Felix Schramm, Over Horizon Hidden, 2020 (Foto: PD)

Durch die Wand

Im Kunstmuseum in Stuttgart schaben, stossen und fressen sich Künstlerinnen durch den «White Cube». Auch wenn der architektonische Gewinn gering ist, lohnt der räumliche Witz der Interventionen einen Besuch.

Architektur und Kunst haben ein gespaltenes Verhältnis. Seit die Architektur der Kunst den Raum überlassen und sich der «White Cube» durchgesetzt hat, rebelliert diese gegen den weissen, nüchternen Hintergrund. Welche vielfältigen Formen dieses Aufbegehren in den letzten Jahrzehnten angenommen hat, zeigt das Kunstmuseum in Stuttgart mit der handgreiflich raumgreifenden Ausstellung «Wände» noch bis Ende Januar 2021. Felix Schramm legt die Brechstange an und durchstösst mit bunten Wandsegmenten die weisse Galeriewand. Die Kunst dekonstruiert die Architektur. William Anastasi schabt einen Streifen der weissen Wand ab und hinterlässt eine Narbe im Gebäude. Noch brachialer wird es bei Emily Katrencik. In einem Video frisst sie sich durch die Rigipsplatten einer Ausstellungswand. Die zähneknirschende Performance von 2005 dauerte 41 Tage. Bereits 1999 begann die Künstlerin das von Le Corbusier geplante Carpenter Center an der Harvard Universität aufzuessen, um die Ideologie der Moderne zu kritisieren. Der Gewinn ihrer Aktion für die Architekturtheorie dürfte etwa so gering sein wie die Nährwerte des Gebäudes. Reflektierter geht da Monica Bonvicini an ihr Werkt. Auch sie schlägt zwar Löcher in Wände. Aufschlussreicher sind allerding die Zitate darauf aus der Architekturgeschichte, die die Künstlerin mit der Aktion niederreisst. Le Corbusier vergleicht ein stehendes Fenster mit einem Mann. Adolf Loos sah in einer horizontalen Linie eine Frau und in einer vertikalen: «Ein Mann, der sie penetriert.» So sexistisch und vulgär äussert sich heute kein Architekt mehr öffentlich, würde man glauben. Doch Zaha Hadid legte 1996 nach, als sie sagte: «Cut off your dick and eat it.» ###Media_2### Andere Kunstwerke geben sich versöhnlicher, subtiler. Maurizio Cattelan lässt ein Pferd mit dem Kopf durch die Wand rennen: Anstelle eines ausgestopften Tierkopfes hängt er den Re...
Durch die Wand

Im Kunstmuseum in Stuttgart schaben, stossen und fressen sich Künstlerinnen durch den «White Cube». Auch wenn der architektonische Gewinn gering ist, lohnt der räumliche Witz der Interventionen einen Besuch.

E-Mail angeben und weiterlesen:

Geben Sie uns Ihre E-Mail-Adresse und wir geben Ihnen unseren Inhalt! Wir möchten Ihnen gerne Zugriff gewähren, obwohl dieser Beitrag Teil unseres Abos ist.