Der Sonne so nah

Wie werden grosse Solaranlagen zum Gewinn für die Landschaft? Eine Reise durch die Alpen zu Solarpionieren, Landschafts- und Umweltschützern, unternommen für das neue Heft Solaris #05.

Fotos: Peter Tillessen (Farbfotos)
Mit Unterstützung von EnergieSchweiz

Wie werden grosse Solaranlagen zum Gewinn für die Landschaft? Eine Reise durch die Alpen zu Solarpionieren, Landschafts- und Umweltschützern, unternommen für das neue Heft Solaris #05.

Am rechten Rand der Autobahn A13 blitzen sie kurz nach Felsberg GR auf. Entlang der Lärmschutzwand, ideal nach der Sonne ausgerichtet, zieht sich ein fast ein Kilometer langes Band schwarz glänzender Solarpaneele durch die Landschaft. Die Streifen aus je 17 stehenden Rechtecken sind auf die Betonelemente montiert, 776 Photovoltaikmodule insgesamt. Am Ende zeigt eine Digitalanzeige die Stromleistung: 220 Kilowatt sind es an diesem sonnigen Herbstnachmittag. Die Anlage ist ein Dinosaurier unter den Photovoltaikanlagen. 1989 wurde sie im Auftrag des Bundesamts für Energie (damals Energiewirtschaft) als weltweit erste Solaranlage auf einem Autobahnlärmschutz in Betrieb genommen. Ein Pilotprojekt, um die Zuverlässigkeit und Dauerhaftigkeit der relativ neuen Technologie zu ermitteln. Die Resultate überzeugten: 2017, fast dreissig Jahre später, erneuerte Rhiienergie die Anlage komplett. Die neuen Solarzellen sind beinahe dreimal so effektiv wie die alten.

Photovoltaikanlage A13, 1989 (saniert 2005 / 2017), Domat / Ems Felsberg GR, Lage: 573 m ü. M., Fläche: 1331 m2, Jahresproduktion: 313,8 MWh, Betreiber: Rhiienergie

Erste Station: Strom entlang der Autobahn

Die ursprüngliche Anlage auf der A13 war eine Pionierleistung des Unternehmers Thomas Nordmann, der sich mit seiner Firma TNC Consulting weitherum einen Namen in der Solarberatung gemacht hat. «Photovoltaik ist vor allem ein Preis- und Flächenproblem», sagt er. «Und die Flächen sind den Schweizern heilig, weil sie begrenzt sind.» 2014 hat TNC Consulting errechnet, wie viel Photovoltaik nötig wäre, um zwanzig Prozent des Strombedarfs in der Schweiz zu decken. Das Unternehmen kam auf eine Fläche von rund 80 Quadratkilometern. Für die damalige 8-Millionen-Schweiz bedeutete das rund zehn Quadratmeter pro Person. «Kritiker schürten die Angst vor einer mit Solarzellen komplett bedeckten Landschaft. Das war schon in den Achtzigern vor dem Bau der Anlage auf der A13 so.» Dabei gibt es in der Schweiz mehr als genug Zivilisationsflächen, die bereits überbaut sind und für solare Stromgewinnung genutzt werden könnten. Diese zehn Quadratmeter könnten spielend mit Anlagen auf Dächern (48 Quadratmeter pro Kopf) und Fassaden (27 Quadratmeter pro Kopf), auf Stauseen (17 Quadratmeter), entlang von Strassen (99 Quadratmeter) und Bahngleisen (11 Quadratmeter) gedeckt werden, ohne eine einzige Landwirtschafts-, Wald- oder natürliche Seefläche anzutasten.

«Im Gegensatz zu einem Kernkraftwerk ist die Lage einer Solarzelle für deren Stromproduktion massgeblich», sagt Nordmann. Bereits 1988 hat er in einer Studie für das Bundesamt für Energie die Schweiz in vier Quadranten unterteilt siehe Karte Seite 26, um die idealen Lagen zu identifizieren. Dabei schaute er einerseits auf die Gesamtleistung, andererseits auf das Verhältnis der Sommererträge zu den Wintererträgen. «Eine Photovoltaikanlage im Mittelland bringt im Sommer siebzig Prozent des Jahresertrags, im Winter dreissig Prozent. Das ist nicht null, denn auch indirektes Tageslicht erzeugt Strom. Aber es ist nicht ideal, da wir gerade im Winter mehr Strom brauchen, was sich mit dem Umstieg auf Wärmepumpenheizungen noch steigern wird. Darum werden die Lagen in den Alpen und im Jura plötzlich sehr interessant.» Aber: Der Grossteil der Bevölkerung lebt nicht dort. Ist es sinnvoll, den Strom so weit weg von den Verbrauchern zu produzieren? Ja, meint Thomas Nordmann. «Alpine Photovoltaikmodule können dank der bevorzugten Lage spanische Erträge bringen.»

Die Vorteile von alpinen Solaranlagen leuchten ein: Die Lage über der Nebelgrenze, eine intensivere Sonneneinstrahlung und kühlere Temperaturen verbessern die Erträge. Bei bifazialen, also zweiseitigen Paneelen kommen noch zusätzliche Energiegewinne durch die Nutzung des von Schnee reflektierten Lichts hinzu. Die Gebäudeintegration von Photovoltaik sei nach wie vor wichtig, meint Nordmann, aber um das in der Energiestrategie 2050 formulierte Ziel von rund vierzig Prozent Solarstrom zu erreichen, müssten grössere Solarparks her, und die seien auch für Energieversorgungsfirmen interessant. Kleinere Anlagen im alpinen Raum, zum Beispiel an Lawinenverbauungen in St. Antönien und im Walliser Bellwald, seien kostspielig und wartungsintensiv.

Photovoltaik auf Lawinenverbauung, 2012 Bellwald VS, Lage: 2380 m ü.M., Fläche: 78 m2, Jahresproduktion: 18 MWh, Betreiber: Enalpin, Foto: Carmen Graf, WSL

Von flächig zu räumlich

Darum nahm TNC die Stauseen in den Blick. Hier kommen die Vorteile der alpinen Lagen zusammen mit bereits vorhandenem Netzanschluss und dem Synergiepotenzial der beiden Kraftwerke. «Sonnen- und Wasserkraft ergänzen sich ideal, der See wird dann sozusagen zur Batterie für die Solaranlage», sagt Nordmann. Tatsächlich treiben mittlerweile auch Elektrizitätswerke die Verbindung von Staudämmen mit Photovoltaik voran. Als «erste hochalpine Solargrossanlage» produziert seit September 2020 ein Modulstreifen am inneren Rand der Albigna-Staumauer rund eine halbe Gigawattstunde Strom pro Jahr. Zum Vergleich: das Kraftwerk Castasegna, das der Stausee speist, produziert 258 Gigawattstunden pro Jahr – über 500-mal so viel. Im Kanton Glarus plant der Energiekonzern Axpo eine Solaranlage auf der Aussenseite der Muttsee-Staumauer mit einem vorgesehenen Jahresertrag von 2,7 Gigawattstunden. Die Baubewilligung liegt vor, der Bau ist im Sommer 2021 vorgesehen.

Photovoltaik auf der Albigna-Staumauer, 2020, Bergell GR, Lage 2162 m ü.M., Fläche: 2176 m2, Jahresproduktion: 500 MWh, Betreiber: Elektrizitätswerk der Stadt Zürich (EWZ)

Photovoltaik auf der Muttsee-Staumauer, 2021, Glarus Süd, Lage: 2500 m ü. M., Fläche: 10 000 m2, Jahresproduktion: 2700 MWh, Betreiber: Axpo

Ein grosses Potenzial sieht Thomas Nordmann in der Oberfläche von Stauseen. Dafür entwickelte er 2014 zwei schwimmende Photovoltaikanlagen, eine lineare und eine rosettenförmige mit dem klingenden Namen ‹Waterlily›. Als Standorte schlug er den Sihlsee im Kanton Schwyz und den Marmorerasee in Graubünden vor. Die Anlage auf rund zehn Prozent des Sihlsees sollte den Ertrag des Wasserkraftwerks verdoppeln. Widerstand gab es kaum, für beide Projekte lagen Baubewilligungen vor. Die Zusammenarbeit mit dem Elektrizitätswerk der Stadt Zürich, den SBB und dem Bundesamt für Energie scheiterte schliesslich an der Finanzierung.

Solarpark Waterlily, Pilotprojekt, unrealisiert, Sihlsee SZ, Lage: 890 m ü. M., Fläche: ca. 300 m2 pro Waterlily, Jahresproduktion, prognostiziert: 60 bis 80 MWh pro Waterlily, Betreiber: Hydrosun

‹Waterlily› fügt flächige Module zu einem räumlichen Objekt zusammen. Das hat praktische Gründe: Die Paneele können nach dem Sonnenstand ausgerichtet und bei starkem Wind oder Schneefall senkrecht gestellt werden, um Schäden zu vermeiden. Bifaziale Anlagen können dank der Reflexion einer schneebedeckten Eisfläche den Ertrag weiter steigern – die Reflexion einer Wasseroberfläche leistet das wider Erwarten nicht. Gestalterisch ist der Schritt interessant: Entgegen der Tendenz, Solartechnik an Gebäuden möglichst unsichtbar zu machen, wird sie hier skulptural: ein selbstbewusstes Bekenntnis zur Energiewende. Aber auch ein Solitär, ein vertikales Bauwerk, das aus der Landschaft sticht.

Zweite Station: Strom auf dem See

Im Wallis wurde letztes Jahr bereits ein schwimmendes Solarkraftwerk realisiert. Von Martigny führt die Passstrasse hoch Richtung Grosser St. Bernhard und Aostatal. An den Tankstellen werden Bernhardiner-Plüschhunde und Walliser Aprikosen feilgeboten. Aus der Lawinengalerie fällt der Blick zuerst auf die mächtige Staumauer Les Toules, die das Tal abzuriegeln scheint. Dahinter zieht sich der Stausee in die Länge. An seinem südlichen Ende schwimmt eine Photovoltaikanlage als schwarzer Fleck auf milchig-türkisfarbenem Wasser. Die Zufahrtsstrasse führt über eine Geröllhalde hinunter zum Ufer, eine braune Schlammschicht zeugt vom schwankenden Pegelstand. Die quadratische Anlage selbst würde besser auf den Mars als in diese raue Gebirgslandschaft passen. Das Metallfachwerk ihrer Unterkonstruktion wirkt technisch, die Kunststoff-Schwimmkörper darunter erscheinen banal. Eine dicke Nabelschnur verbindet die filigrane Plattform mit dem Ufer. Zwei Schläuche verschwinden in einem Betonsockel am Berghang. Wenn die Sonne scheint, verwandelt sich das lichtschluckende Schwarz der Solarzellen in ein reflektierendes Hellgrau.

Schwimmender Solarpark Lac des Toules, 2013–2019 (Pilotstruktur beim See) / 2017–2019 (Pilot und Demonstration auf dem See), Bourg-St-Pierre VS, Lage: 1810 m ü. M., Fläche: 2240 m2, Jahresproduktion: 800 MWh, Betreiber: Romande Energie

Die karge Landschaft wirkt ausgestorben. Unten am See trotzt ein Fischer dem kalten Wind, der durch das Hochtal pfeift – ein Architekt aus der Region, wie sich herausstellt. Ob die Anlage die Ökologie des Sees verändere, könne er nicht sagen. Aber gewöhnungsbedürftig sei sie schon, nicht gerade ein Blickfang. Und im Winter komme es auch mal vor, dass sie auf dem Trockenen liege, weil der Pegelstand so niedrig sei. Heute hat der Architekt schon zwei Forellen aus dem See gezogen, eine kleine und eine grosse. Zeichen dafür, dass die Natur zurückkehrt an diesen künstlich geschaffenen Ort?

Photovoltaik und Naturschutz

Michael Casanova, Projektleiter Gewässerschutz und Energiepolitik bei Pro Natura, lacht. «Wenn es im Lac des Toules Fische gibt, dann, weil sie jemand dort aussetzt», sagt er. Vermutlich seien es Regenbogenforellen, eine vom Menschen eingeführte Art. Staudämme seien für Fische unüberwindbare Hindernisse und die Seen dahinter böten oft zu wenig Nahrung. «Aus Sicht der Biodiversität sind Speicherseen im alpinen Raum vielfach wertlos.» Die Verbindung von Solar- und Wasserkraft an diesen Orten sei daher grundsätzlich einleuchtend. Dabei komme es aber auf den See an. «Am Grimselsee und am Südrand des Sihlsees gibt es zum Beispiel inventarisierte Moorlandschaften. In der Nähe solcher Schutzparameter würden wir uns gegen schwimmende Solaranlagen aussprechen.» Pauschale Aussagen zur Umweltverträglichkeit von Freiflächenanlagen mit Photovoltaik seien unsinnig. Entscheidend ist gemäss Casanova auch, wie die jeweilige Fläche vorher genutzt worden ist. Auf einer Industriebrache zum Beispiel könnte eine neue Solaranlage einhergehen mit einer Extensivbegrünung, was Vorteile für die Biodiversität hätte. Allerdings seien die lokalen ökologischen Auswirkungen solcher Solarkraftwerke noch wenig erforscht. Reflexionen von Solarzellen könnten Vögel und Insekten irritieren, die sich am polarisierten Licht von Wasseroberflächen orientieren. Photovoltaikmodule verändern zudem das Mikroklima eines Orts, weil sie den Boden verschatten und teilweise vor Regen abschirmen. «Zudem sollten Freiflächenanlagen nur sehr zurückhaltend umzäunt werden, da das die Landschaft zerschneidet und den Wildwechsel behindern kann.»

Lac des Toules

Zuerst auf die Dächer

Für Michael Casanova ist klar: «Der rasche Ausbau der erneuerbaren Energiegewinnung ist unbedingt notwendig. Schliesslich hat der Klimawandel massive negative Auswirkungen auf die Biodiversität, und das Schweizer Stimmvolk hat 2017 Ja gesagt zur Energiewende.» Doch nicht in jedem Fall sind erneuerbare Energien mit Naturschutzanliegen kompatibel, weshalb Wind- und Wasserkraftwerke immer eine Umweltverträglichkeitsprüfung bestehen müssen, bevor sie gebaut werden dürfen.

Solarenergie lässt sich im Vergleich zu den anderen erneuerbaren Quellen einfacher mit den Zielen des Naturschutzes vereinbaren. «Wind- und Wasserkraft sind standortgebunden, die Wasserkraft ist bereits sehr stark ausgebaut. Die Stärke der Solarkraft ist, dass sie praktisch überall nutzbar ist.» Um ihr grosses Potenzial zu erschliessen, sollten aber unbedingt bereits versiegelte und verbaute Flächen genutzt werden – wie Industriedächer oder Parkplätze. «Wir befinden uns mitten in einer Klima- und Biodiversitätskrise, und die Schweiz ist schon dicht bebaut. Da ist es unsinnig, freie Flächen ungeachtet ihres ökologischen Werts für die Energiegewinnung zu nutzen.»

Photovoltaik am Steinbruch Calinis, 2020, Felsberg GR, Lage: 600 m ü. M., Fläche: 7440 m2, Jahresproduktion: 1600 MWh / Jahr, Betreiber: Rhiienergie

Dritte Station: Strom aus dem Steinbruch

Im Schritttempo rollen die Autos durch das Einfamilienhausquartier nördlich der Gleise in Felsberg GR. Zwischen den Häusern blitzen die Module am Hang immer wieder auf. Je näher man der Freiflächenanlage auf dem ehemaligen Steinbruch Calinis kommt, desto mehr verschwindet sie hinter einer Allee. «Die vorgelagerte Pappelreihe ist eine elegante Lösung», kommentiert Raimund Rodewald, Geschäftsleiter der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz. Die Bäume beschatten den bei Velofahrerinnen und Velofahrern beliebten Weg und den unteren Teil des Steinbruchs. Die Solarmodule schmiegen sich in drei Reihen an die Aufschüttung. An diesem Nachmittag reflektieren sie das Grau des darüberliegenden Felsens. Durch ihre konvexe Form und den Neigungswinkel passt sich die Anlage gut in das Landschaftsbild ein. «Ich sehe sie jetzt zum ersten Mal, und ich muss sagen, ich bin überzeugt», sagt Rodewald. Keine Strommasten stören hier die Landschaft, die Zähler sind hinter einer einfachen Holzverschalung verborgen. Durch die Sorgfalt, mit der sie in die Umgebung eingefügt ist, werde diese Anlage zu etwas Eigenständigem. Man könne sie beinahe für ein Land-Art-Projekt halten, meint Rodewald: «Das Erhabene des Felsens wird so weitergeführt, die Geschichte des Steinbruchs weitergeschrieben.»

Was wie eine einfache Intervention an einem nahe liegenden Ort anmutet, hat eine lange Vorgeschichte: Vor über zehn Jahren wurde in einem Wettbewerb unter Architekturstudierenden der HTW Chur eine neue Nutzung für den Steinbruch gesucht, der seit einem Felssturz stillgelegt war. Daraus entstand die Idee für das Solarprojekt ‹Energie statt Wyy›. Bis die Baubewilligung erteilt war, dauerte es einige Jahre, und im Dezember 2019 begann Rhiienergie zu bauen. Rund 270 000 Kubikmeter Schüttmaterial ergänzten die Halde, vorwiegend Aushub des neuen Kantonsspitals Graubünden. Die vier damit geformten, übereinanderliegenden Böschungen bilden den Untergrund für die Paneele, die dieses Jahr installiert wurden.

Photovoltaik am Steinbruch Schnür, unrealisiert, Quinten SG, Lage: 434 m ü. M., Fläche: 80 000 m2, Jahresproduktion, prognostiziert: 12 000 bis 16 000 MWh, Betreiber: Elektrizitätswerke des Kantons Zürich (EKZ)

Rodewald lobt die Kompaktheit der Anlage am Felsberg sowie die Möglichkeit für Tier und Mensch, sie zu passieren. Als Gegenbeispiel nennt er das Solarkraftwerk auf dem Mont Soleil im Jura. Dort wirke die Anordnung der Paneele auf der Wiese beliebig, und ein hoher Zaun schneide sie von ihrer Umgebung ab. «Wenn ich durch die Landschaft gehe, möchte ich das Gefühl haben, ich käme überall durch.» Die Stiftung Landschaftsschutz sehe grosse Solarfreiflächenanlagen grundsätzlich kritisch. An vom Menschen geprägten Orten wie Stauseen oder Steinbrüchen seien sie aber in Ausnahmefällen möglich. «Die Lage auf der Aufschüttung ist geschickt gewählt. Fatal wäre es gewesen, den Felsen mit Paneelen zu bekleben.»

Sichtbarkeit ist wichtig

Unter anderem daran sei ein ähnliches Projekt in Quinten SG gescheitert. Die autofreie Gemeinde hatte vor zehn Jahren mit den Elektrizitätswerken des Kantons Zürich (EKZ) einen 80000 Quadratmeter grossen Solarpark auf dem Steinbruch Schnür am Walensee geplant. Nach Süden ausgerichtet sollte die Anlage 25 bis 30 Jahre lang Strom produzieren und ihr Schatten eine Renaturierung des Felsens begünstigen. Die Visualisierung der imposanten Anlage ging 2011 durch die Presse: eine konkave Fläche, deren visuelle Kraft mit der einer Staumauer hätte mithalten können. Doch der Felsen gehört zum Bundesinventar der Landschaften und Naturdenkmäler von nationaler Bedeutung, Pro Natura und die Stiftung Landschaftsschutz reichten Einsprache ein. 2017 sistierte die EKZ die Weiterentwicklung, weil die Anlage zu kostenintensiv und nicht bewilligungsfähig war.

Ein älterer Mann hält mit seinem Fahrrad unter den Pappeln von Felsberg. Er erzählt, sein Grossvater habe noch auf dem Steinbruch gearbeitet. Was hält er von der neuen Nutzung? Die Anlage sei doch schön, sagt er, sie zeige, dass die Gemeinde sich für erneuerbare Energie engagiere. Auch von der Anwohnerschaft habe es kaum Opposition gegeben, im Gegenteil, die Menschen seien stolz auf ‹ihr› Solarkraftwerk. Rodewald bestätigt: «Ein solcher Ort hat ein identitätsstiftendes Potenzial. Vielleicht führt die Anlage sogar zu einer neuen Art von Tourismus.»

Für den Landschaftsschützer ist die Sonne, wenn sie qualitätsvoll eingesetzt wird, der Königsweg bei den erneuerbaren Energien. Trotzdem: Die Photovoltaikanlagen sind eine neue ästhetische Erfahrung. Erschwert wird ihre Integration durch die hochglänzende schwarzblaue Oberfläche des Standardmoduls. Mittlerweile sind zwar alternative Farben und Oberflächen erhältlich. Doch die Zellen an den Bauten und in der Landschaft möglichst verschwinden zu lassen ist für Rodewald keine Lösung: «Dann fehlt uns jeder Bezug zur Energie, die damit produziert wird. Die Energiewende funktioniert nicht allein mit neuen, sauberen Kraftwerken, wir müssen auch unseren Stromkonsum hinterfragen und massiv reduzieren.»

Solarskilift Tenna, 2011, Tenna GR (Safiental) Lage: 1654 m ü. M., Fläche: 430 m2, Jahresproduktion: 90 MWh, Betreiber: Genossenschaft Skilift Tenna

Vierte Station: Strom vom Skilift

Etwa 45 Minuten entfernt von Felsberg liegt das Bergdorf Tenna im Safiental. Der Schlepplift, der im Winter eine Handvoll Pisten bedient, läuft seit dem Jahr 2011 solarbetrieben. Über den Liftkabeln spannen sich Photovoltaikmodule des Systems ‹Solar Wings›, die sich automatisch nach dem Sonnenstand ausrichten. Ihr Solarskilift sei weltweit der erste, verkündet die Genossenschaft. Ein blosser Werbegag? Vielleicht. Aber der Schneesport und die Solarenergie sind kompatibel: Beide haben bei sonnigem Winterwetter ihren Peak.

Auch bei unseren Nachbarn in Tirol setzt ein Skigebiet auf Solar. Filigrane Fachwerkträger halten eine grosse Photovoltaikanlage über dem Fels beim Pitztaler Gletscher. Der unregelmässige Untergrund lässt die sieben unterschiedlich langen Modulstreifen auf und ab knicken. Ihr Schattenspiel auf dem Fels verleiht der Anlage etwas Ephemeres – dunkelblaue Wellen auf weissem Schnee. Europas ‹höchstgelegenes Photovoltaikkraftwerk› produziert auf 2900 Metern Höhe annähernd so viel Strom im Jahr wie die Anlage im Felsberger Steinbruch (1450 MWh). Trotzdem deckt sie nur einen Drittel des Energiebedarfs im Skigebiet. Eine gelungene Photovoltaikanlage macht planierte Pisten, Schneekanonen, Liftanlagen und Restaurants nicht nachhaltig.

Photovoltaik lernt fliegen

Wo die Reise begann, endet sie auch. Vorbei an der Heiliggeistkirche und kurz vor Haldenstein liegt die Abwasserreinigungsanlage Chur. Zwischen Gleisen und der Autobahn spannt sich seit 2018 ein zusammenfaltbares Solardach über die Klärbecken – ein weiteres ‹weltweit erstes› Beispiel einer Photovoltaikanwendung. An diesem Herbstnachmittag scheint die Sonne durch die Ritzen und lässt das braune Wasser glitzern. Die Module sind auf Drähte gespannt, ein System aus der Seilbahntechnik. Im Gegensatz zu Tenna geht es in die Fläche. Bei starkem Wind, Schneefall oder Hagel lässt sich die Anlage zusammenfahren, erzählt ein junger Mitarbeiter nicht ohne Stolz. Die Paneele schützen ihn und seine Kollegen bei ihrer Arbeit vor der Sonne und helfen gegen Algenbildung.

Solarkraftwerk ARA Chur, 2018 (Pilot 2017), Chur, Lage: 552 m ü. M., Fläche: 4150 m2, Jahresproduktion: 540 MWh, Betreiber: IBC Energie Wasser Chur

Es gibt einen Konsens zwischen den Solarpionieren und den Landschafts- / Naturschützern: Photovoltaikfreiflächenanlagen sollten nicht in der ‹unberührten› oder kultivierten Landschaft entstehen, sondern dort, wo der Mensch sie bereits verformt hat – zur Energie- oder Rohstoffgewinnung, vielleicht auch zum Freizeitvergnügen. Vorher aber gilt es, die Potenziale im Siedlungsraum zu nutzen. Das ist auch gestalterisch sinnvoll: Das Filigrane und Ephemere, das Modulare und Technische ist beim Solardach der Kläranlage genau richtig. Das Faltdach verleiht ihr eine stimmungsvolle Atmosphäre und verwandelt den Unort in ein Symbol der Energiewende. Rund dreissig Jahre nach dem Solarkraftwerk an der nahen A13 erfüllt diese Anlage nicht nur die Anforderungen von Natur- und Landschaftsschützern, sie liegt auch im effektivsten Quadranten, generiert den Strom dort, wo er gebraucht wird, und schafft ganz nebenbei auch einen ästhetischen Mehrwert – mit Leichtigkeit.

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