Neben der römischen ist die islamische Badekultur stilbildend. Darstellung des Bades in Behzad, Iran, im 15. Jahrhundert.
In Zusammenarbeit mit Geberit

Die Badenden – einst und heute

Schöner Baden ist keine Frage der Technik, sondern eine des Körpergefühls. Ein Bericht aus der Badewanne erzählt vom Badezimmer und der Körperlichkeit im Wandel der Zeit.

Ich bin kein Schwimmer, vor dem Meer habe ich Angst, auch im See schwimme ich schlecht, wenn schon, mag ich das Thermalbad. Auch die Badewanne ist mir angenehm. So schrubbe ich meine alte Wanne mit flüssiger Schmierseife und lasse handwarmes Wasser in sie laufen. Nach ein paar Minuten giesse ich Rosmarin- und Lavendel­essenz dazu, ziehe mich aus, halte meine Zehen achtsam in die Wärme, prüfe die duftende Brühe, ich stehe in die Wanne, gebe acht, nicht auszurutschen, kauere nieder und lasse die Wärme langsam durch den Körper fliessen. Es prickelt auf meiner Haut, weil das Wasser zu warm war. Da liege ich nun ausgestreckt und dümple vor mich hin.

Neben der römischen ist die islamische Badekultur stilbildend. Darstellung des Bades in Behzad, Iran, im 15. Jahrhundert.


Kunsthandwerk

Duftender Dampf steigt aus dem Nass. Ich studiere die Wohltaten vor meinen Augen, die mir die Fabriken für Badewannen, Armaturen, Seifen und anderes Zubehör bieten. Sie kreisen alle um ein Wort: Wellness. Ein Wort, das es nicht nur gut mit uns meint, sondern das auch mit Witz und technischem Sachverstand Badezimmer zu Lustkammern macht. Während ich mich drehe in meiner warmen Suhle und auf das Seifenschälchen gucke, denke ich an die beiden Keramik-Kunsthandwerkerinnen Isabelle Jakob und Barbara Schwarzwälder aus Biel, denen ich dieses Seifenbrettchen, die Becher für das Zahnputzzeug und die Kerzenhalter auf dem Badewannenrand einst abgekauft hatte. Sie stellen sie unter dem klingenden Namen ‹Lavabo Lavabelle› selbst her – seit zwanzig Jahren nun. Solche Gegenstände sind ein ergänzender Gegentakt zu den Badewaren der grossen Firmen. Ich mag solchen Eigensinn, solche Sorgfalt und Autorinnenschaft. Sie gibt meinem Badezimmer eine persönliche Note, genauso wie der verseifte lindengrüne Kalkputz, der den Raum einkleidet.

Jungbrunnen: In ihm baden ältere Frauen und steigen jung wieder heraus. Lucas Cranach gelang 1546 der grosse Trost des Bades.

Édouard Manet formte Nana 1877 – schon vor dem Schriftsteller Émile Zola.


Was sich gehört und was nicht

Da, wo ich liege und sich meine äusseren Schichten langsam aufweichen, war vor 15 Jahren noch keine Wellness, sondern die Küche. Das hundert Jahre alte Arbeiterhaus, das ich und meinesgleichen erworben und umgebaut haben, hatte weder Badewanne noch Waschtisch noch Duschschlauch noch Kalt- und Warmwasser, sondern ein WC auf dem Flur und eine Kaltwasserleitung in der Küche. Gewiss, die, die da wohnten, waren mit Geld nicht gesegnet, aber das genügt als Erklärung nicht. Ein Speditions­arbeiter wie mein Grossvater hat nicht gebadet, weil er das Baden zu Hause bis ins hohe Alter als schädlich empfand. Und als unziemlich. Meine Grossmutter war als Putzfrau zwar Spezialistin für inszenierte Sauberkeit und Ordnung, sie war ihr aber Produktionsmittel, mit dem sie ihr Brot bei den oberen Schichten verdiente. Die körperliche Selbsterkundung, die ihr Enkel sich putzend heute treibt, wenn er Rosmarinmilch und Lavendel in das Badewasser mischt, war meinen Grosseltern fremd. Sie wuschen sich fleissig; Grossvater duschte allenfalls im Lagerhaus der Firma, aber das gehörte zum Ritual des Arbeitsplatzes, oder er besuchte das Bad im Volkshaus am Samstag nach der Arbeit und vor dem Gang in die Wirtschaft.

Der Badende vor dem Horizont der Industrie. Keine laszive Nacktheit, sondern züchtige Disziplin, kein Skandal, sondern Melancholie gelingt Georges Seurat 1884 mit ‹Die Badenden in Asnières›.


Nanas blasse Haut

Nun friert es mich leicht. Ich lasse warmes Wasser nachfliessen. Auch die gesellschaftlich Bessergestellten zur Zeit meiner Grosseltern hatten das Baden noch nicht entdeckt. In der Bourgeoisie ist Baden im Haus erst Ende des 19. Jahrhunderts üblich geworden. Die grosse Neuheit 1908 – das Luxushotel von Cäsar Ritz in London – bot in den vornehmsten Zimmern ein Bad. In Paris, dem Vorbild der bürgerlichen Zivilisation der Moderne, standen erst ab 1880 in den mehrstöckigen Bürgerhäusern eigene Zimmer fürs Bad zur Verfügung. Gewiss spielten auch die technischen Herausforderungen eine Rolle: Nur bis schon all die Badeöfen geheizt waren. Oder all die Sorgen mit dem Zu- und Ablauf: Die Stadt war erst im Plan und in ihren Schauquartieren mit einem Durchlaufsystem ausgerüstet. Aber der Fortschritt war nie eine Frage nur des Geldes. Die Intimität, die das einsame oder gar zweisame Liegen im Wasser voraussetzt, war im 19. Jahrhundert in weiten Kreisen undenkbar. Die heutige Körperlichkeit und Hygiene waren nicht einmal für den gewagten Gesellschaftsroman ein Thema. So war es ein literarischer Skandal, als Émile Zola beschrieb, wie seine Heldin Nana lebte und leiden musste unter der furchtbaren Gewalt der Männer. Und wie sie dennoch ihre blasse Haut entdeckte und im Spiegel betrachtete. Erst langsam und gegen hartnäckigen Widerstand von Kirche und Moral fand der bürgerliche Mensch sich und seinen Körper. Und stand öffentlich zu dem, was er verborgen und verdrängend trieb. Die Szenen aber, in denen Nana ihren Körper nahe betrachtet und untersucht, waren ungehörig bis weit ins 20. Jahrhundert – ja, sind es heute noch in weiten Teilen der Welt. Und die Art, wie Zola in seinem Roman ‹Nana› Sitten und Bräuche geschildert hat, ist stilbildend und vorbildlich bis heute.

Die berühmteste Badende der Kunstgeschichte heisst Susanna. Hier in der Version von Arnold Böcklin (1888).

An der Schwelle zum 20. Jahrhundert wurde der nackte Körper salonfähig. Paul Cézanne: ‹Die grossen Badenden›, 1906.


Woody Allen im Bad

Es ist erstaunlich, wie schnell es dann ging, bis nach dem Körper die Seele als bürgerliches Untersuchungsobjekt populär wurde. Es scheint sicher, dass zwischen dem Bad, Nana und der Psychoanalyse ein Zusammenhang besteht. Oder andersherum: Sigmund Freud hatte gewiss fast nur mit badenden Menschen zu tun, und auch Woody Allen, der wohl am besten psychotherapierte Künstler, sieht in seinen Filmen immer so aus, als ob er geradewegs aus der Badewanne käme, obwohl einem als Badezimmerszene in seinen Filmen bloss die Spinnenjagd in ‹Annie Hall› in den Sinn kommen will. Immerhin, im Film ‹Sweet and Lowdown› über den Gitarristen und Rüpel Emmet Ray sieht auch der Schauspieler Sean Penn in jeder Szene aus, als käme er frisch aus dem Bad – die Liebe, die er schändlich missbraucht, ist eine Wäscherin. Es heisst übrigens, Woody Allen sei ein exzessiver Bader, der auf dem Set ein Badezimmer grösser als ein Schlafzimmer für sich beanspruche und niemanden hereinlasse. Nicht einmal die schöne stumme Wäscherin Hattie in ‹Sweet and Lowdown›, die eine Haut haben soll, so blassrosa wie Émile Zolas Nana.

Seit der Renaissance spornte die Badekultur in den Thermen die Fantasie der Künstler an – so stellte es sich Lawrence Alma-Tadema 1909 vor.


Den Körper abschliessen

Heute können wir es uns hierzulande ohne Weiteres leisten, für ein Bad dreimal das Wasser auszuwechseln. Wasser kostet pro Kubikmeter nur knapp zwei Franken. Dreitausend Mal weniger als die gleiche Menge Bier. Kurz: nichts. Alle sagen, Wasser würde ein knappes Gut. Ich lächle nur müde und weiss wohl, dass sich das ändern wird, angesichts des grossen Durstes, der uns allen droht, wenn wir Wasser weiterhin verschwenden. Aber meine Badneigung und die Badfeindschaft unserer Vorfahren entstammten weder ökologischen Bedenken noch ökonomischen Gründen, sondern die Nähe zum eigenen Körper bestimmte sie. Und die hygienisch-medizinische Vorstellung. Ohne lange Familienforschung betrieben zu haben, unterstelle ich meinem Urgrossvater, dass er, wie im 19. Jahrhundert üblich, seinen Körper als abgeschlossenes System aufgefasst hatte. Käme dieses mit Wasser in Berührung, so klappte es auf und liefe aus. Umgekehrt dränge das Wasser in den Körper und trüge alles Fremde in ihn hinein bis zum sicheren Tod. Darum – kein Wasser zum Körper.

In den Zwanzigerjahren wurde auch der Körper frei. Ernst Ludwig Kirchner: ‹Badende›.


Puder statt Wasser

Wir kennen den Grund. Die Pest war der grosse Schrecken des Mittelalters in Europa. Sie brachte einen Drittel der Menschen um. Dieses Trauma wirkte lange nach und trotzte den Erkenntnissen der Medizin. Der Körperlichkeit und öffentlichen Badekultur der römischen Oberschicht, die sich in Spuren bis ins Mittelalter hatte retten können, setzten die Pest und andere Seuchen zu. Ihrem Wüten folgte eine fünfhundert Jahre dauernde Theorie der Abschliessung und Verriegelung. Sie prägte die Bauernmedizin im Prättigau genauso wie den ‹haut goût› in Paris. Schliesslich galt es da in den Kreisen, die den Life­style für Europas Oberschichten bestimmten, noch im 17. Jahrhundert als unfein, mehr als seine Hände zu reinigen, den Körper gar zu waschen – nur pudern durfte man ihn. Die Befreiung des Bürgers und viel später der Bürgerin schleppte etliche Einstellungen und Motive durch die Jahre. Ein Jahrhundert war nötig – und darin viel medizinisch-technischer Fortschritt –, um das zu ändern. Nach einem weiteren Jahrhundert haben wir nun ein präzises Gebaren der Selbstentfaltung entwickelt und erprobt, das auch ich in vollen Zügen geniesse ; sorgsam tauche ich meinen Kopf unter, pruste wie ein Wal, schenke mir ein Glas Rotwein ein, esse dazu gedörrte Feigen und Nüsse und blinzle ins flackernde Licht der Kerzen.

Pablo Picasso war ein Maler der Badenden: 1931 malte er ‹Die Badende beim Februar zerrissen›.

Gerhard Richters ‹Kleine Badende›, 1994. © Gerhard Richter 2019 (0150)


Der Riss der Zukunft

Ich giesse Badezusatz nach. Fein entlang der Flasche scheint der Riss der neuen Hygiene auf. Viele der heutigen Beiträge zum Baden beschäftigen sich auf hohem Stand mit dem ausschweifenden bürgerlichen Körpergefühl und Selbstwert. Sie wollen, so las ich, das «Bad als Lebensraum und Ausdruck individueller Wohnkultur, als Fitness- und Wellnesszone – die pure Sinnlichkeit mit Zukunft» beliebt machen. Das irritiert, fühle ich meinen eigenen Standpunkt schwanken. Denn für «sinnlich» hatte ich sowohl die Produktion von Badewannen als auch das ganze Design darum herum noch nie gehalten. Wenn schon, dann für konsequent, sauber, durchdacht, akzentuiert, dominant, konstruktiv, funktional, intelligent gefertigt. Aber sinnlich? Auch scheint mir all das Sinnliche eine genüssliche Variante meines gegenwärtigen eigenen Tuns der Körper- und Seelenbetrachtung. Aber war so etwas zukünftig? Wenn schon, muss Zukunft einen anderen Hygiene­standard bedenken. Und wenn schon Wellness, dann bitte eine neue Theorie des Körpers nicht vergessen. Die Tyrannei der Intimität, unser bürgerliches Lebensgefühl, das Elixier, nach dem unsere Wirtschaftsweise allein zu existieren verspricht, hinterlässt ein eindrückliches Schlachtfeld. Der Rückzug in die immer raffinierter ausgestatteten Badezimmer mochte genüsslich sein und für die Fabrikanten profitabel ; ebenso Genuss versprachen auch die immer aufwendigeren Verfahren, wie wir uns mit elegant gestalteten Brausemaschinen besprudeln lassen können. Sogar in individuellen Farben sind solche Apparate zu haben. Aber ist das – sensorgesteuert – nötig? Komfortabel ist es, ohne Zweifel, und profitabel auch. Aber zukünftig? Im Nebel erst zeigten sich Umrisse einer neuen Hygiene. Wie im 19. Jahrhundert, als der bürgerliche Mensch und später der Prolet seinen Körper samt Seele von nahe entdeckt hatte, werden nun im 21. Jahrhundert unsere Kinder und Enkel um eine neue Definition ihres Körpers nicht herumkommen. Mit grossem Engagement suchen sie diese. Sie bestreiken dafür die Schulstunde und rufen am Freitag «Unser Klima!» durch die Strassen der Stadt. Ihre Definition von Welt will diese mit ebenso viel Sorgfalt versehen wie den eigenen Körper. Sie haben einen grossen Vorteil. Sie sind Kinder der Wellness, sie sind Kinder, die ihren Körper kennen wie keine Kinder vor ihnen. Sie rufen, dass ihr Körper nur gesund ist in einer gesunden Welt.

Damien Hirsts Badezimmer in seiner ‹Empathy Suite› in Las Vegas. Eine Nacht in der Suite kostet 100 000 Dollar. Foto: Palms Casino Resort


Die Musik tröstet

Wie diese herstellen? Ich weiss nur, dass die Körper- und Seelenübungen der sexuellen Befreiung, mit denen wir uns von unseren Vorfahren zu lösen versucht hatten, uns heute vorkommen wie das Lockerungsturnen vor der strengen Bergtour, die den um das Klima besorgten Kindern und Jugendlichen bevorsteht. Denn die Fakten sind bitter: Süsswasser wird die erste Ressource sein, die global knapp wird. Der grosse Durst wird das grosse Thema sein im Wandel des Klimas. In mehr als achtzig Prozent der Städte auf der Welt gibt es schon jetzt kein sauberes Trinkwasser. Aber der priesterliche Furor ist mir im Laufe der Jahre abhandengekommen; auch stelle ich mir vor, wie ich jetzt als Prediger wirken würde, im Bad liegend, mit mittlerweile zartrosa Haut wie Nana, tropfend nass, nackt und leicht benebelt. Also bleibe ich lieber noch etwas liegen, schrubbe die Zwischenräume meiner Zehen und drehe angenehm säuselnde Musik auf.

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Kommentare

Christof Hindermann  06.09.2019 21:29
...sag ich doch auch immer: DANKE* GEBERIT und dies seit bald 20Jahren ;-)
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