Hotel Vulpera (Foto: ak-ansichtskarten.de, via Wikimedia Commons)

Die drei Hartmänner

Köbi Gantenbein spielt mit seiner Bandella delle Mille Lire eine Suite über die Architektendynastie Hartmann. Nicolaus I., II. und III. haben die Architekturlandschaft Graubündens des 20. Jahrhunderts geprägt.

Die Bandella delle Mille Lire spielt als Overtüre «Nicolasi Bulgar», ein Klezmerstückli.

Der «Nicolasi Bulgar».

«Dies Lied von der Bau- und Hartmannkapelle heisst «Nicolasi Bulgar» und kommt aus dem untergegangenen Schmelztiegel der Kulturen in Odessa am Schwarzen Meer. Griechen, Türken, Russinnen, Kalmücken und Juden. Klezmer Musik. Sie fasst das Werk und Wesen der drei Hartmänner zusammen. Denn die Drei waren bodenständig und brachten Weltluft nach Graubünden – Baukunst. Formen aus der Fremde, die sie einbündnerten zu einem Bauwerk wachsend über 100 Jahre. Kunstsinn und Bodenständigkeit, Raffinesse und Heiterkeit, beschwingte Freude und tiefe Harmonie – das Fremde und das Eigene in schönster Blüte – die drei Hartmänner sind die Göttis des Kabinetts der Visionäre von Chur, denn sie verbanden Schönheit mit Gesellschaft und Phantasie mit und für Graubünden.

Nicolaus hiess jeder mit Namen. Und jeder war ein grosser Architekt.

Nicolaus der Erste kam zur Welt als es Graubünden noch nicht gab und er starb 1882. Ein Prättigauer, der aber wie viele sein armes Tal verliess, es in Chur und später in Ilanz zu etwas Wenigem brachte und geachtet war als Schreiner und Baumeister.
 

Nicolaus der Aeltere (Foto: Rätisches Museum Chur via Wikimedia Commons)

Sein Sohn Nicolaus der Zweite, auch genannt «der Ältere», kam 1838 zur Welt als der Graubünden sich aufspannte zwischen abgeschiedenen, armen Bauertälern, auskömmlichen Säumerachsen und der Erfindung des Fremdenverkehrs im Oberengadin. Er starb als wohlhabender Mann 1903 als St. Moritz seine Blüte erreichte als Reunionsplatz des untergehenden Erbadels und des aufkommenden Geldadels.
 

Nicolaus der Jüngere (Foto: Rätisches Museum Chur via Wikimedia Commons)

Die Jahrhundertwende war auch die erste Blütezeit seines Sohnes, des dritten Hartmann, Nicolaus auch er mit Namen, der Jüngere genannt. Er kam 1880 in St. Moritz zur Welt, und er wurde ein massgebender Architekt Graubündens im 20. Jahrhundert. Baumeister, Baukünstler, Unternehmer, Architekturpolitiker. Er baute Hotelpaläste. Da gab es Jazzmusik aus Amerika und es gab Tanzmusik von Kapellen, die auf der Fussreise von Tirol nach Italien auf Saison in St. Moritz waren. Am Tag als Kutscher, in der Nacht als Musikanten im Hotelorchester des Kulm. Und sie spielten Nicolaus und seinen reichen Freunden Mazurken, Polkas und Walzer.  Immer wieder gab Nicolaus eine Runde aus, damit die Kapelle diesen hier spiele.»

Die Musik spielt den «Nicolaus-Walzer», die Tränen fliessen, die Herzen gehen über.

Hotel Vulpera (Foto: ak-ansichtskarten.de, via Wikimedia Commons)

«Der Vater des eleganten Walzertänzers kannte noch die Armut im Kanton Graubünden des 19. Jahrhunderts. Als Büblein starb ihm in Ilanz die Mutter und er kam ins Waisenhaus nach Schiers im Prättigau. Damals galt der Heimatort, der Bürgerort, noch etwas – hier stand das Armenhaus. Als er aber 1903 in St. Moritz starb, begleitete ein langer Trauerzug seinen Sarg und die Zeitschrift «Engadin Express & Alpine Post» widmete dem angesehenen Baumeister einen langen Nachruf. Hotels, das Kurhaus von Alvaneu etwa, heute eine Ruine; das ebenso bedeutende Posthotel in Mulegns, heute ein bedrohlich wankendes Denkmal, das Origen nun in die Finger nehmen wird, ein Haus von Geblüt wieder machend wie es einst war.  Dann Wohnhäuser für die von Planta und von Salis, die ihre Aristokraten-Vermögen geschickt durch die demokratischen Umstürze gerettet hatten; das Grandhotel Vulpera, geliebt später von Friedrich Dürrenmatt;  Schulhäuser und Kirchen. Er baute viel und gut. Auch das Gemeindehaus von St. Moritz. Aus dem Waisenbub war einer geworden, der heutzutage das Titelblatt von Hochparterre zieren würde. Ein künstlerisch wacher, kluger und auch erfolgreicher Architekt. Doch sein Herz hatte er im Prättigau verloren. Er heiratete die Tochter von Leonhard Meisser, Graubündens Gesangbuchdichter und Pfarrer von Schuders, der Gemeinde hoch über dem Schraubachtobel. Und eine flotte Bau- und Hartmann-Kapelle spielte die «Prättigauer Hochzeit» für Carolina Meisser, genannt Lina und Nicolaus den Zweiten, genannt Chlasi. Lustig sei es gewesen, man habe viel gelacht, gut gegessen und schön getrunken. Denn es war Zuversicht – Chlasi Hartmann hatte sein Bein im Oberengadin schon auf dem Boden.»


Die Musik spielt «Prättigauer Hochzeit».

«Am See baute Nicolaus der Zweite, der Ältere,  Haus für sich und Lina, das «Haus zur Heimat». Je besser es dem Fremdenverkehr ging, umso besser ging es seinem Geschäft. Hotels, Paläste meist, im Oberengadin, aber auch auf der Lenzerheide, Umbauten Neubauten. Er war ein Baukünstler, bodenständig und neugierig auf fremde Formen und auf einheimische. Ohne ihn würden wohl die Sgraffitti nicht als Stilmerkmal des Engadin gelten und den Tuffstein bevorzugte er für die grossen Volumen. Und Kirchen brauchten die Gäste für Religionen, die fremd waren im Engadin, wie es heute die der Muslims sind. Doch man war offen und hatte keine Angst vor fremden Gebeten zum gleichen Gott. Dazu war Hartmann technisch gut versiert, er wusste, wie der Maurer mauert aus eigener Erfahrung, er wusste wie mit Beton und Stahl neuzeitlich zu konstruieren war. Und er war ein Unternehmer, denn Architekt war man nebenbei, man war Baumeister. Ein Patriarch, der aber für seine Arbeiter sorgte und ihnen eine der ersten Krankenkassen Graubündens ebenso bot wie Versicherung gegen die Arbeitslosigkeit. Lange bevor die Arbeiter im Generalstreik von 1918 solches erkämpften. Die Zeiten waren sozial aufgewühlt, die Not der Arbeiter – einheimischer und italienischer – gross. Der Firma Hartmann ging es gut und der «Ältere Nicolaus» schickte den «Jüngeren» nach Lausanne an die Ecole d’Industrie und nach Stuttgart an die Technische Hochschule zu Theodor Fischer. In ein gemachtes Nest sollte er sitzen können, wenn er heim käme.
 

Hotel Castell (Foto: Werner Friedli, ETH Bibliothek via Wikimedia Commons)

Doch 1903 – völlig unerwartet – starb der zweite Nicolaus und der dritte brach sein Studium ab. Er stand in den St. Moritzer Kontor an seines Vaters Tisch. Er führte Stil und Art des Alten weiter. Der Fremdenverkehr blühte, die alten Adeligen verspielten ihr letztes Geld und die neuen – die Bankiers, Reeder, Industriekapitäne und ihre Entourages – die Neureichen hielten Hof im Oberengadin. Hartmann der Jüngere und Seinesgleichen bauten ihnen die standesgemässen Hotels und privaten Residenzen, gerne im Schlossstil, malerisch, robust und bodenständig mit Tuffstein vor raffinierten Konstruktionen aus Eisenbeton. Bündner Heimatstil nannten das die nachgeborenen Kunsthistoriker. Ein Musterstück dazu ist bis heute das Hotel Castell von Zuoz – hier sieht man noch viel Hartmann, sorgsam wiederhergestellt vom neuen Besitzer Ruedi Bechtler. Und was der Junge vom Alten her hoch hielt –  man baute in erlesenem Design. Handgemacht. Man hatte Zeit und die Löhne waren tief. Er verlangte eine hohe Schule der Maurer, Zimmerleute, Schreiner, Plättlileger und Schlosser. Kunstanspruch gehörte zum Entwerfen, zum Machen und zum Konsumieren. Die Noblesse promenierte durch den Speisesaal, sie rauschte im Ballkleid durch die stimmigen Säle und legte sich nieder in gemütlichen, komfortablen Zimmern: Denn Komfort war Ehrensache seitdem in St. Moritz als erstem Ort der Schweiz das elektrische Licht eingeführt worden war.
 

Herz Jesu Kirche Samedan (Foto: Roland Zumbuehl via Wikimedia Commons)

Auch eine Reihe öffentlicher Bauten stemmte das Büro und Baugeschäft Hartmann. So eine für das seit Menschengedenken protestantische Engadin besondere Bauaufgabe: Eine katholische Kirche. Gebaut von einem Prättigauer. Keine evangelischeren gibt es im Kanton. Die Herz-Jesu-Kirche steht in Samedan. Hier hat der junge Architekt in bis heute berückender Weise sein künstlerisches Programm gebaut: Den stimmigen,  warmen, schwingenden, erhebenden Innenraum aus Stein, Holz, Licht und Kunsthandwerk. Hier sassen sonntags die Arbeiterinnen und Arbeiter des Fremdenverkehrs und der Eisenbahn und träumten von ihrer Heimat: Italien. Oder Surselva. Gehen Sie hin, erleben sie beinahe originalen Hartmann; es wird Ihnen gefallen und hören sie gut in die Stimmung hinein. Leise und immer lauter wird das Lied der Bauarbeiter, der Hotelarbeiterinnen und all jener erklingen, die die Herrlichkeiten der Hartmänner erbaut haben und am Laufen halten bis heute. »
 

Die Musik spielt «Madonna del Crap».


Kraftwerk Küblis (Foto: lkiwaner via Wikimedia Commons)

Die Bau- und Hartmannkapelle spielte die Hymne an die «Madonna del Crap», die Schutzheilige der Köche, Kellnerinnen, Concierges, Chauffeure und Skilehrerinnen des Fremdenverkehrs. All jene Tausende, die das Paradies für wenig Geld am Laufen halten und hielten. Was in Nicolaus dem Aelteren angelegt war, brachte der jüngere zur Blüte: Er wurde ein die Landschaft Graubündens prägender Architekt. Bauaufgaben für die RhB, so die Steinbauten an der Berninabahn; für die Kraftwerke, deren prächtiges Wasserschloss in Küblis er entworfen hat; für Private vorab im Engadin. Als Sent abgebrannt war, zeichnete er 1921 den Plan, nach dem es wieder aufgebaut wurde und holte den spitzigen Kirchentrum herbei. Und als etliche Bankiers, Hoteliers und weitere seiner Kameraden in der grossen Krise des Engadins während des Ersten Weltkrieges ertrunken sind, blieb er über Wasser.

Nicolaus Hartmann war ein eloquenter Streiter für den Heimatschutz, wo er mit seinem Onkel Benedikt, dem Pfarrer, ein elegantes Tandem fuhr. Kritischer - ich sage dem lieber heiterer – heiterer Regionalismus hiess seine Architektur. Bauten, die die Weltluft mit der dünnen Luft Graubündens verbunden haben. Und wie haben die strengen Modernen in der Stadt über ihn  seinesgleichen doch lachen mögen, über den Heimatstil, über die Gemütlichkeit, über das Kunsthandwerk am Bau und über den menschlichen Massstab. Hören wir heute «Heimat», läuft es uns kalt den Rücken hinunter, denn wir erwarten, die SVP packe uns, um uns auszudörren im Käfig ihrer Schweiz. Hartmann war ganz anders, die Zeit war auch anders. Er war neugierig, weltoffen und rege bis er 1956 gestorben ist.  Sein Heimatstil ist ein Stil zum Gernhaben – bis heute und für morgen.

Nicolaus der erste, der zweite und der dritte hatten zwei Gemeinsamkeiten: Alle drei waren Prättigauer im Herzen und alle drei hatten eindrückliche, grosse Bärte. Der erste gründete, der zweite baute aus, der dritte brachte Architektur aus Graubünden zu Blüte und Ruhm. Doch der vierte hiess nicht mehr Nicolaus sondern Theodor und war ebenfalls ein guter Architekt, dessen fein gegliedertes, elegantes Haus am Bahnhofplatz Chur kürzlich abgerissen worden für den bauchigen Spektakelbau einer Versicherungsgesellschaft. Und dann endlich – eine Frau! Kristiana – Theodors Tochter wanderte aus, wurde Professorin für Städtebau in Deutschland – den Mannen Marmor, Stein und Eisen, den Frauen die Schönheit der Theorie  – und darum spielt die Bau- und Hartmann-Kapelle für Kristiana Hartmann «La Virinedda», die Hymne an die schönen Frauen.»
 

Die Musik schliesst die Revue mit «La Virinedda» ab, dem Loblied an die schönen und klugen Frauen.

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