Architecture Theory Slam zur Baukultur auf der Swissbau

Um eine Flasche Whiskey

Am «Architecture Theory Slam» des fabulierten Stefan Kurath, Daniel Klos, Judit Solt, Claudia Schwalfenberg, Mehmet Aksözen und Cordula Rau zum Thema «Baukultur» – und um eine Flasche Whiskey.

Die Regeln des «Architecture Theory Slam»: Die Redner und Dichterinnen haben je fünf Minuten Zeit für einen Vortrag, die Publikumsjury entscheidet, welche drei in die Finalrunde kommen. Stefan Kurath, der Städtebauprofessor aus Winterthur, geht  gleich in die Vollen und fragt sich am Beispiel Basel: „Warum ist Stadt, wie sie ist?“ In Windeseile entspinnt er zwei Szenarien: Im ersten bekommt Jacques Herzog einen Anruf von Roche – mit dem Direktauftrag für einen Turm. Politik und Behörden winken das Projekt durch. Im zweiten kommt es zu einer Grossdemo von 20'000 Baslern auf dem Claraplatz. Jacques und Pierre versuchen die Massen mit immer neuen Modellen zu besänftigen, mal ein Turm, mal ein gigantischer Kreis – „es ist kein Turm!“ ruft Jacques –, doch die Basler bleiben hart, jedes Modell geht der Reihe nach in Flammen auf. Dann ist Daniel Klos an der Reihe. Ein junger Architekt und Gewinner eines Slams in der «Kulturtankstelle». In poetischer Form erzählt er von einer Reise nach Tokio und der Schlitzohrigkeit, die es in der Architektur manchmal braucht: Jean Nouvel baute im «Dentsu Tower» ein ganz und gar öffentliches Treppenaus und damit einen Raum mit der einzigen Gratisaussicht Tokios. Der Bauherrschaft verkaufte er dies mit Argumenten des Brandschutzes. Auch Judit Solt, die Chefredaktorin des Tec21, wählt ein Szenario: In der Not, nicht zu wissen, was sie hier vortragen solle, wendet sie sich in einem Zwiegespräch an Euterpe, die griechische Muse der Kunst und Poesie. Dazu trägt sie Auszüge aus dem Tec21 vor. Mal in technischer Ingenieurssprache, mal im verklausulierten Geschwurbel des ambitionierten Architekturjournalismus – Euterpe und das Publikum verstanden kein Wort. Letzteres quitierte dies mit Gelächter und Beifall. Claudia Schwalfenberg, Verantwortliche für Baukultur beim SIA, startet mit einer schrägen Darbietung von „Marmor, Stein und Eisen bricht“, dem alten Schlager, um dann rührselig über ihre Zeit im Büro «Monumente Kommunikation» von Friedrich Ludwig Müller zu berichten, das Millionen für den Denkmalschutz gesammelt habe. Mehmet Aksözen, Mitarbeiter am Institut für Denkmalpflege und Bauforschung der ETH Zürich, entwickelt das Szenario «Schweiz 2050»: Die mittlere Lebenserwartung der Bevölkerung beträgt 90 Jahre, die Häuser werden aber im Schnitt nicht mehr älter als 45 Jahre. Den Denkmalschutz habe man inzwischen abgeschafft. Doch langsam würde man die Denkmalpflege als «Entschleuniger» wieder schätzen lernen und auch die Swissbau habe daraus gelernt und würde nun – unerwartet dreht Aksözen sich um, zieht sein Hemd aus: Ein bedrucktes T-Shirt trägt er drunter – 2050 also würde die Messe nun «Swisserhalt» heissen. Cordula Rau, Architektin, Kuratorin und Autorin, macht das Schlusslicht. Mit Baseballkappe tief ins Gesicht gezogen plappert sie scheinbar frei assoziierte Begriffe zum Thema Baukultur vor. Im Hintergrund tickt ein Metronom. Nach zwei Minuten wird klar, die Monotonie ist System. Eine Minute vor Ablauf ihrer Zeit findet die Wortreihe ein unvermitteltes Ende – «Fini», wie sie sagt.
Dann die erste Jurierung. Sieben aus dem Publikum gewählte Juroren heben ihre Punktetafeln – Caspar Schaerer und Stefan Jauslin, die Moderatoren des Abends, entpuppen sich als Meister des Kopfrechnens: Stefan Kurath und Daniel Klos je Stilnote 7.4, Judit Solt knapp in Führung mit 7.6, Mehmet Aksözen immerhin 6.4, Claudia Schwalfenberg und Cordula Rau hinten im Feld mit 4.8 und 5.0.
In der Finalrunde nutzt Stefan Kurath die Carte Blanche für ein Plädoyer gegen mehr städtebauliche Theorie und Studien à la «Bibergeil» und «Krokodil» und für mehr Basisarbeit. Laut Kurath braucht es seriöse Projektarbeit mit den Menschen vor Ort. «Stadt ist nicht Architektur, Stadt ist Gesellschaft, Stadt ist gelebte Baukultur», so sein pathetisches Schlusswort.
Daniel Klos setzt auf Unterhaltung. In sauberen Reimen stellt er in drei Balladen die Grundcharaktere des Architekten vor: Des «Romantikers» Geliebte ist die Wettbewerbsjury, nächtelanges Arbeiten ist sein Liebesbeweis. Der «Gangsterarchitekt» ist «härter drauf» und «behandelt sein Projekt als Sexualobjekt». «Er macht nur das,  was die Investoren wollen und kann dafür im Bentley um die Blöcke rollen.» Das Publikum jubelt. Der dritte Typ ist der «Philosoph», der nach dem Warum seiner Entwurfsblockade fragt. Meister alter Tage flüstern ihm ein «Merke dir die Lektion, die Form folgt immer der Funktion. Muss ich’s in die Leere sprechen, Ornament ist ein Verbrechen». Das Publikum johlt und lacht. Judit Solt tritt an – und mit ihr Euterpe. Ein Annäherungsversuch an den Begriff der Baukultur über eine deutsche Gesetzesinitiative scheitert am Beamtendeutsch. Nun soll sie als Gebäudetechnikerin das heutige Baugeschehen aus der Nähe kennenlernen. Wie eine Ausschreibung aus dem Tec21 verheisst, winken eine Wahl zur «Miss Gebäudetechnik» mit Geldpreisen, Galadiner und einem Missenkalender. Euterpe will nicht und spricht Hexameter: «Die Wahrheit will ich verkünden und nichts dir verhehlen, ach, die Kulturen des Bauens versinken im dunkel wogenden Chaos.»
Endlich dürfen alle gut 50 Leute im Publikum mit Händen und Kehle abstimmen – und Gewinner ist ... Daniel Klos! Judit Solt wird zweite, Stefan Kurath dritter. Beifall und leichtes Raunen – war Kuraths Applaus nicht der lauteste? Egal, Dabeisein ist alles. Und Daniel Klos übrigens wird ab der nächsten Ausgabe Kolumnist des «Werk».

Zum Video der Veranstaltung gehts es hier.

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