«Du nimmst Partei für die Gesellschaft, ich für die Architektur»

Wie geht Architekturkritik in Zeiten des Klimanotstands? Tibor Joanelly, Redaktor von ‹Werk, Bauen + Wohnen› und Hochparterre-Redaktor Axel Simon sind sich nicht einig. Ein Gespräch.

Fotos: Istvan Balogh

Wie geht Architekturkritik in Zeiten des Klimanotstands? Tibor Joanelly, Redaktor von ‹Werk, Bauen + Wohnen› und Hochparterre-Redaktor Axel Simon sind sich nicht einig. Ein Gespräch.

Der Neubau von Penzel/Valier für Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) sei der «vielleicht bedeutendste Bau dieses Jahres in der Schweiz» schrieb Tibor Joanelly im Novemberheft 2019 von ‹Werk, Bauen + Wohnen›. Auf Hochparterre.ch erhob Axel Simon Einspruch. Die graue Energie des Gebäudes sei enorm, darum könne es nicht für das Klimajahr 2019 stehen. Einige Monate nach dem Disput trafen sich die Redaktoren mit Karin Salm zum Gespräch, um über Sinn und Zweck der Architekturkritik zu diskutieren.

Axel Simon, in Ihrem Einspruch fahren Sie Tibor Joanelly gehörig an den Karren. Gleichzeitig geben Sie zu, dass Sie das neue SRF-Gebäude für News und Sport in Zürich-Leutschenbach gar nicht gesehen haben, sondern es nur aufgrund von Fotos und Plänen kennen. Darf man das?
Axel Simon: Man darf sicher keine Kritik über einen Bau schreiben, wenn man ihn nicht gesehen hat. Eine Kritik der Kritik ist aber schon möglich. Dazu haben mir die Infos gereicht – das waren Fotos, Pläne, eine Axonometrie der Konstruktion. Nachdem ich mir nun das SRF-Gebäude mit dem Architekten Christian Penzel angeschaut habe, muss ich sagen: Ich bin froh, den Neubau vorher nicht gesehen zu haben. Ich hätte meine Entgegnung auf Tibor Joanellys Kritik nicht mehr so pointiert schreiben können.

Warum?
Axel Simon: Räume umfassen und umgarnen einen. Sie lösen Gefühle, Erinnerungen aus – all das, was wir den Lesern in Artikeln zu vermitteln versuchen. Bei meiner Kritik der Kritik war ich darum froh, Distanz zu haben. Eine Distanz, die generell wichtig wäre, um ein Gebäude nüchterner beurteilen zu können.

Sie kritisieren, Tibor Joanelly habe die graue Energie ausser Acht gelassen. Haben Sie das also nüchtern nachgerechnet?
Axel Simon: Wie viel nicht erneuerbare Energie im Bau eines Gebäudes steckt, ist schwer zu errechnen, aber es gibt ein paar Faustregeln. Zum Beispiel möglichst wenig Aushub, schlanke Tragstruktur, klimaneutrale Materialien. All diese Faustregeln sind beim SRF-Gebäude nicht eingehalten. Da gibts betonummantelte Stahlkonstruktionen, um acht Meter weite Auskragungen zu halten. Bei der Produktion von Beton und Stahl fällt viel CO2 an. Und dann die Tiefgarage mit dreissig Meter tiefen Spundwänden im Sumpfboden. Bezogen auf den CO2-Ausstoss ist dieser Bau absurd, das kann man auch ohne genaue Berechnungen beurteilen.

Tibor Joanelly, dieser Einspruch hat Sie getroffen. ‹Werk›-Chefredaktor Daniel Kurz hat sogar mit einer Replik reagiert. Warum?
Tibor Joanelly: Es ist nicht so, dass wir bei ‹Werk, Bauen + Wohnen› nicht über Nachhaltigkeit schreiben würden – im Gegenteil, das Thema ist bei uns schon lange präsent. Und auch ich schneide es immer wieder an. Darüber hinaus irritierte mich aber vor allem Axels Kollegenschelte. In der Schweiz haben wir gut sieben mehr oder weniger unabhängige Architekturzeitschriften. Ich war überzeugt, dass wir alle eigenständig und unter grosser Konkurrenz an einem gemeinsamen Architekturteppich weben und dass man sich deshalb in Ruhe lässt.

Inwieweit störte Sie, dass Axel Simon Sie kritisierte, ohne den Neubau gesehen zu haben?
Tibor Joanelly: Wir wissen nicht, wie nachhaltig das Gebäude tatsächlich ist, gemessen an seiner Grösse und am Pflichtenheft. Zudem fand ich den Vorwurf falsch und unpräzise, dass ich einer «brutalistischen Ästhetik» das Wort reden würde. Im selben Heft habe ich dargelegt, dass es angesichts des Klimawandels eben nicht um Ismen oder Stildiskurse geht. Um die Komplexität eines Bauwerks erfassen und beurteilen zu können, ist es unerlässlich, dass man genau hinschaut.

In Ihrer Kritik sprechen Sie von einem bedeutenden Gebäude. Aber das Thema der grauen Energie erwähnen Sie nicht einmal. Warum?
Tibor Joanelly: Das ist eine Frage der Priorität. Ein Gebäude ist ein komplexer Organismus, es beinhaltet Aspekte auch der Wahrnehmung, der Ästhetik, des Machens. Selbst wenn man ein ganzes Buch über ein Gebäude schreibt, wird es Dinge geben, die man konzeptionell oder aus Platzgründen nicht einbinden kann oder will. Im Fall von Leutschenbach war mein Interesse am System der Konstruktion und der Raumwirkung so stark, dass ich beschloss, in erster Linie darüber zu schreiben. Das heisst nicht, dass für mich die Nachhaltigkeit keine Rolle spielt.

Tibor Joanelly argumentiert mit inhaltlichen und konzeptionellen Prioritäten. Man könnte es auch zuspitzen: Es ermüdet, wenn das Thema Nachhaltigkeit in jeder Architekturkritik auftaucht.
Axel Simon: Das Thema Nachhaltigkeit müsste eigentlich immer Beachtung finden, erst recht, wenn man die Wichtigkeit und Bedeutung eines Baus hervorhebt. 2019 war das Jahr, in dem sehr viele Menschen gewahr wurden, dass wir uns in einem Klimanotstand befinden, und bei mir festigte sich die Überzeugung, dass es auch unsere Aufgabe als Architekturkritiker ist, das zu thematisieren. Bemerkenswert finde ich, dass du, Tibor, im selben Heft geschrieben hast: «Selbst wenn es in Zukunft darum geht, möglichst auf energieintensive Reisen und Beton als ästhetisches Ausdrucksmittel zu verzichten, so ist für die Architektur mehr gewonnen als verloren.» In der Kritik wirst du diesem Satz aber überhaupt nicht gerecht. Wenn wir es gemeinsam schaffen wollen, 2050 bei netto null CO2 anzukommen, kann man das Thema nicht einfach weglassen, weil es grad nicht reinpasst.
Tibor Joanelly: Einspruch! Muss denn in jedem Text immer alles gesagt sein? Zudem: Wenn wir über ein fertiges Gebäude reden, dann reden wir immer über die Vergangenheit. Wir reden über etwas, das irgendwie bestellt und entsprechend den Möglichkeiten der Architekturschaffenden umgesetzt wurde. Im Fall von Leutschenbach fielen die Entscheide vor sieben oder acht Jahren, als die gesellschaftlichen Voraussetzungen und Diskussionen noch anders waren. Den SRF-Neubau und seine Architekten nachträglich an den Kriterien der Nachhaltigkeit zu messen, ist unrealistisch und unfair.

Wie sieht das bei Ihnen aus, Axel Simon? Argumentierten Sie 2019 in Ihren Artikeln konsequent mit der Nachhaltigkeit?
Axel Simon: Wir diskutierten kürzlich an einer Hochparterre-Retraite intensiv, wie wir mit dem Thema umgehen wollen. Wir haben gemerkt, dass wir bereits gut aufgestellt sind: Seit den Anfängen der Zeitschrift schreiben wir über Zersiedelung oder soziale Nachhaltigkeit, in den letzten Jahren sind verstärkt Themen wie Solarenergie, Ressourcen oder graue Energie dazugekommen. Nun haben wir uns vorgenommen, die Nachhaltigkeit als Querschnittsthema zu behandeln, das heisst, es wird keinen Artikel mehr geben, in dem relevante ökologische Fragen, die das besprochene Thema betreffen, völlig ausgeblendet sind.
Tibor Joanelly: Ich würde mich absolut dagegen wehren, stets primär den Aspekt der Nachhaltigkeit zu besprechen. Diese Regel stünde mir im Weg, andere Dinge, die mir ein Anliegen sind, präzise zu beschreiben und zu kommentieren.

Welche Dinge sind Ihnen ein Anliegen?
Tibor Joanelly: Für mich ist die Ästhetik ein absolut zentrales Element. Die Art und Weise, wie etwas gedacht und gebaut ist und darum wirkt, ist in der Klimadebatte ebenso entscheidend wie die Frage der grauen Energie. Oder anders gesagt: Wenn wir nicht mehr über die Ästhetik sprechen, dann kommt uns etwas Wesentliches abhanden. Ästhetik ist ein Leuchtturm, der uns einlädt, uns genauer mit einem Gebäude auseinanderzusetzen. Man kann die Ästhetik nicht zwingend unter die Vorgaben der Nachhaltigkeit stellen, weil dies einem Denkverbot gleichkommen würde.

Das heisst, wenn Sie über ein ästhetisch attraktives Gebäude, das sich als Energieschleuder entpuppt, eine Kritik schreiben, würden Sie auch in Zukunft Energie- und Klimafragen aussen vorlassen?
Tibor Joanelly: Wenn es sich um eine ‹Energieschleuder› handelt, wohl kaum. Allerdings sollten wir uns erst klar darüber werden, was damit gemeint ist. Architektur war schon immer Verschwendung und Überschuss! Solange das Wort ‹Architektur› mit einem grossen A geschrieben ist, reden wir eben nicht einfach nur über das Bauen. Aufgabe der Architekturkritik ist es zu zeigen, wie ein Mehr an Ästhetik oder Nutzen entsteht. Das Wissen darum möchte ich in einer Kritik übermitteln. Letztlich kommt genau dieses Wissen der Idee der Nachhaltigkeit zugute: Ästhetische Nachhaltigkeit verkörpert Werte, die auch Dauer einschliessen.
Axel Simon: Mir wird Architektur viel zu häufig mit grossem A geschrieben. Ihr Zweck ist ein gesellschaftlicher. Um die Qualität eines Gebäudes zu beurteilen, gelten die vitruvianischen Kategorien ‹Firmitas›,‹Utilitas› und ‹Venustas› zwar nach wie vor. Aber es fehlt etwas, das heute wichtiger ist denn je: die Zukunftsfähigkeit. Als Architekturkritiker ist es mein Job, den Architekten immer wieder zu sagen, dass es diese vierte Kategorie gibt, und dass sie mehr umfasst als nur Dauerhaftigkeit.

Reden wir über Sinn und Zweck der Architekturkritik. Hat sie einen gesellschaftlichen Auftrag?
Tibor Joanelly: Mir geht es nicht darum, die Architektur in einem gesellschaftlichen Diskurs in Schranken zu weisen. Mir geht es darum, die Wirkungsweise von Architektur unter Fachleuten zu diskutieren. Innerhalb unserer zugegebenermassen kleinen Arena möchte ich einen Beitrag leisten, um Architektur weiterführen zu können. Ich möchte Denk- und Diskussionsräume öffnen für Architekturschaffende, die auf Innovation angewiesen sind, und die Architektur auch als Kunst und als mehr als die reine Erfüllung von Bedürfnissen verstehen. Als Kritiker sehe ich mich aktiv als jemanden, der mitwebt am Architekturteppich. Darum kann ich nicht jedes Gebäude abservieren, das gewisse Ansprüche der Nachhaltigkeit nicht erfüllt und doch bemerkenswerte Aspekte und Innovationen zeigt.
Axel Simon: Das Bild des aktiven Kritikers gefällt mir. Ich verstehe mich einerseits als Anwalt des Laienpublikums, der versucht, dieses für Fragen der Architektur zu sensibilisieren, und der den Architekten sagt, dass sie nicht für ihresgleichen bauen. Andererseits nimmt Hochparterre auch Teil am Fachdiskurs. Und dort finde ich es wichtig, Diskussionen anzuzetteln und zu führen. Jeder Architekt sagt, dass ihm Umwelt- und Klimafragen wichtig seien, aber beim nächsten Projekt optimiert er dann den Status quo, statt ihn infrage zu stellen. Dieser Widerspruch geht nicht mehr.
Tibor Joanelly: Da wirfst du alle Architekturschaffenden in einen Topf. Unsere bauenden Kollegen sind viel intelligenter und registrieren, was gesellschaftlich diskutiert und erwartet wird. Hier gibt es ein undefiniertes Feld, das es zu erobern gilt. Darauf habe ich in meinem Text zu einer «terrestrischen Architektur» im selben Heft hingewiesen.
Axel Simon: Es ist eben auch an uns Schreibenden, dieses Feld zu erobern. Und zwar nicht nur in schöngeistigen Essays, sondern auch in der tagtäglichen Architekturkritik. Aber du hast recht: Das Feld ist offen für Architektur, wie man sie bislang kaum denkt. Die Basler Architektin Barbara Buser zeigt mit ihrem Büro ‹in situ› zum Beispiel ein ganz anderes Berufsverständnis, indem sie Areale selbst entwickelt, dabei die soziale Ebene stark gewichtet und mit vorhandenen Bauteilen baut. In dieser Arbeitsweise steckt viel Zukunft.
Tibor Joanelly: Und siehst du: Hier werde ich dann die Ästhetik vermissen. Da können wir den Spiess umdrehen, und ich erhebe Einspruch gegen deine Kritik. Ich schliesse nicht aus, dass Barbara Busers Methode ästhetisch interessante Lösungen ermöglicht. Bis jetzt habe ich aber nichts gesehen, was mich überzeugt.

Was fehlt Ihnen?
Tibor Joanelly: Mir fehlt bisher das Glatte oder das wirklich Widersprüchliche, das Salz in der Suppe. Es sieht immer aus wie Bricolage, wie Bastelei.
Axel Simon: Vielleicht ist die Architektur unserer Zeit ja so: weniger glatt. Aber, einverstanden, es braucht wirklich gute Architekten, um mit solchen Dingen wie wiederverwerteten Bauteilen Architektur zu machen. Doch denken wir an Roger Boltshauser, der heute grossartige Gebäude mit Stampflehm baut. Vor zehn Jahren fanden wir Stampflehm noch ein ekelhaftes Material.

Wenn wir davon ausgehen, dass wir einen Klimanotstand haben, gelten dann in der Architekturkritik nicht andere Regeln, sodass die architektonische Ästhetik nicht an erster Stelle kommt?
Tibor Joanelly: In diesem Fall könnte ich einpacken und aufhören. Denn ich möchte mich nicht in den Dienst eines Zwecks stellen, ich möchte meine Unabhängigkeit als Kritiker behalten und entscheiden, was im Sinne der Architektur richtig ist und was nicht. Das heisst nicht, dass ich nicht überzeugt bin, dass es einen Wechsel braucht. Die Trennungsschmerzen werden allerdings gross sein. Und ohne Ästhetik gehts nicht, weil das Ästhetische diese Schmerzen lindern kann und die Leute an Bord holt.
Axel Simon: Wenn der Zweck ist, den kommenden Generationen die Katastrophe zu ersparen, stelle ich mich gern in seinen Dienst. Mich erschüttert, dass deine Schönheitsvorstellung losgelöst ist von der gesellschaftlichen Ebene, von diesem Notstand. Weil sich alles verändert, verändert sich auch das, was wir für schön halten. Die reine Kunst ist vielleicht eine Welt, in die man sich flüchten kann. Aber darum gehts in der Architektur sicher nicht. Architektur ist Teil der Gesellschaft.
Tibor Joanelly: Du nimmst Partei für die Gesellschaft, ich nehme Partei für die Architektur. Ich sage nicht, dass mich das Gesellschaftliche nicht interessiert. Doch das heisst auch nicht, dass Architektur keine eigenen Regeln kennen würde und keine anderen Bilder als diejenigen, die Mainstream produzieren. Wenn es in einem Gebäude nichts mehr gibt, das über die Gesellschaft hinausweist, dann ist es keine Architektur mehr, dann ist es langweilig und kann nicht mehr Vorbild sein.
Axel Simon: Aber es geht doch genau um Vorbilder für eine klimagerechte Welt!
Tibor Joanelly: Ja, wir brauchen das Bild einer klimagerechten Welt. Es muss aber nicht in jedem Bauwerk verkörpert sein.

Kommentare

Hannah 03.01.2021 00:25
Es ist unaushalbar (dumm, naiv und arrogant), dass es immer noch so viele federführende Architekten (oder in diesem Fall ein Kritiker) gibt, die ernsthaft glauben, die "Architektur" wär ein gegenüber von "Gesellschaft". Die Dringlichkeit der Klimakrise lässt keinen Spielraum mehr außerhalb der Überlegungen zu Nachhaltigkeit. Warum in diesem veränderten und sich schon immer ändernden Spielfeld keine höchst ästhetische Architektur entstehen können soll, erschließt sich mir nicht.
Hermann Huber 09.03.2020 15:42
Zum Schlussatz: "Es muss aber nicht in jedem Bauwerk verkörpert sein." - Doch doch - Ich freue mich auf die neue Ästhetik von Gebäuden wie Lagerplatz 24, Winterthur von in situ und V. Waibel. Das wird mehr als 'Bricolage'. (Hochparterre 10/19, Seite 34)
Christina Schumacher 04.03.2020 09:47
Grossen Dank den beiden Zeitschriften und Architekturkritikern sowie der Moderatorin für die Offenheit, die Debatte an diesem Ort transparent auszutragen; sie liest sich spannend. Die Fragen, um die gestritten wird, sind von Belang, die Spektren der unterschiedlichen Positionen werden ausgeleuchtet und die Haltungen nachvollziehbar diskutiert. Ein prima Lehrstück für all jene Architektinnen, die sich Gedanken machen über ein zukunftsweisendes Berufsbild. Gar nichts anfangen kann ich mit der titelgebenden Gegenüberstellung der Parteinahmen. Ist das euer Ernst: Wer sich für eine ressourcenschonende Architektur stark macht, spricht der Gesellschaft das Wort, wer den Fokus auf Ästhetik setzt dagegen der Architektur? Abgesehen davon, dass ich weder DIE Gesellschaft noch DIE Architektur für homogene Entitäten halte und gesellschaftliche und architektonische Anliegen nicht aus einer einzigen Perspektive adressiert haben möchte – diese Zuspitzung würde ja unterstellen, dass ästhetische Werte nicht gesellschaftlich ausgehandelte und ergo neu verhandelbare, sondern vorsoziale Tatsachen seien; der Klimawandel und dessen Folgen dagegen Phänomene, die in überschaubaren gesellschaftlichen Rahmen verhandelbar seien. Geschenkt: Die Klimaerwärmung ist menschengemacht. Aber nicht von allen Menschen gleichermassen. Als globales Phänomen zeitigt sie ihre verheerendsten Auswirkungen bislang nicht in den Territorien der nördlichen Hemisphäre, deren Gesellschaften zu den Hauptverursacherinnen zählen und die Freiheit haben, sich darüber Gedanken zu machen, ob es richtig sei, die Bedeutung eines Bauwerks an seinem Ressourcenverbrauch zu messen. Deswegen würde ich gerade umgekehrt argumentieren: Über Ästhetik können und sollen wir diskutieren, in möglichst gegenüber unterschiedlichsten Positionen durchlässigen Debattenkollektiven. Ökologische Anliegen scheinen mir dagegen immer weniger verhandelbar, weil ein Grossteil derjenigen, die von den Auswirkungen ökologischer Krisen betroffen sind, nicht Teil des Verhandlungskollektivs sind.
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