In München ist ein offener Wettbewerb ausgeschrieben. Fotos: Sebastian Schels

Vom Aussterben bedroht: der offene Projektwettbewerb

Nur sieben offene Wettbewerbe sind seit Anfang Jahr ausgeschrieben. Unerwartete Hilfe für geplagte Architekten kommt aus München, wo eine junge Genossenschaft einen offenen Wettbewerb durchführt.

Die Lage ist dramatisch. Seit Anfang Jahr führt Volker Bienert eine Monitoring zu den offenen Projektwettbewerben. Der hochparterre.wettbewerbe-Korrespondent durchsucht die Webseiten von Konkurado, Simap und Espazium nach den ausgeschriebenen Architekturwettbewerben. Per Ende März sind in der Schweiz nur sieben offene Wettbewerbe ausgeschrieben worden: in der Deutschschweiz vier, in der Romandie zwei und im Tessin einer. Ginge es in diesem Tempo weiter, wären bis Ende Jahr nicht mal 30 Projektwettbewerbe offen ausgeschrieben. Das entspräche einem Minus von 40 Prozent im Vergleich zum vergangenen Jahr. Laut aktuellen Zahlen, die konkurado.ch im Auftrag von hochparterre.wettbewerbe zusammengetragen hat, gab es 2013 noch 86 offene Projektwettbewerbe. Deren Zahl ist kontinuierlich gesunken und hat sich in den letzten drei Jahren bei etwa 50 pro Jahr eingependelt. Die Anzahl der durchgeführten Wettbewerbe hat dabei nicht abgenommen. Es sind die Präqualifikationen die deutlich zugenommen haben: Waren es 2013 noch 108 selektive Verfahren, zählen wir für das letzte Jahr 144 (plus 33 Prozent). Mehr zu den Zahlen erfahren Sie in der gedruckten Ausgabe von hochparterre.wettbewerbe 2/2019, die im Mai erscheint.

Linderung für das Leiden der vielen Architekturbüros, die es nicht in selektive Verfahren schaffen, kommt von unerwarteter Seite, nämlich aus Deutschland, aus dem Land, das in den letzten Jahren immer als schlechtes Beispiel erhalten musste, wenn es um die Wettbewerbskultur ging. In München ist jetzt ein offener Realisierungswettbewerb ausgeschrieben. Und zwar nicht wie man es erwarten würde von der öffentlichen Hand, nein, von einer jungen Genossenschaft. Die Kooperative Grossstadt lobt für ihren zweiten Wohnungsbau wieder einen offenen Realisierungswettbewerb aus. Sie erwartet «eine Vielzahl von innovativen und ambitionierten Lösungen für ein gemeinschaftlich orientiertes Wohnprojekt», heisst es in der Wettbewerbsankündigung. Neben Wohnungen für 100 Personen in Freiham Nord, einer Stadterweiterung im Westen von München, sind Einrichtungen für die Hausgemeinschaft zu planen. Ein Schwerpunkt der architektonischen Untersuchungen werde im Verhältnis der privaten zu den gemeinschaftlichen Sphären liegen. Eine interessante Aufgabe, die ideal für einen offenen Wettbewerb ist, wie die Genossenschaft richtig erkannt hat. Die zweite Jurysitzung ist öffentlich. In der Jury sitzt die Kunsthistorikerin Bettina Köhler, die an der Hochschule für Gestaltung und Kunst in Basel unterrichtet, und als Ersatz die Architektin Maria Conen aus Zürich. Erster Wermutstropfen: Der Ansturm der Architektinnen und Architekten wird bestimmt nicht weniger sein als im Januar im Strandbad in St. Margrethen, wo anlässlich der Begehung des offenen Wettbewerbs die Gemeinde überrannt wurde.

Dank dem gestrigen Hinweis von Stefan Kurath sei hier auch noch der zweite Wermutstropfen erwähnt: Die Genossenschaft hatte im ersten Wettbewerb dem Siegerprojekt des Zürcher Büros Donet Schäfer Reimer den Auftrag zur Ausführung nicht erteilt. Ihr Projekt hätte die Vorgaben des geförderten Wohnungsbau nicht erreicht, so die Genossenschaft. Die Stadt München subventioniert über den tiefen Grundstückspreis die Mieten. Darum sind die Mieten fixiert. Das Problem des Siegerprojekts hatte die Jury schon erkannt, schätzte es aber als lösbar ein. Die erste Überarbeitungsphase mit den drei erstrangierten Projekten brachte eine Kosteneinsparung von 17%. Zu wenig für die Genossenschaft. Sie war unter terminlichen Druck und musste für den Grundstückskauf bereits Anteilscheine der zukünftigen Bewohner zeichnen lassen. Die zwei Monate waren zu knapp, um das Siegerprojekt so überarbeiten zu lassen, damit die Genossenschaft genug Sicherheiten hatte. Deshalb wählte man das zweitrangierte Projekt zur Weiterbearbeitung aus. «Wir haben uns damals ziemlich geärgert und werden jetzt alles daran setzen, dass sowas nicht noch mal passiert», sagt Vorstandsmitglied Markus Sowa gegenüber hochparterre.wettbewerbe. Die Genossenschaft habe damals das selbstgesteckte Ziel verfehlt, das Verfahren mit der Beauftragung des ersten Preises abzuschliessen. Die jungen Architekten Donet Schäfer Reimer haben das Projekt abgehakt, inzwischen den Wettbewerb Guggach III gewonnen und wollen sich nicht mehr zu München äussern. Wenigstens ist der enge Kostenrahmen im neuen Programm deutlich erwähnt. Also Vorsicht mit den Tücken des Deutschen Wettbewerbssystem: Es sieht nämlich erstens meistens vor, nach dem Juryentscheid ein Bieterverfahren (Nachverhandlung) durchzuführen, und zweitens, die Ausführung einem der Preisträger zu erteilen und nicht zwingend dem Erstrangierten. Darum haben Donet Schäfer Reimer auch keine Entschädigung erhalten.

Beitrag aktualisiert am 1. April 2019

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Kommentare

Ivo Bösch 02.04.2019 14:43
@Helmut Fischer: Leider, leider kein April-Scherz. Die Zahlen stimmen. Und den offen ausgeschriebenen Wettbewerb in München gibt es auch.
Helmut Fischer 02.04.2019 14:26
Haha, lustig. Ich hätt’s fast geglaubt, aber dann habe ich 1.April gelesen.
stefan kurath 31.03.2019 20:30
die kooperative grossstadt die in münchen offenen wettbewerb auslobt ist doch die kooperative die gerne mal willkürlich das ursprünlich erstrangierte mit den zweitplatzierten projekt platz austauscht.
Klaus 31.03.2019 17:32
Hauptsache, die ewiggleichen Büros (Namen sind uns allen geläufig) machen die PQs unter sich aus. Und geben dort regelmässig bescheidene Beiträge ab, weil ihnen Zeit und Lust fehlen. Ironischerweise sind die, dies sowieso immer in die PQs schaffen, auch die die in den Wettbewerbsjuries sitzen (ebenfalls die immergleichen Namen).
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