Die «Marszałkowska-Ostwand» auf Fotos, die zwischen 1986 und 2014 entstanden. Fotos: Werner Huber

Warschau: Tränen für die Ostwand

Die Ende der 1960er Jahre erstellte «Marszałkowska-Ostwand» in Warschau war ein Juwel der polnischen Nachkriegsarchitektur. Im aktuellen Heft von «Architektura-murator» nehme ich von ihr Abschied.

Das nennt man „Liebe auf den ersten Blick“. Es geschah im August 1984. Wir beherbergten Gäste des Warschauer Lehrerchors, die als Geschenk das Buch „Warschau 1945, heute und morgen“ mitbrachten. Auf Seite 176 war ein Foto abgebildet, das mich in seinen Bann zog: Eine langgestreckte, gläserne Warenhauszeile, dahinter drei schlanke Wohnhochhäuser. Die Glaskuben sind hell erleuchtet, im Vordergrund queren die Lichtspuren der Autos das Bild, auf dem regennassen Asphalt spiegelt die rote Leuchtschrift „Centrum“. Im Bild steckte alles, was mich als Schweizer „Kind der Sechzigerjahre“ faszinierte: Moderne Bauten, der grosse Massstab, die aufgeräumte Stadt. Ich wusste: Da will ich hin!   Zwei Jahre später besuchte ich Warschau. Eines meiner ersten Ziele war die Marszałkowksa-Ostwand. Nach dem ersten Studienjahr hatte ich mir ein kleines architektonisches Vokabular angeeignet, sodass ich das Ensemble nicht nur bestaunen, sondern auch schon bewerten konnte. Die Blütezeit Welches sind denn die Qualitäten, die die Marszałkowska-Ostwand zu einem für mich so faszinierenden Ensemble machen? Das ist in erster Linie die städtebauliche Komposition, mit der es den Architekten gelungen ist, eine mehrere hundert Meter lange Überbauung zu schaffen, die als Ganzes ebenso stark ist wie in ihren einzelnen Teilen. Es ist ein grosser Wurf, der dem gegenüberliegenden Kulturpalast Paroli bietet, ohne monumental zu sein. Raffiniert haben die Architekten die unterschiedlichen Massstäbe aufgenommen: An die breite Marszałkowska setzten sie die grossformatigen Glaskuben und reagierten so auf die grosse Fläche des Plac Defilad. Hinter den Warenhäusern wandten sich die Architekten dem Menschen zu und schufen mit filigranem Dächern und Pergolen die intime Pasaż Śródmiejski. In der hintersten Schicht spannen drei Wohnhochhäuser eine Kulisse auf, die dem monumentalen Kulturpalast ...
Warschau: Tränen für die Ostwand

Die Ende der 1960er Jahre erstellte «Marszałkowska-Ostwand» in Warschau war ein Juwel der polnischen Nachkriegsarchitektur. Im aktuellen Heft von «Architektura-murator» nehme ich von ihr Abschied.

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