Der Gipser mit seiner Kelle: Die Ausstellung an der ETH stellt das Handwerk in den Vordergrund. Fotos: zVg, © Hans-Jörg Walter

Der Reichtum der letzten Millimeter

Die ETH Zürich widmet dem Thema Putz ein Handbuch und eine Ausstellung. Beide zeigen: Das Oberflächenmaterial ist bei Architekten zu unrecht verpönt.

Verputzte Aussendämmung. Bei diesem Begriff läuft es manchem Architekten kalt über den Rücken. Doch die Kompaktfassade gehört zum täglichen Brot der Planer in Zeiten, in denen die Kosten tief und die Dämmung dick sein muss. «Zweischalige Fassaden sind in Österreich nicht finanzierbar», stellte Architekt Adolf Krischanitz an der Vernissage der ETH-Ausstellung «Über Putz» klar. Er will aber nicht klagen, sondern fordert: «Wir müssen eine Gelenkigkeit mit diesem Material entwickeln, so dass daraus eine kulturelle Botschaft entsteht.» Um eben diese Agilität zu fördert, legen Annette Spiro, Hartmut Göhler und Pinar Gönül das gleichnamige Buch zur Ausstellung vor. Die Publikation ist als Handbuch gedacht. Sie schlüsselt die Fassaden von fünfzehn Bauten akribisch auf, legt die Rezeptur der Putze offen und nennt die Produkte und Hersteller beim Namen. Im Interview erläutern die Architekten, warum die Oberfläche gerillt, gekratzt oder geglättet ist. Und ein Glossar erklärt die Fachbegriffe von Abbinden bis Zusatzstoff.

Alles was sich nicht zwischen zwei Buchdeckel klemmen lässt, hat die ETH in der Ausstellung versammelt. Auf einer Art Schminktisch für Gebäude liegen alle Zutaten und Werkzeuge bereit. Glasbehälter sind gefüllt mit Kalk, Quarzsand oder Kies. Aber auch Seife, Hanfhäcksel oder Chinaschilf sind in den Dosen zu finden. Daneben liegen Utensilien mit eigenartigen Namen wie Zahntraufel, Kratzbrett oder Reibescheibe. Um den Tisch herum können die Besucher Putzmuster studieren, vom Kellenwurf- über den Abrieb- bis zum Waschputz. Die Schau führt so vor Augen, wie viel Know-how in den letzten Millimetern eines Gebäudes stecken. In ihrer Eröffnungsrede sprach Annette Spiro von einem «Graben zwischen Akademikern und Handwerkern». Mit dem Handbuch liefert sie den Architekten einen Steilpass, das Thema auszuloten statt die Nase zu rümpfen. Die Beispiele zeigen, wie Putz vom verachteten Überzug zur üppigen Schicht wird, die ein Gebäude abrundet und veredelt. Oder wie Krischanitz den Verputz bezeichnete: «Schlagobers» als Vollendung jeder Torte.

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