Links: Das Studio bei Archpole ist Showroom und Arbeitsplatz zugleich. Rechts: Einblick in die Holzwerkstatt von Archpole.

«Design Finding Mission Moscow» – Teil 2

Im Rahmen einer einmonatigen Research Residency der Pro Helvetia begibt sich die Designerin Gabriela Chicherio in Moskau auf eine Spurensuche nach zeitgenössischem, russischem Design.

Meine Suche beginnt an einem grauen Montagnachmittag im Osten von Moskau. Dort treffe ich Anna Sashinova von Archpole, den kommerziell erfolgreichsten Designern in Moskau, wie mir gesagt wird. Ihr Büro mit den dazu gehörenden Werkstätten liegt in Elektrozavod, einer gigantischen Industrie-Ruine aus rotem Backstein. Das ehemalige Kraftwerk war einst Teil der Elektrifizierung der Sowjetunion, heute hält die Energie von Kreativen diesen Komplex am Leben. 

Im Büro im fünften Stock verstehe ich schnell, dass ich es nicht mit einer kleinen Kreativagentur zu tun habe. Anna Sashinova und Konstantin Lagutin, beide Architekten, haben vor zehn Jahren begonnen Möbel selber herzustellen, weil sie keine geeigneten Hersteller finden konnten. Was klein begann, ist zu einer Firma mit insgesamt 50 Mitarbeitern gewachsen; davon arbeiten rund 40 in der Produktion. 

Entwerfen und produzieren

Die Kombination von Designerinnen oder Designern, die als Produzenten agieren, begegnet mir hier mehrfach. Auch Maxim Maximov entwickelt mit seinem Asketik Studio eine eigene Produktlinie, aber auch Interiors für internationale Brands wie Camper oder lokale Kaffees und Restaurants. Der Camper Store baut auf dem Raster von 15 mal 15 Zentimeter grossen, weissen Kacheln auf, wie sie in der Sowjetunion oft in Warenhäusern zu finden waren. Ergänzt wird das minimalistische Interieur durch rote Elemente – ebenfalls eine Anspielung auf die sowjetische Vergangenheit. Einen spannenden Einblick in den «neuen Osten» von Warschau bis Vladivostok gibt übrigens das englischsprachige «The Calvert Journal».

Camper Store von Asketik im Metropol Shopping Center.

Im «Center for Creative Industries Fabrika», einer ehemaligen Fabrik für technisches Papier, wo ich im Rahmen der Residenz untergebracht bin, entdecke ich die Firma Virronen. Sie entwickeln und produzieren vor Ort Rucksäcke aus Leder. Das Leder stammt aus Russland, wie sie stolz betonen. Die meisten Taschen sind Einzelstücke und werden in ihren Showroom, der sieben Tage die Woche geöffnet ist und sich zwei Türen neben dem Nähatelier befindet, oder über den Onlineshop verkauft. 
 

Schnittmuster zur Rucksackproduktion von Virronen, made in Moscow.

Schokolade und Bier

Auch boomt die lokale Foodproduktion. Die Produkte fallen oft dank ihrer aussergewöhnlichen und gut gestalteten Produktgrafik in den Regalen auf. So finde ich gleich mehrere Schokoladenmanufakturen wie Fresh Cacao oder Mojo Cacao, Pop Corn von Holy Corn, getrocknete Fruchtsnacks von fruitsy, den cold brew coffee Red O, gebraut im Moskauer Roter Oktober Quartier, Kombucha von Karibu Kombucha oder spezielle Craft Biere von Red Button, Zagovor oder XP Brew.

Karibu Kombucha: das jahrhundertealte Getränk Kombucha hat in Russland eine lange Tradition und wurde in vielen Familien zu Hause hergestellt, bevor Cola & Co verfügbar waren.

Verkauft werden sie in Concept Stores, die sich auf lokale Produkte spezialisiert haben, wie der Hlebspace in Hlebozavod9, einem coolen Kreativquartier auf dem Areal einer ehemaligen Brotfabrik. Diese war Teil eines staatlichen Programms, um die Bevölkerung mit ausreichend Brot versorgen zu können. Der Ingenieur Georgij Marsakow entwickelte eine Produktionsanlage, bei der die verschiedenen Arbeitsschritte in einem zylindrischen Bau über mehrere Etagen mit Fliessbändern verbunden waren. Das Werk Nr. 9 ging 1934 vollautomatisiert in Betrieb. Täglich wurden 190 Tonnen Brot hergestellt. 
 

Links: Hlebozavod9, umgenutzte Brotfabrik im konstruktivistischen Baustil. Rechts: Poster erklären den ehemaligen Brotbackprozess und die direkten Auswirkungen auf die Bauweise des konstruktivistischen Komplexes.

Diese umgenutzten Fabriken bieten einen idealen Nährboden für Kreativagenturen, Start-ups, Gallerien oder Gewerbe. Die Resultate finden sich überall, vor allem natürlich auf den Fabrikarealen selber, aber auch in Museumsshops, auf Märkten, wie dem Danilowsky Markt, in Concepts Stores, Spezialitätenläden und etwas schicker sortierten Supermärkten – nur in den klassischen Souvenirshops ist davon nicht viel zu sehen.
 

Mode vom Moskauer Label Nina Donis im Concept Store KM20.

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