Kreuz und quer: Treppen verbinden die Hörsäle in verschiedenen Richtungen. Fotos: Ursula Sprecher

«Der Würfel war ein Befreiungsschlag»

Pool Architekten haben acht Jahre am FHNW Campus Muttenz geplant. In Hochparterres Themenheft sprechen David Leuthold und Andreas Sonderegger über die Würfelform, Elefantenprojekte und Parkett im Büro.

Im Architekturwettbewerb waren Pool Architekten die Einzigen in der Schlussrunde, die ein Hochhaus als Solitär vorgeschlagen haben. Wie sind Sie darauf gekommen?
Andreas Sonderegger: Wir haben angefangen wie alle anderen: mit mehreren Gebäuden. Das schmale Grundstück führte jedoch zu langen Flügeln, deren Räume teilweise weit weg waren von der zentralen Infrastruktur. Gleichzeitig gingen die Gebäude in der grossmassstäblichen Umgebung neben den Industriebauten und dem Gleisfeld unter. Also haben wir ein möglichst kompaktes Volumen gesucht, das obendrein wenig Fassade braucht und den Wärmeverlust minimiert. So kamen wir auf den Würfel. Das war ein Befreiungsschlag. Der Landschaftsarchitekt hat uns sofort darin bestärkt: Statt Restflächen kriegen wir einen Park. Auch innenräumlich hat uns die Idee überzeugt: unten die zentralen Funktionen, darüber die Institute.

Sie haben übereinandergestapelt, was normalerweise nebeneinander liegt. Gibt es Vorbilder, von denen Sie sich für diesen vertikalen Campus inspirieren liessen?
David Leuthold: Zuerst einmal: Der Campus ist nicht nur vertikal. Es gibt eine horizontale Abfolge von Park, Vorplatz, Eingang, Atrium. Dort treffen die Horizontale und die Vertikale aufeinander, der Raum verdichtet sich.
Andreas Sonderegger: Es gibt Referenzen, aber in Nordamerika, nicht in Europa. Wir haben uns die Hochhäuser in Chicago um 1890 angeschaut, die Hyatt-Hotels von John C. Portman Jr. aus den 1970er- und 1980er-Jahren, die Architekturfakultät in Yale von Paul Rudolph von 1963 mit dem expressiven Querschnitt.
David Leuthold: Daneben haben uns auch Warenhäuser inspiriert aus einer Zeit, als diese noch Begegnungsorte waren. Bauten mit einer inneren Repräsentation.

Die vertikale Anordnung ist für einen Campus ungewöhnlich. Wäre eine horizontale Anlage nicht besser für die Vernetzung?
David Leuthold: Diese Frage kann man sich zunächst stellen. Doch der Bautyp in Muttenz entspricht nicht einem Hochhaus mit kleiner Grundfläche und Lift. Das untere Kollegiengebäude funktioniert als grosser Raum, der in der Vertikalen verbindet.
Andreas Sonderegger: Die Kommunikation findet auf dem Marktplatz im Erdgeschoss, in den Gängen vor den Hörsälen statt. Das zentrale Atrium verdichtet den Raum, statt dass die Institute in langen Korridoren enden. Und die Treppen in den Lichthöfen geben Einblick in alle Funktionen des Gebäudes: die Werkstätte der Architekten, die Küchen der Pädagogischen Hochschule, die Labors der Hochschule für Life Sciences. Die Studierenden erleben die Nachbarschaft im Gebäude.
David Leuthold: Die Sicht- und Hörbezüge sind wichtig. Man kann das ganze Haus durchschreiten. Nichts ist versteckt. Es gibt keine Sackgasse. Alles ist in der Mitte.

Durchblick: Das Atrium verbindet das Erdgeschoss mit den Lichthöfen.

Das Atrium ist das Herz. Wie war es möglich, so viel Raum nicht zu nutzen?
Andreas Sonderegger: Der Platz ist nicht verschenkt. Die Belichtung definierte die Abmessungen der Lichthöfe. Wir haben die Dimensionen mit der Strasse vor unserem Büro verglichen, die ähnlich breit ist. Später haben wir das Licht mit Simulationen berechnet, die unseren Eindruck bestätigt haben.
David Leuthold: Das Atrium wirkt verschwenderisch, aber das ist nur ein Gefühl. Rechnerisch ist klar: Das Gebäude ist hocheffizient, sowohl das Volumen als auch das Verhältnis von Geschoss- zu Hauptnutzfläche. Auf den Stockwerken der Institute gibt es keinen Quadratmeter, der nicht genutzt wird. Wir waren zudem günstiger als die Kostenvorgaben.
Andreas Sonderegger: Und doch hat das Gebäude eine relativ grosse Abwicklung, sodass wir sogar die Erschliessungskerne an die Fassade stellen konnten. Im Gebäude gibt es fast keine schlechten Flächen. Einzig in den untersten Geschossen des Mitteltrakts nimmt die Qualität der Belichtung ab. Dort haben wir vor allem Labore und Lagerräume untergebracht.

Der Mittelträger ist ein statischer Kraftakt. Warum wird er architektonisch nicht stärker inszeniert?
David Leuthold: Wir spielen die Tragstruktur architektonisch sehr wohl aus. Der Träger ist unten fast komplett geschlossen. Die gerippte Untersicht prägt das Atrium stark. Aber er wird nicht überinszeniert. Der Träger ist Mittel zum Zweck. Wir haben ihn nicht gebaut, weil wir eine Brücke konstruieren wollten, sondern weil wir zwei Gebäude übereinandergestapelt haben.

Die Fassade erinnert an ein Bürogebäude. Warum zeigt sie nicht mehr von der Vielfalt, die dahintersteckt?
Andreas Sonderegger: Wir kennen die Vielfalt nicht, die sich in den Bürogeschossen abspielen wird. Die Geschosse der Institute sind flexibel. Vielleicht wird das Gebäude in dreissig Jahren auf den Kopf gestellt. Anders im dritten Obergeschoss: Hier wird das Gebäude transparent, die öffentliche Nutzung wird sichtbar.
David Leuthold: Wir suchten keine didaktische Fassade, die das Innere eins zu eins darstellt. An diesem Ort sind sprechende Fassaden nicht adäquat, insbesondere bei einem Hochhaus. Die Kraft des Kubus ist so stark, dass wir die Hülle einfach hielten. Und doch ist sie nicht banal.
Andreas Sonderegger: Das Haus ist ein Turm, der allseitig wirkt und nicht auf die unmittelbare Umgebung reagiert. Ein Hochhaus ist auf sich bezogen. Wir wollten aber auch keine Glasbox. Schräg betrachtet schliessen die Lisenen aus Aluminium deswegen die Fassade.

Ein Park verbindet den FHNW Campus Muttenz mit dem Quartier.

Sie haben 356 000 Kubikmeter verplant. Wie haben Sie die Grösse gemeistert?
Andreas Sonderegger: Wir haben lange daran gearbeitet, acht Jahre insgesamt. Am Anfang wollten wir strategisch vorgehen und uns auf die wichtigen Räume konzentrieren. Im Laufe der Planung wurden wir ehrgeiziger. Ein Monumentalbau wie dieser hat seine Regeln, das war uns früh bewusst: ein klares Volumen, eine einfache Gliederung. Das hilft, das Gebäude zu erfassen.
David Leuthold: Wir mussten nach dem Wettbewerb der Bauherrschaft ein Jahr lang beweisen, dass diese Struktur zielführend ist, sowohl für die Statik als auch für die Nutzung. Das bedeutete viel Überzeugungsleistung, Reibungsverlust, auch Sisyphusarbeit. Wir hatten ja immerhin einen Wettbewerb gewonnen.
Andreas Sonderegger: Die Bauherrschaft hat uns aufgefordert, Alternativen zu suchen. Das Gebäude könnte doch auch ganz anders funktionieren, hiess es. Wir haben alles Mögliche geprüft. Nach einem Jahr sind wir aber wieder nahe am Wettbewerbsprojekt gelandet. Das war am klarsten, am stärksten.
David Leuthold: Danach war die Struktur geklärt und konnte nicht mehr infrage gestellt werden. Das gab ihr eine Widerstandsfähigkeit, wie ein robuster Mensch, den nichts aus der Ruhe bringt. Das war auch ein Glücksfall.

Im Gebäude arbeiten mehr als 4500 Personen. Für wen haben Sie entworfen?
Andreas Sonderegger: Uns sass kein homogener Nutzer gegenüber. Wir waren in Kontakt mit vielen Personen, von allen Abteilungen bis zum Hauswart. Wir haben ihre Vorbehalte, ihre Freude früh mitgekriegt. Das erlaubte unkonventionelle Materialentscheide, wie das Parkett in den Büros. Ich hätte nicht gedacht, dass dieser Vorschlag bei den Nutzerinnen und Nutzern durchkommt.
David Leuthold: Das Gebäude ist für Studierende gedacht, die gerne zur Schule gehen und von dieser auch etwas erwarten. Kein anonymer, nichtssagender Raum, sondern ein Ort, der in Erinnerung bleibt.

Ein solches Haus baut man nicht jeden Tag. Gab es keine Überraschungen, keine Stolpersteine?
Andreas Sonderegger: Das Gebäude ist unkonventionell. Das war für die Behörden eine Herausforderung. Das Konzept für den Brandschutz zum Beispiel mussten wir für das Haus neu erfinden. Das löste viel Unsicherheit aus. Wir mussten darlegen, dass es auch wirklich funktioniert. Aber wie beweist man etwas, das es so noch nicht gibt? Irgendwann hilft nur noch Vertrauen. Zudem hatten wir den Aufwand unterschätzt, alle Details bei einem so grossen Gebäude zu kontrollieren.
David Leuthold: Es gab glücklicherweise keine grossen Probleme. Wir waren im Terminplan, hielten den Kostenrahmen ein, auf der Baustelle hat sich niemand schwer verletzt. Teilweise zermürbend war die Kleinarbeit. Doch unsere kollektive Bürostruktur half uns. Andreas und ich konnten uns gegenseitig unterstützen, zusammen mit dem ganzen Team.

Der Campus ist ein Grossprojekt. Was bedeutete das für Ihr Büro?
Andreas Sonderegger: Das Projekt ist wie ein Elefant. Nach der Jagd muss man alles verarbeiten. Es war unser grösstes Projekt bisher und hat viele Personen gebunden.
David Leuthold: Zum Glück lief das Projekt kontinuierlich, das machte es planbar. Die Grösse war damals neu für uns. In der Zwischenzeit kamen die Fachhochschulen in Biel und Winterthur hinzu, die wir derzeit planen.

Der FHNW Campus Muttenz ist ein symbolträchtiger Bau. Was sagt er aus bezüglich Nachhaltigkeit?
David Leuthold: Ich sehe die Nachhaltigkeit auf den drei Pfeilern Ökonomie, Ökologie und Gesellschaft. Der Städtebau ermöglicht einen Park für das Quartier. Das Haus fördert den Austausch unter den Studierenden. Das Gebäude verbraucht wenig Boden, es ist effizient organisiert, die Materialien sind dauerhaft und unterhaltsarm.
Andreas Sonderegger: Dazu kommt die Flexibilität. Die Trakte können komplett neu organisiert werden. Schon jetzt wird das Gebäude umgebaut, es werden Schulräume ergänzt, Büros zusammengelegt.

Dieser Beitrag stammt aus dem Themenheft «Vielseitiger Würfel», das Hochparterre über den FHNW Campus Muttenz herausgegeben hat.

Tag der offenen Tür FHNW Campus Muttenz
Samstag, 11. Mai 2019
10:00 – 16:00 Open Campus mit Dutzenden Attraktionen wie Führungen, Workshops, Ausstellungen für Jung und Alt
16:00 – 22:00 Campus Party mit Konzertprogramm und Festwirtschaft

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