Baukultur als identitätspolitisches Programm der Neuen Rechten? Die Berliner Architekturzeitschrift Arch+ machte sich auf die Suche.

Rechte! Räume!

Die Architekturzeitschrift Arch+ hat in Deutschland eine Debatte losgetreten. Das Heft ‹Rechte Räume› reist durch Europa und zeigt reaktionäre Bewegungen. Und dabei leider wenig Architektur.

Sie haben es wieder getan. Unsere Kollegen der Berliner Zeitschrift Arch+ haben sich wieder eines Themas angenommen, das brennt: dem politischen Rechtsruck Europas. Den Bewegungen mit völkischer, reaktionärer oder nationalkonservativer Ideologie. Ist ja erstmal nichts Neues, berichtet jede Zeitung drüber. Das Besondere: Arch+ ist eine «Zeitschrift für Architektur und Urbanismus». Es geht also um so etwas wie identitäres Bauen. Chefredakteur Anh-Linh Ngo schreibt im Editorial: «In ihrem Triumphzug führt die Neue Rechte als Beute die Baukultur als identitätspolitisches Programm mit». Sein Versprechen löst die Nummer 235 «Rechte Räume» allerdings nicht ein. Aber von vorn.

Die Gastredaktion des Heftes übernahm Stephan Trüby, Professor für Architekturtheorie an der Universität Stuttgart. Bereits im April 2018 sorgte ein FAZ-Artikel von ihm für Aufruhr, in dem er rechtsnationale Kräfte hinter dem Wiederaufbau der Frankfurter Altstadt aufspürte (über den Wiederaufbau: HP 9/2018). Ebendiese neu gebaute Altstadt ist auch eine der Stationen der «Europareise», die er mit seinen Studenten unternahm und im aktuellen Arch+-Heft dokumentiert. unter den weiteren Stationen sind der Geburtsort Mussolinis, das Burgviertel Budapests (das in einen früheren Zustand rekonstruiert werden soll) oder der Königsplatz in München zur Nazizeit. Dazwischen gibt es Ausflüge in verschiedene Länder Osteuropas und in die Schweiz.

Der Beitrag aus der Schweiz heisst «Normalisierung von Rechts», geschrieben hat ihn Rebekka Kiesewetter. Das Land sei «die Avantgarde des Rechtspopulismus in Europa», der hier mit den Mitteln der direkten Demokratie gross geworden sei. Präsentiert werden die üblichen Verdächtigen: Blocher, Köppel, Somm, auch der AfD-Werber Thor Kunkel und die nach Rechts rutschende NZZ. Es geht also viel um Medien, um Goldreserven, Reduit und die «strukturelle Diskriminierung von Menschen mit Migrationshintergrund und Frauen». Soweit, so blöd, aber auch bekannt. Doch wo ist die Architektur? Wo die Rechten Räume? Ah, Rütli-Wiese, Bunker und Blocher-Schloss, gähn. Im Vorbeigehen diskreditiert die Autorin den Landi-Stil von 1939 als «heimattümelndes Gesicht mit technokratisch-modernem Einschlag» und zeigt den Sitz des Ostschweizer Industriellen Daniel Model, wo «vier Organe der Reichsbürger» registriert seien. Beides, der bis heute nachwirkende Landi-Stil, wie auch der aus monolithischen Sandsteinen gemauerte ‹Modelhof›, hätten interessante Ausflüge in die Sphären konservativer, vielleicht auch reaktionärer Architekturformen werden können. Hier bleibt es aber beim Erwähnen.

Eine öffentliche Debatte brach ein anderer Beitrag los, derjenige aus Berlin. Hans Kollhoff hat den Walter-Benjamin-Platz bereits 2000 fertig gestellt, die Autorin Verena Hartbaum ihren Artikel 2013 erstmals veröffentlicht, doch erst der Kontext des Rechte-Räume-Heftes machte ihn explosiv. Stein des Anstosses ist nicht (nur) die Mussolini-Strenge der beidseitigen Kollonaden, sondern eine pathetische Inschrift, die der Architekt in den Granit einer der Bodenplatten meisseln liess: «Bei Usura hat keiner ein Haus von gutem Werkstein. Die Quadern wohlbehauen, fugenrecht, dass die Stirnfläche sich zum Muster gliedert.» Ungenannter Autor des Zitats von 1936: der als Antisemit bekannte Amerikanische Schriftsteller Ezra Pound, für den «Usura» nicht bloss Wucher bedeutet habe, so Arch+, sondern jüdische Weltverschwörung. Nicht Kollhoffs Idee war, den Platz ausgerechnet nach dem jüdischen Literaten zu benennen, der sich auf der Flucht vor den Nazis das Leben nahm. Diese Widersprüche seien doch interessant, meint Kollhoff. Das sei unerträglich, meint Arch+.

Die gesammelte Tagespresse fand, die Fachkollegen von Arch+ übertrieben doch etwas. Sie sollten doch, bitteschön, das Bauen nicht mit Gesinnung verwechseln, schrieb die Süddeutsche Zeitung. Die FAZ sah im Heft eine «Antisemitische Flaschenpost» und provozierte damit eine Erwiderung von Arch+. Der Spiegel wiederum sprach mit Kollhoff, weil «der Faschismusverdacht einer ist, der einen Menschen vernichten kann». Den Faschismusverdacht der Arch+ trifft den Berliner Architekten nicht zum ersten Mal. 1994 widmete sich ein Heft einer Gruppe konservativer Architekten – darunter Hans Kollhoff – die aus der alt-frischen Hauptstadt Deutschlands ein «Neuteutonia» machen wollten. Vor 25 Jahren ging es noch klar um den Kampf gegen eine bestimmte architektonische Haltung – der ‹steinernen›, sprich: historisierenden. Zur aktuellen Arch+-Ausgabe sagte Stephan Trüby der ‹Zeit›, es gebe keine per se rechte oder linke Architektur, aber es gebe rechte Räume. Das zeigt, wie diffus seine Stossrichtung ist. Eine Debatte darüber anzuzetteln, welche Kräfte hinterm Bauen stehen, kann nie schaden. Das Gleichsetzen von Bauform und politischer Gesinnung aber sehr wohl.

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