, auf Blumen, in Rotblaugrünorangegelbviolett. Grösser könnte der Kontrast zur dunkelgrauen Eingangssituation und Lobby nicht sein. Die Künstlerin, die von Jean Nouvel beauftragt wurde, ist für die Gestaltung von vier weiteren Decken verantwortlich, unter anderem die des Restaurants. Die Decke zieht sich über den ganzen Raum, zwei Videoprojekten sind darin integriert. LED-Strahler, die für dieses Projekt entwickelt wurden, lassen die Farben strahlen. 20 Prozent der Lichtkraft müssen aus ökologischen Gründen genügen (das entsprechende Label ist dem Hotel wichtig). Aber auch so bricht sich die leuchtende Decke in der Glasfassade und scheint mit dem Nachthimmel zu verschmelzen. Wie eine Ampel leuchtet die Decke weit herum sichtbar in der Nacht in die Stadt.

Die Handschrift von Nouvel, die sich bis in die Möblierung durchzieht, bietet den Werken von Pipilotti Rist einen Rahmen, in der sich die üppige Farb- und Bildwelt wie ein gefasster Diamant entfalten kann. Aber vielleicht ist es gerade diese starke Fassung, die ihrer Kunst den letzten Rest Anarchie austreibt. Obwohl sich Nouvel so explizit gegen «Dekorateure und Raumausstatter» ausspricht – in den Dienst genommen hat er die Kunst von Rist alleweil.

Der Gast ist ihm deswegen nicht besonders gram. Zusammen mit der begrünten, üppig wuchernden 600 m2 grossen Wand des französischen Künstlers Patrick Blanc bringt Rist so etwas wie eine Gegenwelt in die kontrollierte, gedämpfte Atmosphäre des Fünfsternehotels. Ohne diese Interventionen wäre uns das viele Grau vielleicht doch zu mönchisch erschienen.

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Kommentare

Meret Ernst 22.10.2013 15:28
Asche auf mein Haupt, Herr Leuzinger. Ein Schnappschuss, mehr nicht - mangels Alternativen. Und die Bildbearbeitung hätte daraus wohl auch nicht viel Gescheiteres gemacht. Dass sich nur die Westseite der Fassade neigt und nicht das Gebäude, haben Sie natürlich richtig erkannt.
Urs Honegger 22.10.2013 14:56
Wir haben heute neue Werbe-Tags eingebaut. Offenbar funktionieren diese noch nicht einwandfrei. Wir bitten um Entschuldigung. Urs Honegger, Hochparterre Online.
Alexander Neumann 22.10.2013 13:46
gern wollte ich mir die "irreführenden" Bilder des Beitrags anschauen, aber die recht aufdringliche Nespresseo-Werbung lässt mich das meiste leider nur erahnen...
Henri Leuzinger 22.10.2013 13:37
Pardon, geschätzte Redaktion, das Bild hier ist ein überaus schreckliches Beispiel einer irreführenden Architekturfotografie – und zu allem übel noch unterstrichen durch die Legende. Die graue Kiste ist in Wirklichkeit keineswegs komplett schräg, sondern hat eine angeschrägte Fassade. Es stünde einem Magazin für Architektur, Planung und Design gut an, das neue Hotel korrekt zu zeigen und nicht mit missratenen Helgen. Und falls nichts Vernünftiges vorhanden war, hätte man die verkippte Foto wenigstens aufrichten können in der Bildbearbeitung. Ist das zu viel verlangt? Henri Leuzinger
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