Mit der Kraft der Natur

Das Landwirtschaftliche Zentrum St. Gallen in Salez setzt auf wenig Technik und viel Holz. So weist es in die Zukunft des Bauens im ländlichen Raum.

Fotos: Seraina Wirz

Das Landwirtschaftliche Zentrum St. Gallen in Salez setzt auf wenig Technik und viel Holz. So weist es in die Zukunft des Bauens im ländlichen Raum.

Markus Hobi kurbelt an einer Seilwinde, es rattert und über ihm öffnet sich eine Klappe. Ein Handgriff und schon spürt man die frische Luft vom Fenster her quer durch den Raum ziehen. «Die Querlüftung ist sehr effizient», sagt Hobi. «Schon nach fünf Minuten ist die Luft ausgetauscht.» Das hat sich bewährt, erst recht in den Corona- Jahren 2020/2021. Hobi leitet das Landwirtschaftliche Zentrum in Salez. Dessen Neubau ist ein Lowtech-Experiment, mit dem der Kanton St. Gallen ein Statement für ökologisches Bauen gesetzt hat.

Laubengänge spenden Schatten und kühlen. Statt motorisierte Storen zu betätigen, schiebt man die Läden zu oder macht die Fenster auf. Ein Lüftungskanal läuft über die ganze Länge des Gebäudes und zieht die Luft aus den zwei Stockwerken darunter ab. Vorbild für diesen Kamineffekt waren die Warmställe, die früher für Kühe gebaut und nach einem ähnlichen Prinzip ohne Automation gekühlt wurden. Hightech gibt es in Salez nur auf dem Dach, wo eine Photovoltaikanlage mehr als die Hälfte des Strombedarfs des Zentrums deckt. Eine Holzschnitzelheizung, beliefert aus der Region, versorgt das Gebäude mit Wärme. Die Gebäudetechnik macht dank Lowtech nur zehn Prozent der Baukosten für das Zentrum aus. Das System funk- tioniert jedoch nur, wenn die Nutzerinnen damit umgehen können. « Landwirte sind es sich gewöhnt, manche Dinge noch von Hand zu betätigen», sagt der Leiter. Zudem gehört es zu ihrem Beruf, mit dem Wetter zu planen.

Markus Hobi führt durch das Haus, das in den Sommerferien leer ist. Man kann sich gut vorstellen, wie es benutzt und belebt wird. Im Landwirtschaftlichen Zentrum lernen angehende Bauern und Bäuerinnen Theorie und Praxis ihres Berufs, einige von ihnen übernachten in den Internatszimmern. Der Neubau schliesst das Ensemble L-förmig zur Landschaft hin ab. Der Takt des Holzbaus gibt dem hundert Meter langen Gebäude eine klare Struktur. Die naturbelassenen Bretter der Fassade, die überdachten Laubengänge und die Schiebeläden aus Holz machen klar: Dieses Gebäude setzt auf die Kraft der Natur – auch architektonisch.

Das Landwirtschaftliche Zentrum in Salez setzt auf natürliche Lösungen: Laubengänge und Schiebeläden beschatten die Fenster.

Die zweigeschossige Terrasse löst die strenge Struktur in der Mitte auf.

Verbunddecken als Speichermasse
Im Architekturwettbewerb im Jahr 2011 war weder Holz noch Lowtech verlangt. Für das nachwachsende Material hat sich der Architekt Andy Senn aus ortsbaulichen Überlegungen entschieden. «Das Haustechnikkonzept kam mit der Zeit dazu und hat sich immer weiterentwickelt», sagt der Architekt. Die natürliche Lüftung braucht eine gewisse Raumhöhe und genug thermische Masse, um den nötigen Spielraum für heisse Tage zu haben. Was dem Holzbau an Speichermasse fehlt, gleichen die Holz-Beton-Verbunddecken aus. « Lowtech ist für die Architektur eine grosse Chance», sagt Senn. «Salez würde ohne das Konzept anders aussehen.» Zudem geniesse der Ansatz bei den Menschen eine hohe Akzeptanz. Ganz ähnlich wie Holz.

«Die natürliche Funktionsweise des Hauses passt zur umweltfreundlichen Produktion, die wir im Unterricht und in der Beratung vermitteln», sagt Hobi. Die Ackerkulturen, das Obst oder die Weintrauben gedeihen auf dem Landwirtschaftsbetrieb mit möglichst wenig Pflanzenschutzmitteln. Auf der Südseite des Neubaus wächst eine Magerwiese. Spenderflächen mit Schnittgut artenreicher Pflanzen, Wildobst- und Heckensammlungen sowie Eidechsenburgen sorgen für Biodiversität. Den Boden, auf dem der Vorgängerbau stand, hat die Schule wieder zu einer Ackerfläche umgewandelt. In den neu angelegten Sortengärten spriessen nun tausende Pflanzenarten. Das grüne Umland ist auch wichtig für das Kühlkonzept des Gebäudes. «Mit einer asphaltierten Umgebung oder mitten in der Stadt würde die Frische der Zuluft fehlen», sagt Hobi. Haus und Natur sind ein System.

Situation

Helle und hohe Räume
Das Gebäude ist ein Vorzeigeprojekt für eine Bauweise, die klimaverträglich ist. Statt in die Technik investieren die Architekten in Architektur. Der Grundriss ist um einen Mittelgang diszipliniert organisiert. Die Räume sind hell und 4,5 Meter hoch. Der Stützenraster von 2,14 Metern rhythmisiert das Haus. Eine offene Treppe beim Eingang, der grosse Mensabereich oder die zweigeschossige Terrasse lösen die Struktur wieder auf und brechen mit der Strenge des Holzbaus. «Einen so grossen Aussenraum kann man nur in Holz bauen, ohne dass die Atmosphäre des Ensembles kippt», sagt Senn. Das Material gehört zur Landschaft. Und es löse bei den Besucherinnen und Besuchern etwas aus: «Ein Holzbau riecht gut und wirkt anders als ein Massivbau.» Die Architektur verknüpft ländliche Themen mit industriell-rationalen Elementen und steht so für die ganze Breite des Holzbaus heute. Über der Bodenplatte ist das Gebäude konsequent in Holz ausgeführt. Die Tragstruktur besteht aus Fichtenholz, die Laubengänge sind in Eiche ausgeführt, weil sie teilweise bewittert sind. Wo möglich, wurde Holz aus den Wäldern im Kanton verarbeitet. Holz-Beton-Verbunddecken ergänzen die Pfosten-Riegel-Konstruktion. Im Wohntrakt überspannen einfache Holzplatten aus verleimten Brettern die Räume. Die Wände sind im ganzen Zentrum mit Weisstanne verkleidet.

Auch die Klapptische in der Mensa haben die Architekten für den Bau entworfen.

Über das Holz hinaus spielen natürliche Materialien eine zentrale Rolle. Die Böden sind mit einer Kaseinschicht aus Milch und Lehm überzogen, an den landwirtschaftlichen Kontext erinnernd. In den Korridoren im Wohntrakt sind die Wände mit einem Lehmputz beschichtet. «Die Materialien passen zu unserem Auftrag und kommen gut an bei den Landwirtinnen», sagt Markus Hobi. Auch viele bäuerliche Organisationen kommen für ihre Veranstaltungen gerne in den Neubau. Der Zentrumsleiter wird immer wieder gebucht, um durch sein Haus zu führen.

Damit alle Details stimmen und beispielweise die Schiebeläden mühelos auf- und zugleiten, haben die Planer von der Fassade ein Mockup im Massstab 1:1 gebaut. Die disziplinierte Sorgfalt des Holzbaus zieht sich bis zu den Schreinerarbeiten. Für die Mensa entwarfen die Architekten mit der Schreinerei Stolz aus dem Toggenburg einen Klapptisch aus Eschenholz, dank dem der Raum über den Tag vielfältig genutzt werden kann. Der Tisch lässt sich einfach stapeln, da die Unterseite auch in eingeklappten Zustand eben bleibt. Das überzeugt auch andere: Die Schreinerei hat den Tisch ins Programm aufgenommen und bereits 50 Stück verkauft. Das Zentrum setzt konsequent auf Holz, von der Tragstruktur bis zur Heizung. Und selbst beim Kunst-am-Bau-Projekt spielt das Material die Hauptrolle. Die Künstlerin Elisabeth Nembrini hat im Treppenraum neben der Mensa eine Installation aufgehängt, für die sie einen Bienenstock 15-fach vergrössert hat. Verkleidet ist die eine Tonne schwere Skulptur mit Schindeln. So schliesst sie den Kreis von der Natur über die Landwirtschaft bis zur Architektur.

Hobi ist sichtlich stolz auf sein neues Zentrum. Fertig gebaut ist es allerdings noch nicht. Im Wettbewerb war ein Gesamtkonzept gefragt, das in zwei Etappen realisiert wird. Neben dem Haupteingang soll das Zentrum ab 2025 mit einem Verwaltungstrakt erweitert werden. Ob in den Büroräumen künftig dasselbe Kühlkonzept zum Einsatz kommen wird, ist noch offen. Die Planer wollen zuerst das Temperatur-Monitoring auswerten, mit dem sie das Schulungsgebäude während der ersten Jahre überwachen. Eines ist aber jetzt schon klar: 2025 wird in Salez noch mehr Holz verbaut werden.

Erdgeschoss

Querschnitt


Dieser Artikel stammt aus dem Themenheft, das Hochparterre zum «Prix Lignum 2021» herausgegeben hat.

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