Bei der Talstation der Diavolezza-Bahnen warten Schneekanonen auf den nächsten Einsatz. Foto: Matthieu Gafsou

Millionen verpulvern

Auf lange Sicht können die Schweizer Skigebiete nicht mehr mit genügend Schnee rechnen. Sie investieren massiv in künstliche Beschneiung – mit Folgen für die Landschaft.

Marcel Liner schaut aus seinem Büro in Grindelwald, draussen fällt Schnee auf schneebedeckte Dächer und Strassen, und er sagt ins Telefon: «Auf den ersten Blick gibt es bessere Momente, um über den Klimawandel zu sprechen.» Doch auf den zweiten Blick stimmt das Wetter eben doch, es entspricht ziemlich genau den Prognosen: Auf einen heissen und trockenen Sommer folgt ein Winter mit starken Niederschlägen. Heute bestehen diese noch aus Schnee, im Jahr 2050, so die Voraussagen, vermehrt aus Regen. «Steigen die globalen Treibhausgasemissionen weiter ungebremst an, ist in den Alpen ab Mitte des 21. Jahrhunderts mit der schweizweit stärksten Erwärmung zu rechnen. Sie beträgt rund 2 bis 4 Grad Celsius.» So steht es im jüngsten Klimabericht des Netzwerks für Klimadienstleistungen des Bundes. Skigebiete unter 2000 Meter über Meer werden nur noch selten mit Naturschnee rechnen können. Marcel Liner ist Projektleiter Alpenschutz bei der Naturschutzorganisation Pro Natura und schaut kritisch auf die Absichten der Schweizer Bergbahnen, mit den Wetteraussichten umzugehen. «Die Probleme und die Lösungen liegen auf dem Tisch», sagt er, «aber es ist eben einfacher, das bestehende System zu verteidigen, als es zu verändern.»

 

Höher hinauf?

Das bestehende System: Wo der natürliche Schnee nicht reicht, wird künstlicher geschaffen. Das kann sich nicht jeder leisten. Die kleinen Skigebiete werden abgehängt und sind darauf angewiesen, dass die Standortgemeinden Geld einschiessen, während sich die grossen zu Funparks wandeln, wo Skifahren ein Angebot unter vielen ist. Immer wieder kommt es zu Zusammenschlüssen wie jüngst in Andermatt-Sedrun. Steigt nun der Druck auf die höheren Lagen, wo die Temperaturen tiefer und die Schneesicherheit höher ist? Liner meint ja. Etwas anders sieht es Jacqueline von Arx, Geschäftsführerin von Pro Natura Graubünden. Noch hätten sich die Skigebiete kaum in höhere Gebiete vorgewagt. «Krass hingegen ist der Bau von Beschneiungen. Die Bergbahnen stürzen sich ins Schuldenmeer, als würde die Beschneiung den Klimawandel stoppen können», meint sie. Bei der Beschneiung sei ein massiver Ausbau im Gang, und zwar in fast allen Skigebieten. Von Arx’ Sorge: «Gesetzliche Einschränkungen sind kaum vorhanden, wir können uns lediglich auf den Biotopschutz und den Landschaftsschutz berufen, wenn im konkreten Fall Schutzgüter betroffen sind.»

Wie ein riesiger Verband soll weisses Vlies im Skigebiet Diavolezza Gletscher und Schnee in den Herbst hinüberretten. Foto: Matthieu Gafsou

Schnee ist Geld

Bereits heute werden weite Teile der Schweizer Skigebiete technisch beschneit. Gemäss dem Verband Seilbahnen Schweiz fiel auf knapp die Hälfte aller präparierten Pisten technisch produzierter Schnee. Damit sorgen die Bahnbetriebe dafür, dass die Lifte pünktlich zu Saisonbeginn fahren und das wichtige Weihnachtsgeschäft nicht fehlenden Niederschlägen zum Opfer fällt. Immerhin erwirtschaften die Bergbahnen auch heute noch den Löwenanteil ihrer Erträge im Winter. Im Geschäftsjahr 2016 / 17 machte die Seilbahnbranche einen Umsatz von 1,36 Milliarden Franken, 52 Prozent davon mit dem Transport von Personen im Winter, 20 Prozent im Sommer. Der Rest entfällt auf andere Einkünfte wie Gastronomie, Hotellerie und Materialvermietung.

Gut abgedeckt bleiben bis zu achtzig Prozent eines Schneehügels erhalten, wie hier im österreichischen Kaunertal. Foto: Sibylle Karbach

Ohne Schnee kein Geschäft, das wissen die Skigebiete. Die einen tüfteln am Snowfarming: Sie probieren, den Schnee des vergangenen Winters, ob natürlich gefallen oder technisch erzeugt, möglichst lange für den kommenden Winter aufzubewahren. So führt der Klimawandel zur absurden Situation, dass 2018 in Adelboden bereits im Oktober eine Piste für das Training des Skinachwuchses parat war – lange vor der üblichen Saisoneröffnung. Die meisten Skigebiete investieren aber vor allem weiter in die Beschneiung, auch wenn es teuer wird. Die Investitionskosten für einen Kilometer beschneibare Piste liegen bei 750 000 bis zu einer Million Franken, die Betriebskosten pro Kilometer bei bis zu 100 000 Franken im Jahr. Da ist es wenig überraschend, dass die Bündner Bergbahnen kürzlich verlauten liessen, sie seien eigentlich im Service public tätig, die Beschneiung von Skipisten sei ein Dienst an der Allgemeinheit, der unterstützt werden müsse. Tatsächlich wird laut Seilbahnen Schweiz jeder fünfte Franken im Berggebiet direkt oder indirekt durch den Tourismus generiert. Für viele Regionen sind die Bergbahnen quasi systemrelevant: Fallen sie aus, fällt ein Dominostein nach dem anderen, von den saisonal bedingten Arbeitsplätzen bei Bergbahnen und Hotels über jene im Volg, Sportgeschäft und in der Bäckerei.

In Davos wird Schnee unter Sägemehl gelagert. Foto: Sibylle Karbach

 

Späte Sonne

Aber der künstlich gemachte Schnee bringt nicht nur finanzielle, sondern auch ökologische Kosten mit sich. «Zwar sind die Auswirkungen auf die Flora der Alpen nicht so gross wie von vielen Umweltorganisationen befürchtet, als die ersten Schneekanonen aufkamen», sagt Hansueli Rhyner, Schneemanagement-Experte beim WSL-Institut für Schnee- und Lawinenforschung. Rhyner engagiert sich unter anderem dafür, dass die Skigebiete Wasser und Energie besser einsetzen. Dafür entwickeln er und ein Team mit dem Projekt ‹Pro Snow› ein Werkzeug, das es Schneeproduzenten ermöglichen soll, durch Wetter- und Klimaanalysen jene Zeitpunkte zu errechnen, in denen es sich lohnt, an bestimmten Stellen Schnee zu produzieren.

Die Auswirkungen der technischen Beschneiung auf die Vegetation sind markant. So apern präparierte Pisten ohnehin später aus, ob natürlich oder technisch beschneit. Bei Letzteren zögert es sich aber noch einmal bis zu drei Wochen hinaus, bis die ersten Sonnenstrahlen auf die Grasspitzen treffen. Das hat Folgen für die Artenvielfalt und die Bodenstruktur der Wiesen. Eine geringere Biodiversität führt zu mehr Oberflächenerosion. Augenfällig werden die Effekte in den Sommermonaten, wenn auf den Wiesen beispielsweise mehr Pflanzen der Schneetälchenarten zu finden sind als nebenan auf den unpräparierten Stellen, wo die Artenvielfalt grösser ist.

Neben der Art des Schnees wirken auch andere Massnahmen der Skigebiete auf die Landschaft – etwa die Planierung der Pisten. Dabei geht es nicht nur darum, das Fahrerlebnis zu verschönern, sondern auch, die gefallenen oder produzierten Schneemassen besser zu erhalten. Doch jede Bodenplanierung, jeder Abtrag von Humus hat letztlich Folgen für die Vegetation.

Als die Kanonen Anfang der Neunzigerjahre aufkamen, sollten nur gefährliche Stellen beschneit werden. Heute ist es gut die Hälfte der Schweizer Pisten. Foto: Christof Pluemacher

 

Streit ums Wasser zeichnet sich ab

Der Betrieb von Schneelanzen und -kanonen benötigt viel Wasser; ein Kubikmeter Wasser ergibt bei optimalen Bedingungen bis zu 2,3 Kubikmeter Schnee. 2010 errechnete man für Davos, dass der Wasserverbrauch für die technische Beschneiung 21,5 Prozent, in Scuol gar 36,2 Prozent des jährlichen kommunalen Wasserverbrauchs verschlang. Konflikte beim Wassermanagement sind programmiert. Gemäss einer Masterarbeit an der Universität Bern geben 34 Prozent der Unternehmen an, das Beschneiungswasser aus Bächen und Flüssen, 30 Prozent aus der Trinkwasserversorgung, 21 Prozent aus Quellen und 15 Prozent aus Seen zu beziehen. Und so bauen die Bahnen Speicherseen, wie etwa St. Moritz im Jahr 2015. Für zwanzig Millionen Franken hob man den künstlichen Lej Alv aus, mit 400 000 Kubikmetern Wasser der grösste Speichersee für Kunstschnee. Eine Recherche der Umweltorganisation Mountain Wilderness von 2013 erhob 80 realisierte und 18 geplante Speicherseen. Doch sei anzunehmen, dass die tatsächlichen Zahlen höher lägen, da weder Bund noch Kantone über eine aktuelle Übersicht über die bis anhin gebauten Infrastrukturanlagen für die Beschneiung verfügten.

Der Verband Seilbahnen Schweiz meint: Das Wasser werde zwar bezogen, durch Verdunstung und Schmelzen laufe es jedoch wieder in den ökologischen Kreislauf zurück. «Das stimmt so nicht», sagt Marcel Liner von Pro Natura. «Entscheidend ist, wann und wo das Wasser bezogen und wieder in den Kreislauf eingespeist wird. Der Rückfluss ist zeitlich und räumlich nicht mehr wie ursprünglich, was den Kreislauf je nach Region mehr oder weniger stört.»

 

Keine neuen Erschliessungen – oder doch?

Bergbahnen handeln nicht gänzlich ohne Rücksicht auf die Umwelt. Ihr Verband etwa bekennt sich dazu, dass «wertvolle Landschaften von nationaler Bedeutung und das eigentliche Hochgebirge in bisher unberührten Landschaften nicht neu erschlossen werden» sollen. Gleichzeitig aber liess sich Seilbahnen Schweiz zur Revision des Natur- und Heimatschutzgesetzes so vernehmen, dass man die Stossrichtung begrüsse, wonach die schwerwiegende Beeinträchtigung von Schutzobjekten künftig auch möglich sein soll, wenn gleich- oder höherwertige Interessen des Bundes oder der Kantone dafür sprächen. Dass also die Bundesinventare in Sachen Landschaft, Natur oder Baukultur künftig weniger Gewicht haben.

Die Bahnen pflegen ihre Bemühungen zur Schonung von Ressourcen und den Erhalt der Natur oftmals als Teil ihrer Markenidentität. Die Zermatt-Bergbahnen, ertragsmässig in der Schweiz an der Spitze, investieren mehrfach in nachhaltige Projekte. So seien bei den Stationen der neuen Kabinenbahn ‹Mountain Glacier Ride› die Fassaden mit Photovoltaik-Anlagen verkleidet und auch beim Restaurant ‹Matterhorn glacier paradise› auf dem Klein Matterhorn PV-Zellen angebracht worden. Diese Solarzellen könnten jährlich mehr als 250 000 Kilowattstunden Strom produzieren. Weitere PV-Anlagen und solarthermische Anlagen seien an anderen Gebäuden im Einsatz.

Für die Renaturierung nach Skipistenbauten haben die Zermatter Bahnen den vom Verein für Ingenieurbiologie ausgelobten Begrünerpreis 2013 erhalten. Die Pistenbauer verwendeten Rasenziegel wieder, führten Begrünungen mit lokalem Saatgut aus hohen Lagen durch und orientierten sich dabei an einem in den letzten zehn Jahren aufgebauten Schadeninventar des Skigebiets. Dafür inventarisierten sie die Schäden früherer Jahrzehnte, etwa durch alte Lifte, und bauten diese nach und nach zurück oder verbesserten sie – «ein beispielhaftes Engagement für Nachhaltigkeit im Tourismus», meinte die Jury des Preises.

 

Rück- statt Ausbau

Fast ist das müde Lächeln von Marcel Liner durch die Telefonleitung hindurch zu hören. «Natürlich kann man so einen Preis an eine Bergbahn verleihen», sagt der Mann von Pro Natura. «Aber man muss gleichzeitig wissen, dass in Zermatt eine Schneemaschine im Einsatz ist, die mit enormem Energieaufwand sogar bei Plustemperaturen Schnee produzieren kann.» Er meint den elf Meter hohen und dreissig Tonnen schweren ‹IDE Snowmaker›, der in einer Stunde vierzig Kubikmeter Schnee herstellen kann.

Vor Liner liegt ein Flyer der Jungfraubahnen. In zwei Jahren soll eine neue Bahn in Betrieb gehen, die unter anderem die Fahrzeit ab Grindelwald Grund zum Jungfraujoch um bis zu 43 Minuten verkürzt. «Sie wird vor allem asiatische Gäste auf den Berg bringen, die wenig Zeit in der Schweiz haben, aber einen Gipfel erreichen und einen Gletscher sehen wollen», sagt Liner. Damit erwähnt er, was ebenfalls hineinspielt in den Klimawandel: Rund achtzig Prozent des CO²-Ausstosses im Wintertourismus wird bei der An- und Abreise verursacht. Indem sie Gäste aus der Ferne anlocken, schaufeln die Bergbahnen am eigenen Grab. Was ist also die Lösung, die gemäss Liner schon lange auf dem Tisch liegt? «Die Umstellung auf naturverträglichen Wintertourismus wie Winter- und Schneeschuhwandern, Wildbeobachtung oder Schlitteln. Und ein langsamer Rückbau der Anlagen.»

 

Dieser Beitrag stammt aus der Ausgabe 3/2019 der Zeitschrift Hochparterre.

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