Inszenierung der ‹Zauberflöte›, 2018 am Théâtre de la Monnaie in Brüssel. Regie: Romeo Castellucci, Bühnenbild: Michael Hansmeyer

Zu viel ist niemals genug

Digitale Mittel ermöglichen hochkomplexe Formen. Doch die Architekten müssen ihnen soziokulturelle Bedeutung geben, fordert der Architekturtheoretiker Oliver Domeisen.

Es war in Lille an einem Donnerstag im Mai, als ich unverhofft vom wahrhaft Schönen überwältigt wurde. Getragen von den musikalischen Koloraturen Mozarts schwebte ich scheinbar durch Wolken von weissen Straussenfedern, über wogende Reigen von gepuderten Perücken und makellosen nackten Popos. Ich war hypnotisiert von algorithmisch generierten Tropfsteinhöhlen, glazial tanzenden Stalaktiten und keramisch-bleichen Felsvorsprüngen, allesamt durchdrungen von exquisit unentwirrbarem, illusorischem Ornament. Man konnte sich nicht sattsehen an dieser fiebrigen Welt, die an die Arbeiten von Busby Berkeley oder  Matthew Barney erinnerte. Was sich hier in der Opéra de Lille in meine Netzhaut und mein Gedächtnis brannte wie ein weissglühender Rorschachtest war Michael Hansmeyers digitale Zauberei für die Zauberflöte. Ganz wie vom Gesamtkunstwerk des Spätbarocks beabsichtigt, hat mich diese Inszenierung im Stile des digitalen Barocks mit seiner berauschenden Opulenz entrückt, verführt und mit dem gleissenden Licht seiner Pracht betört. (Über das nicht von Hansmeyer verantwortete Bühnenbild für den zweiten Akt – eine ernüchternde, bauhäuslerische Banalität aus MDF und Overalls – bleibe hier gnädig geschwiegen). ###Media_4### Eigentlich lasse ich mich ja nicht so leicht blenden. Als Ornamentalist stehe ich dem parametrischen Entwerfen, wie es etwa von dessen Chefideologen Patrik Schumacher als Homogenisierung der architektonischen Praxis gefordert wird, kritisch gegenüber. Parametrisches Design, ursprünglich zum Zweck der Optimierung und der Minimierung entwickelt, ist ein rationaler, abstrakter Prozess. Dessen Produkte haben keine inhärente Bedeutung jenseits ihrer optimierten Geometrie, minimierten Materialverbrauchs oder Kosten. Im Kontrast zum architektonischen Ornament fehlt es parametrisch generierten Mustern demzufolge an Symbolcharakter oder Ikonografie. Jeg...
Zu viel ist niemals genug

Digitale Mittel ermöglichen hochkomplexe Formen. Doch die Architekten müssen ihnen soziokulturelle Bedeutung geben, fordert der Architekturtheoretiker Oliver Domeisen.

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