Zürich, einfach!
Auf knappen 300 Quadratmetern eine Stadt ausstellen, die von sich sagt, sie sei die wichtigste im Land: Das braucht ein starkes Konzept. «Einfach Zürich» im Landesmuseum hat es.
Eine riesige Skulptur von Mickry3 empfängt das Publikum. Ein Berg aus grauem Lehm, in den die drei Künstlerinnen fügten, was für sie Zürich ausmacht: Sie formen den Fischreiher aus dem Schanzengraben, kombinieren die Sukkulentensammlung mit Goldmünzen, die Badende mit dem Böögg, Felix und Regula mit der Roten Fabrik. Schön angemalt, etwas Fischli/Weiss und mit viel Lust an der Sache. Das isch Züri.
Die Stadt- und Kantonsgeschichte in eine Dauerausstellung verpackt, das ist eine rechte Herausforderung. Wer nur den touristischen Blick abfeiert, wird der Sache nicht genügen. Wer chronologisch vorgeht, wird scheitern. Besonders auf den 300 Quadratmetern, die das Landesmuseum für die Dauerausstellung freigibt – zu knapp bemessen für alle die historischen Wechselfälle, die es zu erzählen gälte. Zürich war erst eine Königspfalz im Hoch-, eine Reichsstadt im Spätmittelalter. Das Städtchen galt als ein Zentrum der Reformation, wurde später Knotenpunkt des Liberalismus im 19., verwandelte sich in einen Bankenplatz im 20. Jahrhundert, wurde grösser und vertrieb die Industrie, um Platz für die boomenden Creative Industries zu gewinnen. Die Geschichte hat das Stadtbild verändert, die Köpfe der Eingesessenen und Zugewanderten neu justiert. Sowieso, ist Zürich nicht vor allem ein Bild, das sich Aussenstehende von diesem Ort machen?
Objekte mit Geschichten
Im zweiten Raum wird es historisch: hundert hinterleuchtete Vitrinen, zu einem raumhohen Kubus gefügt, stellen wie in einem Setzkasten angeordnet Objekte aus der Geschichte von Stadt und Kanton vor. Sechzig sind gefüllt, die noch leeren Vitrinen zeigen, dass Geschichte kontinuierlich weiter geschrieben wird.
Durch Geschichte rasen
Im letzten Raum wird Geschichte flüssig. Zwischen zwei verspiegelten Pfosten wird auf drei Wänden eine Videoinstallation projiziert. Vor schwarzem Hintergrund trauchen Bilder auf, die surreal und real zugleich wirken. Sie stehen für den Taumel, der uns erfasst, wenn Zeiten und Räume synchron an uns vorübergleiten.
Am besten setzt man sich hin, um die rasante Wahrnehmungserfahrung einzuordnen, die das Verfahren erzeugt. Am ETH-Lehrstuhl Christophe Girot entwickelt und von einem Spinoff umgesetzt, kombiniert das Verfahren gescannte Daten, die für geografische, geologische oder archäologische Messungen aller Art generiert werden, mit fotografischen Verfahren. Die Scans werden zu virtuellen 3-D-Landschaftsmodellen zusammengefügt, eingefärbt, mit Texturen kombiniert und zu einem traumhaften, filmischen Ritt durch die Landschaft, über und in Bauten, Seen und Bäume montiert. Im Lindenhof können wir durch die römischen Mauern bis ins Parkhaus Urania sehen, eine Textilfabrik im Tösstal wird durchsichtig, und wir tauchen in den Zürichsee ab.
Geschichte als Geschichten erzählen
Das nur auf den ersten Blick rotzige Konzept stammt von Martin Heller und Tristan Kobler. Die beiden haben im Museum für Gestaltung mehrfach ihre glückliche Hand bewiesen, Inhalt und Raum zusammenzubringen. Die Eckpunkte des Projekts, zu dem sie vor rund eineinhalb Jahren gestossen sind, mag sie zur Radikalität gezwungen haben. Der Herausforderung, die Geschichte von Stadt und Kanton Zürich zu erzählen, begegnen sie mit der Reduktion auf drei Stationen und der Vielfalt der Perspektiven. Kein allwissendes Historiker-Ich ist hier zu gange – was nicht meint, dass auf ein historisches Gewissen verzichtet worden wäre. Ganz im Gegenteil. In der Person des Staatsarchivars Beat Gnädinger, der den Kanton in der Steuerungsgruppe des Projektes vertrat, ist es kenntnisreich mit an Bord. Doch erzählt wird multiperspektivisch: im künstlerischen Zugriff, der zeigt, dass Geschichte nicht nur rekonstruiert, sondern gestaltet wird. Mit dem Ohr an den Menschen, die von ihren Orten erzählen. Mit Objekten, die uns wie im Brennspiegel Ereignisse und Epochen näherbrigen. Und schliesslich im Versuch, Raum, Zeit und Wahrnehmung zusammenzubringen – also die Voraussetzungen, dass Geschichte überhaupt lesbar wird.
Einfach Zürich, Dauerausstellung im Landesmuseum Zürich
Konzept, Inhalt und Gestaltung: Holzer Kobler Architekturen, Heller Enterprises, beide Zürich
Auftraggeber: Interessengemeinschaft Zürich im Landesmuseum
Ein Veranstaltungsprogramm ergänzt die Aussetllung
einfachzuerich.ch