An der Lessingstrasse verzichteten die Baumanager Righetti Partner erstmals bei einem Umbau gänzlich auf geplottete Pläne. (Visualisierung: OOS Architekten) Fotos: Caroline Eitel

Baustelle auf dem Tablet

Der Umbau ehemaliger Fabrikhallen an der Zürcher Lessingstrasse wird von A bis Z über eine digitale Plattform gesteuert. Anwendern berichten von ihren Erfahrungen auf der «digitalen Baustelle».

Die einstigen Fabrikhallen am Sihlufer zeugen vom Pioniergeist längst vergangener Zeiten. In den 1890er-Jahren entstand in Zürichs Stadtkreis 2 entlang der Lessingstrasse nach und nach ein vielschichtiger Gebäudekomplex, der in der Folge immer wieder umgestaltet und weiter ausgebaut worden ist. Noch heute erkennt man die ehemaligen Produktionshallen mit und ohne Oberlichter, den Wasserturm, die früheren Wohn- und Bürogebäude. Aktuell wird die gesamte Liegenschaft, die etwa 3000 Quadratmeter umfasst und der ZürichParis AG gehört, renoviert und anschliessend neu vermarktet.

Beim Gang über die Baustelle könnte man sich leicht verirren, so verschachtelt sind die aus verschiedenen Epochen stammenden Gebäudeteile. Durch einen Mauerdurchbruch gelangt man von einer Terrasse auf ein Zwischengeschoss mit Holzboden. Ein paar Schritte weiter öffnet sich ein weiterer Durchbruch. Dahinter, etwas erhöht, eine von früheren Bewohnern versprayte Mauer. Dominik Lauper, der als Baumanager bei der Righetti Partner Group arbeitet und an der Lessingstrasse die Bauleitung innehat, schwärmt: «Ein spannender Umbau! Allerdings kann ich mir nicht vorstellen, wie wir den ohne 3-D bewältigen könnten!»

Auf der Baustelle dient das Tablet als Online-Planarchiv, Checklisten-Organizer, Terminkalender, Fotoapparat, Bestellterminal oder ‹Röntgengerät›.

Altes Gebäude digitalisiert

Bereits als die Bauherrschaft, zusammen mit OOS Architekten Zürich und der Righetti Partner Group, noch darüber diskutierte, wie der Altbau neu genutzt werden könnte, wurde der Gebäudekomplex mit Laser vermessen. In das 3-D-Modell flossen aber nicht nur geometrische Daten, sondern auch weitere Informationen ein, die einen Überblick über die in unterschiedlichen Epochen erstellten Gebäudeteile ermöglichten. «Wir haben die Ausgangslage detailliert dokumentiert und dadurch bei der Planung und Umsetzung viel Zeit gewonnen», erläutert CEO Marc Righetti. Das 3-D-Modell war bereits bei der Projektentwicklung äusserst hilfreich, weil es ein besseres Bild der räumlich und baulich komplexen Verhältnisse erlaubte.

Doch damit nicht genug: Das Modell sollte über die Planung hinaus auch bei der Renovation als Basis dienen. Seit einigen Jahren setzen Righetti Partner auch auf der Baustelle immer stärker aufs elektronische Tablet. An der Lessingstrasse verzichtete man nun erstmals bei einem Umbau gänzlich auf geplottete Pläne. Für Marc Righetti hat der digitalisierte Plan verschiedene Vorteile: Er sei immer auf dem aktuellsten Stand und allen Beteiligten zugänglich, zudem könne man die Projektgeschichte stets zurückverfolgen. Dies bringe mehr Sicherheit und Nachvollziehbarkeit. Zudem brauche man nicht mehr tonnenweise Papier, was sowohl auf das Budget als auch auf die Umwelt positive Auswirkungen habe.

Das digitale Bauwerksmodell dient nach der Fertigstellung des Gebäudes als Baudokumentation, Raummanager-Werkzeug oder Mess- und Analysegerät für die Gebäudetechnik.

Die Steuerung eines Bauvorhabens mittels elektronischer Tools funktioniert allerdings nur, wenn alle mitmachen. Bereits bei der Ausschreibung hat man die Unternehmer darauf aufmerksam gemacht, dass die Kommunikation auf der Baustelle über eine elektronische Plattform erfolgen werde. Diese ermöglicht die Verknüpfung des 3-D-Modells mit den 2-D-Plänen und sämtlichen weiteren Informationen, die den Bestand sowie den Umbau betreffen. Die Softwarelizenz wird von Righetti Partner zur Verfügung gestellt – die Partnerunternehmen müssen ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter jedoch mit einem Tablet ausrüsten, damit loggen sie sich über eine App in die Pläne ein. Auch wenn diese Arbeitsweise immer wieder zu Diskussionen führe, zeigten sich die meisten Unternehmer den digitalen Entwicklungen gegenüber offen, stellt Marc Righetti fest. Einerseits, weil der Schritt unumgänglich sei, andererseits aber auch, weil die Prozesse einfacher und effizienter werden.

Schnell und direkt

Der Umbau an der Lessingstrasse startete im Oktober 2017 mit einer umfangreichen Asbestsanierung. Bereits zu diesem Zeitpunkt leisteten das 3-D-Modell und die elektronische Plattform wertvolle Dienste: Da bei der Bestandesaufnahme alle asbesthaltigen Bauteile entsprechend markiert worden waren, konnten sie mit einem Klick eruiert und die Aufträge präzise erteilt werden. Im Frühjahr 2018 begann dann der eigentliche Umbau. Die Arbeiten sind bisher planmässig vorangekommen. Kurz nach dem Baustellenbesuch sollte der Fassadenlift an der Aussenwand wieder abgebaut werden. Dominik Lauper bringt sein iPad in Position und fotografiert die beiden zugemauerten Fenster in der Backsteinmauer. Mit zwei Fingerstrichen wählt er den Ausschnitt, zieht einen roten Pfeil und ergänzt das Bild mit der Notiz «Sobald Fassadenlift entfernt, Beginn Abbrucharbeiten Fassadenöffnung». Als Deadline fügt er ein Datum ein und verschickt den Auftrag an den Baumeister. Dieser erhält die Nachricht als Meldung auf sein Handy. Gleichzeitig erscheint diese Bestellung auch auf dem Plan: Die Stelle, wo die Fenster geöffnet werden sollen, ist nun mit einem orangen Marker gekennzeichnet. Klickt man darauf, erscheint das Bild mit Notiz und Deadline. «Früher hätte ich das Foto im Büro runterladen müssen und von dort die Bestellung per Mail verschickt. Da ich nun alles gleich vor Ort erledigen kann, bin ich viel effizienter», fasst Projektleiter Lauper die Vorteile zusammen. Er schätzt es, dass er mit dem digitalen Modell und der laufenden direkten Zuweisung von Pendenzen an die Unternehmer das Tempo stark beschleunigen kann. Auf eine konkrete Aussage, wie gross die Zeiteinsparungen sind, will er sich aber zu diesem Zeitpunkt nicht einlassen. Dies könne man dann erst nach Beendigung des Umbaus analysieren.

Klare Vorgaben, klare Regeln, klare Organisationsstrukturen und einheitliche Standards sind die Voraussetzungen für eine gute digitale Zusammenarbeit.

Das Tempo und die Fokussierung auf Online-Kommunikation können aber auch zu Fehlern führen. So klafft in der Mauer, wo bis vor Kurzem noch eine altersschwache, aber erhaltenswerte Eingangstür auf ihre Renovation wartete, ein Loch: Auf dem elektronischen Plan war sie als Abbruchobjekt markiert, weil das Programm keine Kategorie für ‹Ertüchtigung› kennt. Als der Bauleiter den Fehler bemerkte, war es schon zu spät: Die Tür war demontiert und entsorgt. «Zum Glück ein Einzelfall», wie Dominik Lauper betont. Viel lieber weist er auf einen weiteren Vorteil des elektronisch gesteuerten Managements hin: «Die Plattform bringt auch enorme Erleichterungen für das Reporting: Ich habe auf dem Tablet alle notwendigen Formulare, mit denen ich auch Checklisten erstellen, Oberthemen wählen oder vollständige Berichte generieren kann.» Als Gewinn empfindet er auch die Tatsache, dass er heute leicht bepackt mit dem Tablet auf die Baustelle kann und nicht mehr wie früher schwere Bundesordner mit Plänen und Notizen herumschleppen muss.

Weniger Überraschungen auf der Baustelle: An der Kollaborationssitzung korrigieren Architekten und Fachplaner Fehler gemeinsam und direkt am digitalen Bauwerksmodell.

Tablets auch auf der Baustelle bald Alltag

Mitten in der Halle mit den Oberlichtern im ersten Stock findet sich dann doch noch Papier: Ein Monteur beugt sich über einen riesigen Plan, der auf einer Kiste ausgebreitet ist. Ihm entnimmt er die Informationen, wo die Löcher für die Halterungen der Dachwasserleitung gebohrt werden müssen. Noch haben nicht alle Bauunternehmer das Papier aus ihren Firmen verbannt. Manche drucken die Pläne, die sie elektronisch über die Plattform erhalten, für ihre Mitarbeiter nach wie vor aus. Das habe durchaus auch Vorteile, meint einer der Sanitärinstallateure: Auf der Baustelle sei es oft schmutzig, was einem Tablet nicht gut bekomme – Papier sei widerstandsfähiger. Er ist neu auf der Baustelle Lessingstrasse und hat am Vormittag die erste Projektleitersitzung miterlebt: «Ich habe gesehen, wie viel schneller es mit den Tablets geht, und finde es superpraktisch.» Und: «Ich bin sicher, dass sie langsam, aber sicher zum Alltag auf dem Bau gehören.»

Noch ist die Ausschreibung übers digitale Bauwerksmodell in der Schweiz Zukunftsmusik. Ist die digitale Kette erst einmal geschlossen, wird die Vergabe transparenter.

Auch Dominik Lauper ist überzeugt, dass die Entwicklung weitergeht. Noch seien nicht alle Tools ganz ausgereift, meint er. Zur Illustration versucht er, mit seinem Handy ein Ad-hoc-3-D-Bild zu generieren und dieses mit dem digitalen Modell in Übereinstimmung zu bringen. Damit könnte der Betrachter vor Ort seinen eigenen Standort direkt im Modell verorten. Trotz mehrerer Versuche will es nicht recht gelingen. Was ihn nicht gross kümmert, denn so, wie viele andere Tools, welche die digitale Welt anbietet, braucht er auch dieses nicht wirklich für das Management der Baustelle. Oder besser: Er braucht es noch nicht. Marc Righetti weist auf die Entwicklungen der Baubranche in den USA hin: «Dort hat man kaum mehr ausgebildete Fachleute, immer weniger Arbeiter sind in der Lage, Pläne zu lesen. Da ist es sehr hilfreich, wenn sich ein Vorarbeiter mit den Leuten hinsetzen und ihnen das Ganze mithilfe von Augmented Reality in 3-D zeigen und erklären kann.»

Dieser Beitrag stammt aus dem Themenheft «Digitale Zusammenarbeit»

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