Parity Talks IV im Arch Tech Lab der ETH. Fotos: zVg

Möge der Wandel beginnen!

An den vierten ‹Parity Talks› des Architekturdepartements der ETH Zürich wehte ein Hauch von Aufbruch. Doch das Schlusspodium umschiffte das eigentliche Thema: die Chancengleichheit.

«Happy International Women's Day», eröffnet ETH-Rektorin Sarah Springman die ‹Parity Talks IV› des Departements Architektur unter dem Motto «Making 'Excellence' Work». Es ist Punkt neun Uhr am 8. März 2019. Britisch-trocken stellt die ehemalige Spitzensportlerin und Professorin für Geotechnik fest, Álvaro Sizas Lippenstift sei besser als der ihre. Nach Herzog & de Meuron, Mies van der Rohe und Rem Koolhaas ist der Portugiese das Covergirl der diesjährigen Veranstaltung. Mit Blumen im Haar und obligatorischer Zigarette in der Hand blickt er auf etwa siebzig Interessierte. Springman spricht zu diesen über familientaugliche Karrieren, betont die Chancengleichheit als gemeinsame Aufgabe – «Let's do it togETHer!» – und sagt: «Exzellenz zu jedem Preis? Keinesfalls. Wir müssen Werte haben.»

Ein Hauch von Aufbruch und Veränderung im Arch Tech Lab.

Als nächstes tritt Philip Ursprung nach vorne. Viel sei passiert seit den letzten Parity Talks. Konkret spricht er drei Dinge an: Erstens das problematische Geschlechterverhältnis der Professorenschaft (Zum Thema: ‹Zehn zu null›). Zweitens die mittlerweile abgeschlossene Untersuchung wegen sexueller Belästigung gegen einen Architekturprofessor (Zum Thema: ‹Professor X›). Drittens die Forderung der Studierenden nach einem vielfältigeren Curriculum. Ursprung sagt: «Wandel ist nötig und der heutige Tag ist Teil davon.»

Dann ist die ‹Parity Diversity Kommission› dran. Charlotte Malterre-Barthes erzählt die Kurzfassung einer Grassroot-Bewegung aus dem Mittelbau und der Studentenschaft, die mit einer ausschliesslich männlich besetzten Gastkritikerrunde im Herbstsemester 2015 begann. «Der heutige Tag zeigt, was möglich ist, wenn man Wut in etwas Produktives lenkt», sagt sie. «Endlich verändert sich etwas», ergänzt ihr langjähriger Mitstreiter Torsten Lange und betont die Chance, die ETH nun progressiv zu positionieren. Professor Philippe Block schliesslich erklärt die laufende Arbeit an einem Innovedum-Antrag. Nebst einer Überarbeitung der Lehrinhalte soll es auch einen ‹Gender Diversity Officer› geben, der Anliegen der Chancengleichheit professionell und permanent verfolgt.


Will die ETH auch sozial fortschrittlich sein?

Die Stimmung im Raum ist spürbar aufgeladen. Ein Hauch von Aufbruch und Veränderung weht durch die helle Mitte des Arch Tech Lab. Als Naomi Stead, Departementsvorsteherin an der Monash University, ihren eindrücklichen Vortrag beginnt, hat sich der Raum mit etwa 200 Gästen gefüllt. Ausführlich legt Stead die Aktivitäten von ‹Parlour› dar, des grössten Diversity-Projekts in der Geschichte Australiens. Sie spricht über Daten, persönliche Geschichten und grafische Qualität – denn nur wenn alles stimmt, finden Botschaften den Weg in Köpfe, die nicht längst überzeugt sind. Sie spricht über Ressourcen – denn echter Wandel braucht Zeit und Geld. Sie spricht darüber, keinen Geschlechterkrieg zu führen. Und sie zeigt eine ‹Gender Equality Road Map› mit den Stufen 0 Avoiding, 1 Compliant, 2 Programmatic, 3 Strategic, 4 Integrated, 5 Sustainable. «Wo steht eure Schule?», fragt Stead. «Zwischen 0 und 2», meint später Irina Davidovici, die die Tagung mitorganisiert hatte.

Naomi Stead, Departementsvorsteherin an der Monash University, über Daten, persönliche Geschichten und grafische Qualität.

Auf dem anschliessenden Podium sitzen Sonja Hildebrand (USI) und Heike Biechteler (HSLU) als Vertreterinnen anderer Architekturschulen, BSA-Generalsekretär Caspar Schärer als «Praktiker» – was ihn sichtlich amüsiert – und die ETH-Professoren Adam Caruso und Laurent Stalder. Wie ein Mantra betont jede und jeder, wie schlimm die Situation sei und einige Zeit verliert sich die Runde im allzu spät eingeführten Frauenstimmrecht, der teuren Kinderbetreuung hierzulande et cetera. Dann stellt Sonja Hildebrand eine interessante Frage. Fifty-fifty gilt als Zielvorgabe auf allen Stufen des Departements. «Warum nicht auf der Ebene der Professorenschaft?». Vage diskutiert die Runde daraufhin über Sinn und Unsinn von Frauenquoten und die bei solchen Gelegenheiten stets in den Vordergrund gerückte «Exzellenz». Laurent Stalder sagt, Geld und Macht müssten umverteilt werden, um vor allem die Ebene zwischen Doktorat und Professur zu stärken. Adam Caruso gibt sich hoffnungsvoll, denn jene, die in Professorenkonferenzen gegen «parity issues» stimmten, seien seit der jüngsten Berufungswelle zu einer kleinen und stillen Minderheit geworden. Zum Problem weniger Professorinnen gibt er zu bedenken, dass die meisten erfolgreichen Büros von Männern geführt würden. Huhn oder Ei: Soll die Hochschule in Diversitätsfragen vorangehen oder den Markt abbilden? Soll sie bei Vaterschaftsurlaub und Kinderbetreuung auf die Politik warten oder vorpreschen? Kurz: Will die akademische Welt nicht nur wissenschaftliche, sondern auch sozial fortschrittlich sein?

Auf dem Podium: Sonja Hildebrand (USI) und Heike Biechteler (HSLU), BSA-Generalsekretär Caspar Schärer und die ETH-Professoren Adam Caruso und Laurent Stalder. Moderiert hat Judit Solt.

Exzellenz heisst exzellente Prozesse!

Am Nachmittag legt Jadranka Gvozdanović von der ‹League of European Research Universities› Erkenntnisse aus vergleichenden Studien dar: über die Sprache in Empfehlungsschreiben, über die Häufigkeit sexueller Belästigung, über Löhne und Beförderungsschritte. Ihre Botschaft: «Exzellenz heisst exzellente Prozesse.» Damit meint sie Dinge wie objektive, vorab formulierte Kriterien in Bewerbungsverfahren, Anonymität, Coachings und Beobachter, Zielsetzungen und Monitoring. Nathalie Lerch-Pieper vom Paul Scherrer Institut betont die gelebte Kultur und zitiert einen Managementberater: «Culture eats strategy for breakfast.» (Zum Thema: ‹Einzelfälle? Strukturwandel? Zivilcourage?›)

Nach fünf separaten Workshops folgt das Schlusspodium. Antje Stahl stellt die richtigen Fragen und fordert auf, nun ein paar Nägel einzuschlagen. Doch gekonnt umschifft die sichtlich mit dem Departement zufriedene Runde das eigentliche Thema und diskutiert vor allem darüber, wie stark Entwurfsprofessoren in der Praxis verankert und wie divers ihre architektonischen Positionen sein sollten. Immerhin Professor Maarten Delbeke macht drei Aussagen in die richtige Richtung: Die «soft skills» der Professoren müssten stärker gewichtet und eingefordert werden. Man könne die Geschichte zwar nicht umschreiben und einen weiblichen Michelangelo erfinden, aber Fragen von Geschlecht, Nationalität, Klasse, Religion et cetera wenigstens kritisch beleuchten. Ausserdem brauche das Departement Daten und Expertise für Berufungsverfahren und den Umgang mit Fehlverhalten, anstatt nun selbst zu improvisieren. «Gibt es dafür ein Budget?», fragt Antje Stahl. Noch nicht, aber daran sollte es nicht scheitern, ist man sich einig. Möge der Wandel beginnen.

Das Schlusspodium mit Antje Stahl, Maarten Delbeke, Kathrin Dörfler, Annette Gigon, Irma Radončić und Philip Ursprung.

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