Skizze Aranya Low Cost Housing, Indore, 1989. Foto: Vastushilpa Foundation. Fotos: PD Vitra Design Museum

Der entspannte Modernist

Das Vitra Design Museum widmet Balkrishna Doshi die erste Ausstellung ausserhalb Asiens. Darin wird die unideologische Haltung des indischen Architekten zum Greifen nah.

Balkrishna Doshis Leben erscheint wie eine einzige grosse Fügung. Wie der Architekt in den 1950-Jahren in Indien ein Schiff nach London bestieg, in der Hoffnung am Royal Instituet of British Architects zu studieren. Wie er per Zufall auf Le Corbusier aufmerksam wurde und bei ihm im Atelier in Paris arbeitete, wo er mit Händen und Skizzen statt auf Französisch kommunizierte. Wie er mit Louis Kahn Projekte in seinem Heimatland realisierte. Wie er 1956 sein eigenes Büro in Ahmedabad gründete und mithalf, zehn Jahre nach der Unabhängigkeit das moderne Indien aufzubauen. Und wie er 2018 im Alter von 91 Jahren den Pritzker-Preis für sein Lebenswerk erhielt, als erster indischer Architekt.

Doshi war sichtlich gerührt, als er gestern im Vitra Design Museum in Weil am Rhein die erste Ausstellung zu seinem Werk ausserhalb Asiens eröffnete. Zuvor war die Schau in New Dehli und Shanghai zu sehen, lange bevor der Architekt den prestigeträchtigen Preis entgegen nahm, mit dem er auch in Europa einem grösseren Kreis bekannt wurde. Kurtiert hat die Ausstellung seine Enkelin Khushnu Panthaki Hoff, Jolanthe Kugler passte sie für Vitra an.

Dass Doshi von den Meistern der Moderne gelernt hat, sieht man vielen seiner Projekte an. «Le Corbusier war mein Guru, Kahn mein Yogi», sagte er im Interview mit dem «Magazin». Wie seine Vorbilder versteht er sich als Architekt, Künstler, Philosoph. Seine Bauten, die er alle in Indien realisiert hat, sind mit dem Ort verwurzelt. Doshi entwarf mit dem Klima, mit lokalen Materialien, mit der Natur. Selbst bei staatstragenden Grossvorhaben stand diese im Zentrum. Etwa beim Indian Institute of Management in Bangalore, bei dem die Höfe zu grünen Oasen wuchsen.

Indian Institute of Management, Bangalore, 1977/1992. Foto: Vinay Panjwani.

Balkrishna Doshi plante öffentliche Gebäude, Wohnsiedlungen und ganze Städte. Egal welcher Massstab: Zentral war die Gemeinschaft, die Vernetzung. Ein Wasserturm wird zur Aussichtsplattform und zum Gemeinschaftsort. Auf den Treppen laufen sich alle Bewohner einer Siedlung über den Weg. Die Architekturschule in Ahmedabad erbaute Doshi 1968 als Haus ohne Türen. Alles fliesst ineinander über, die Architektur wird zu einer grossen Symbiose.

School of Architecture, Centre for Environmental Planning and Technology, Ahmedabad, 1968. Foto: Vinay Panjwani.

Eine weitere Konstante ist die Veränderung. Für die Ärmsten entwickelte Doshi 1989 in Indore die Siedlung Aranya, bei der jede Familie eine Grundfläche von 30 Quadratmetern selber bebaute. Der Architekt gab mit einer Mustersiedlung ein Beispiel für die Gestaltung vor, hatte aber keine Mühe loszulassen. Auch bei der Siedlung für die Life Insurance Corporation of India von 1973 wächst das Gebäude mit den Leben der Bewohner mit, wird grösser, kleiner, anders. Die Architektur ist in Bewegung.

Aranya Low Cost Housing, Indore, 1989. Foto: Vastushilpa Foundation.

Housing for the Life Insurance Corporation of India, Ahmedabad, 1973. Foto: Vastushilpa Foundation.

Die Grenzen seiner Disziplin sprengte Doshi schliesslich endgültig mit einer Ausstellungsgrotte, die er 1994 mit dem Bildhauer Maqbul Fida Husain entwarf. Knochige Säulen tragen organische Kuppeln. Die Form hat der Architekt am Computer entworfen, ausgeführt wurde sie von Hand. Wie kein anderes Projekt verbindet der Bau Gegensätze und löst die Konventionen der Architektur bis zu ihrem Verschwinden auf.

Amdavad Ni Gufa art gallery, Ahmedabad, 1994. Foto: Iwan Baan.

Balkrishna Doshi verband internationale Ideen mit lokalen Traditionen, er verknüpfte neue Materialien mit altem Handwerk, vereinte monumentale Masterpläne mit Selbstbau-Vorhaben. Die Ausstellung macht seine unideologische Moderne greifbar. Riesige Modelle stehen im Museum, eine Tür ist 1:1 nachgebaut, ein perspektivisch verzerrter Raum gibt einen Eindruck von seinem Atelier in Ahmedabad. Hinzu kommen die Pläne und Zeichnungen, die in allen möglichen Farben strahlen. Selbst der Katalog zur Ausstellung ist eingebunden in ein buntes Gemälde, das sein Atelier als Einheit aus Architektur und Garten zeigt. Im Hintergrund hört man derweil atmosphärische Klänge, die ein Enkel von Doshi für die Ausstellung komponiert hat. Am Ende sitzt man dem entspannten Meister im Videointerview gegenüber und lauscht seinen beruhigenden Worten, mit denen er den Kreis schliesst. «Das Leben ist organisch, das gilt auch für die Architektur.»

Balkrishna Doshi in seinem Atelier in Ahmedabad. Foto: Iwan Baan.

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