Das Jungbüro SVNM im Video. Fotos: SVNM

Die neuen Gesamtkunstwerker

Für SVNM sind Denken und Machen die Pfeiler der Architektur. Sie giessen Fliesen und Möbel aus Acrylgips. Eigenhändig bauten sie einen Zürcher Club zur Werkstatt um. Und gewannen dort zwei Wettbewerbe.

Alles beginnt im Frühling 2018. Der Spanier Angel Solanellas, der Belgier Camiel Van Noten und Marianne Meister, eine Schweizerin mit japanischen Wurzeln, arbeiten in London bei Sergison Bates und giessen mit Architekturstudierenden in Antwerpen Fliesen aus Acrylgips. Schon damals kommt zusammen, was die drei interessiert: das Transnationale und das Akademische, das Interdisziplinäre und das Handwerkliche. Sie nennen das «the head and the hand» und schwärmen vom Wiener Jugendstil als Einheit von Denken und Tun.

Dem Fliesenworkshop folgt zweierlei: Für den Gartenpavillon einer Winterthurer Pianistin entwickeln sie ein passendes Fliesenkleid. In Brüssel machen sie mehr als hundert Farbversuche mit Faserzement und lassen in Spanien Fliesen in 21 Blautönen fertigen. Mit einer Designerin aus Antwerpen produzieren sie eine Möbelserie aus Acrylgips. Dabei giessen sie verschiedene Farbtöne, und damit Zufall und Abwechslung, in präzise Formen. Ob das rentiert? «Das ist Materialforschung», winkt Camiel Van Noten ab, «hier verfliessen Beruf und Leidenschaft.»

Für Georg und Lorenz Bachmann Architekten entwarfen SVNM ein Fliesenkleid aus Faserzement in 21 Blautönen. (Foto: Lukas Maurer)

Mit der belgischen Designerin Lies Mertens gossen sie Möbel aus Acrylgips.

Vom Club zum Atelier
Parallel dazu bauen sie in Zürich im Erdgeschoss eines 1950er-Jahre-Bürobaus den ehemaligen Indie-Club Abart um. Als Marianne Meisters Schwester und ihr Partner, eine Keramikerin und ein Fotograf, diesen übernehmen, kündigt Meister in London und beginnt das Projekt. Bald folgen die anderen zwei, und am Ende ziehen sie als Büro Solanellas Van Noten Meister selbst ein.

Heute nennt sich der Ort ‹Atelier Kōbō›. Kōbō ist Japanisch und heisst ‹Werkstatt›. Im Keller liegen eine Holzwerkstatt und eine Dunkelkammer. Das Erdgeschoss ist Architekturbüro, Artspace, Keramikwerkstatt und Laden zugleich. Wöchentlich finden hier Mal- und Keramikkurse statt. Bei Veranstaltungen werden Tacos oder Udonsuppe serviert. «Der Ort blieb öffentlich», sagt Marianne Meister. «Da hört man beim Arbeiten auch mal das Tonschlagen.»

Beim Umbau legten sie selbst Hand an. Sie erhielten die schwarzen Metallpaneele an der Decke und befreiten die Mosaikfliesen unter den Metallplatten am Boden. Die Wände verputzten sie weiss. Wo früher eine Bühne war, zimmerten sie eine Plattform. Den Shop fassen mit Reispapier bespannte Schiebewände. Das Architekturbüro rahmen Stellwände und Regale. Zur Strasse hin hängen Leuchten mit Kaffeefiltern als Lampenschirme. So einfach kann Umbauen sein.

Das Atelier Kōbō ist nicht nur ihr eigenes Büro, ...

... sondern ausserdem Artspace und Fotostudio ...

... Keramikwerkstatt und Laden.

Zwischen alten Böden und Decken gliedern simple Holzmöbel den Raum.

Vor dem Massstabssprung
Alles brotlose Bastelei? Tatsächlich unterrichtete Van Noten vor Kurzem noch in London. Meister und Solanellas leiten Entwurfskurse in Luzern und Barcelona. Doch die ersten Wettbewerbserfolge sind da. In Ried-Brig bauen sie 24 Alterswohnungen mit Blick auf das Rhonetal. In Schlieren planen sie sieben Wohnungen auf dem Grundstück einer reformierten Kirche. Es mag härtere Bauherrschaften geben. Aber werden sie auch da Raum für Materialforschung und Handwerk finden?

Darüber denken die drei nicht zum ersten Mal nach. Sie wissen, dass die Zeit des günstigen Handwerks nicht zurückkommt. «Es geht auch nicht darum, ganze Häuser in nostalgischer Handarbeit zu bauen», sagt Angel Solanellas. «Es geht um die raren Gelegenheiten, wo das möglich ist.»

Zwischen verschiedenen Baukörpern schafft die Erweiterung der Residenz Brigerberg Durchblicke und öffentlichen Raum.

In Schlieren füllen stimmige Wohnungen eine unternutzte Parzelle mit einem Ersatzneubau.

In Zürich gründeten Angel Solanellas, Camiel Van Noten und Marianne Meister ihr Büro. (v.l.n.r.)

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