«A Women’s Thing» heisst das von international renommierten Publizistinnen und Designerinnen in New York gemachte Magazin, das den «Revolution» Award erhält.

Gendersensibel entwerfen

«Gender» ist im Mainstream angekommen. Anlässlich des iphiGenia Awards spricht Uta Brandes über Gender im Design und wie Klischees vermieden werden können.

Gender ist – zumindest als Begriff – im Mainstream angekommen. Anlässlich des iphiGenia Awards spricht Uta Brandes über Gender im Design. Uta Brandes lehrt, forscht und berät Konzerne zur Gender-Sensibilität im Design. Sie erklärt im Interview mit Bettina Krause, wie Klischees vermieden und geschlechtergerecht gestaltet werden kann.

Was haben Gender und Design miteinander zu tun?
Uta Brandes: Als ich Mitte der 1990er Jahre an der Köln International Design School als weltweit offenbar erste Professorin für Gender und Design anfing, haben die Leute mit Unverständnis reagiert. Sie sagten, im Design komme es doch auf ästhetische Anmutung und auf Funktionalität an – das habe nichts mit dem sozialen Geschlecht zu tun. Dabei ist die Idee davon, was wir funktional und ästhetisch finden, sehr wohl geschlechter-spezifisch geprägt. Heute ist das Wort Gender in aller Munde, jüngere Generationen, Unternehmen und Hochschulen interessieren sich für die Thematik, inzwischen auch viele Männer. Aber im Design ist das immer noch nicht wirklich angekommen.

In welchem Bereich sehen Sie Defizite?
Nehmen wir ein einfaches Beispiel: die Automobilindustrie. Hier gibt es nur sehr wenige Designerinnen, und wenn dort doch mal eine Designerin beschäftigt ist, ist sie verantwortlich für Interior und Stoffe, eher nicht für technische Entwicklungen. Da werden also Geschlechterklischees darüber deutlich, worin Männer und Frauen angeblich kompetent sind. Aber ich bin optimistisch, weil sich doch etwas verändert hat in den letzten Jahren.

Woher kommen diese Klischees?
Die sind ganz klar gesellschaftlich geprägt und lassen sich anhand unserer Geschichte erklären: Typischerweise war die bürgerliche Frau im 19. Jahrhundert stärker als je zuvor im Haus, im Privaten, eingesperrt. Der Mann ging hinaus ins feindliche Leben, während den Frauen Berufe, sogar Universitäten, Bibliotheken verschlossen blieben. Sie sollten sich nicht bilden und zu klug werden. Ihr einziges Betätigungsfeld war das Innere, Private, das Häusliche, und da durften sie dekorieren und alles schön machen – und auf den Mann warten. Daraus resultierte dann, kurz gesagt, die Ideologie, dass Frauen in jenen Bereichen geschickter seien, und das hat sich bis heute hinterrücks gehalten. Häufig unbewusst werden Kinder heute immer noch different nach Geschlecht behandelt und erzogen, wenn auch subtiler als früher. Und am Ende interessieren sich die Mädchen für Puppen und die Jungs für Autos. Dabei müsste man mal genau hinsehen, woher das eigentlich kommt.

Was folgt daraus?
Im Job werden Männern oft automatisch technische Fähigkeiten zugestanden. Frauen studieren immer noch selten Informatik oder Maschinenbau, werden dazu kaum ermutigt, haben es dort schwer, und es gibt kaum weibliche Vorbilder. So setzen sich die Kreisläufe fort, die selbst bei modernen jungen Menschen noch zuschlagen. Auch die Bereiche, die vermeintlich frauentypisch sind wie Kochen oder Kleidung: Wenn sie professionalisiert werden, Geld und Berühmtheit eine Rolle spielen, dann gibt es viel mehr männliche Sterne-Köche und berühmte Mode-Designer als weibliche. Das heisst also: Klischees setzten sich fort. Dann ergibt sich noch die Problematik mit dem Kinderkriegen. Häufig sind es die Frauen, die aufhören, berufstätig zu sein, wenn Kinder unterwegs sind. Da muss sich was ändern.

Auch fast alle berühmten Architekten sind Männer.
Es gab ja eine sehr bekannte Architektin, die leider unverhofft gestorben ist: Zaha Hadid. Sie entwarf durchaus anders als die meisten ihrer männlichen Kollegen. Sie hat sich in diesem Männer dominierten Umfeld männlich verhalten: Sie war taff und herrisch, hatte eine laute Stimme – eine ambivalente, aber auch beeindruckende Frau.

Agieren Männer und Frauen in Design-Berufen tatsächlich unterschiedlich?
Beim Entwurf und der Herangehensweise an Aufgaben beobachte ich, dass Frauen vorsichtiger, konzentrierterer sind, länger nachdenken und das grosse Ganze verantwortlicher im Blick haben. Männer arbeiten eher nach dem «Trial and Error»-Prinzip. Und beides hat seine Qualitäten. Idealtypisch ist deshalb eine Mischung aus beiden Arbeitsweisen am besten. Gemischte Teams in der Gestaltung bringen bessere, interessantere und sinnvollere Ergebnisse.

Nicht nur «von» sondern auch «für» Männer und Frauen wird unterschiedlich gestaltet?
Ja, in der Drogerie, Hygiene und Kosmetik wird das besonders deutlich. Und da haben die Unternehmen mittlerweile entdeckt, dass man auch die Männer «kosmetisch» kriegen kann, mit entsprechendem Design. Wenn Sie in die Drogerie-Märkte schauen, sind die dunkelblau gefüllten Regale für Männer reserviert, die pastelligen für Frauen. Dabei bräuchte es hier überhaupt keine Unterschiede geben. Beim Nassrasierer ist es besonders plakativ, da gibt es z. B. den rosafarbenen, elliptisch geschwungenen  «Venus Embrace»- und in kantigem Blau heist er etwa «Mach drei Turbo». Dabei könnten beide baugleich sein. Mit diesem Gender-Marketing werden die Klischees bestätigt und sogar verstärkt. Auch bei Kinder-Spielzeug und -Klamotten war das noch nie so schlimm wie heute.

Was ist die Lösung?
Mein Ideal wären Designs, die offener sind und in der Aneignung individualisiert werden können. Das heisst, dass ich mir das Ding auf meine Bedürfnisse zuschneiden und anpassen kann. Ich nenne das fluide Gestaltung. Dazu gehört ein Bewusstsein dafür, dass Menschen unterschiedlich sind und Klischees vermieden werden sollen. Ein gutes Beispiel sind die ersten Macs, die waren rund, klein, freundlich, die mochten Frauen und Männer gleichermassen, und das Interface, die Bedienung war durch die «Icons»  einfach und einsichtig.

Wo sehen Sie Handlungsbedarf?
Dass Unternehmen zu wenig schauen, was die Menschen eigentlich brauchen und was sie im Alltag tun. Wenn man Menschen mehr dabei beobachten würde, wie sie mit Dingen tatsächlich umgehen, würden viele Dinge besser funktionieren und damit alle Menschen zufriedener machen.

Gender-Sensibilität im Design bedeutet festzustellen, dass vermeintliche Unterschiede zwischen Männern und Frauen unnötigerweise hervorgehoben werden – Beispiel Rasierer. Oder es fordert auf Produkte so zu gestalten, dass sie auf tatsächliche, etwa anatomische Unterschiede zwischen Männern und Frauen reagieren?
Exakt. Als Ziel sehe ich deshalb nicht neutrales Design, sondern gender-sensibles. Ich finde, Gender sollte heute im Designprozess ebenso selbstverständlich mitgedacht werden etwa wie Nachhaltigkeit.

Was raten Sie Unternehmen, Designerinnen und Designern?
Menschen auf aller Welt widmen andauernd Sachen um und benutzten Dinge für einen anderen Zweck als ursprünglich gedacht. Ins ehemalige Marmeladenglas tun wir Stifte, die Kühlschranktür wird mit kleinen Magneten und Notizen zur Pinnwand. Aus diesem Wissen könnten Design-Profis lernen, ganz neue Sachen zu entwickeln, Möglichkeiten öffnen, auch im digitalen Bereich - allein durch Beobachtung und genaues Hinsehen. Nur durch so etwas kann Innovation entstehen. Und Geschlechtergerechtigkeit.

Haben Sie ein Beispiel dafür?
Wenn es etwa um das Warten an Haltestellen geht, haben wir beobachtet, dass man sich in einer Stuhlreihe immer so weit wie möglich von anderen entfernt hinsetzt, meist bleibt dann ein Platz frei. Die Innovation waren hier «Turning Seats»: Die Stühle sind flexibel drehbar und damit funktionaler.

Was macht gelungenes Design also aus?
Die Kriterien dafür sind ja oft Nachhaltigkeit, dass möglichst wenig Material verwendet wurde, die Reparaturfähigkeit und Wiederverwertbarkeit eines Produkts. Hinzu kommt aus meiner Sicht die Wahrnehmungsfähigkeit dafür, was Menschen eigentlich mit dem Produkt machen – und das alles immer mit der gender-sensiblen Brille analysieren.

 

 

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