Eine der 28 Kelchstützen für den neuen Bahnhof in Stuttgart wird betoniert. (Foto: DB PSU GmbH)
In Zusammenarbeit mit Grohe

Materialstärke und Rechenkraft

Hauchdünne Gewölbe, bewegliche Häuser, programmierte Grundrisse: Philippe Block, Roland Bechmann und Steffen Lemmerzahl zeigten in der Baumuster-Centrale in Zürich, was Algorithmen alles ermöglichen.

Viel Zeit bleibt uns nicht. «In den nächsten 30 Jahren werden sich die Geschossflächen global verdoppeln», rechnete der ETH-Professor Philippe Block letzte Woche in der Baumuster-Centrale in Zürich vor. Klimawandel und Ressourcenknappheit machen aber klar: Dasselbe nochmals führt zum Kollaps. Es braucht effizientere Lösungen, und das rasch. Wie die Digitalisierung dem Bauen auf die Sprünge helfen könnte, erklärten drei Referenten, die das Unternehmen Grohe – eine führende Marke für ganzheitliche Badlösungen und Küchenarmaturen – eingeladen hatte. Mit frisch gezapftem Mineralwasser aus dem Wassersystem Grohe Blue in der Hand lauschten die Gäste den Ausführungen über «analoge Techniken für digitale Prozesse», so der Übertitel des Abends.

Viel Zeit blieb auch Philippe Block nicht. In zwanzig Minuten raste er durch seine Schalenkonstruktionen, die in den letzten Jahren immer wieder für Schlagzeilen gesorgt hatten. Das Gewölbe an der Architekturbiennale 2016 in Venedig, das Natursteine ohne Mörtel oder Armierung in der Luft hält. Ein Ziegeldach in Afrika, das aus daumendünnen Platten besteht. Oder eine gestrickte Schalung, mit der Block in Mexiko eine expressiv geschwungene Betonskulptur fertigte. «Das Textil wog nur 25 Kilogramm, kostete 2500 Franken und war in 36 Stunden gefertigt.» Ein vielfaches sparsamer als eine Schalung aus Holz.

Die Skulptur in Mexiko wurde mit einem Textil geschalt. (Foto: Juan Pablo Allegre)

Für das Nest-Gebäude der Empa in Dübendorf baut der Forscher mit seinem Team derzeit ein gewölbtes Betondach, das nur drei Zentimeter dünn ist. «Stärke durch Geometrie», lautet das Mantra des Ingenieurs und Architekten. Wer mit den Kräftefluss baut, könne bis zu 70 Prozent des Materials einsparen. Um derart am Limit zu planen, ist Rechenkraft nötig. «BIM on steroids», nannte es Philippe Block. Der Lehrstuhl stellt die Software dafür als Open Source zur Verfügung, damit auch andere experimentieren können. Doch der Computer ist kein Allheilmittel, warnte Block. «Wenn du Quatsch eingibst, kommt Quatsch heraus.»

Prototyp der Dachkonstruktion für das Nest-Modul HiLo, das nächsten Mai fertig gestellt werden soll. (Foto: Michael Lyrenmann)

Gebäude als Maschinen
Die Grenzen des Baubaren verschieben will auch Roland Bechmann vom Ingenieurbüro Werner Sobek aus Stuttgart. Er zeigte Betonschalen, die sich löchrig luftig wie Textilien auflösen. Mit seinem Team entwickelt er einen Gradientenbeton, dessen Dichte je nach Kräfteverlauf wie in einem Knochen variiert. «Damit können wir bis zu 40 Prozent des Materials einsparen», so Bechmann. Noch mehr Dynamik ins Bauwesen bringt er mit einem andere Projekt, und zwar wortwörtlich. Mit der Universität Stuttgart baut der Ingenieur derzeit ein 12-geschossiges Hochhaus, das sich hin und her bewegt, um die Lasten bei Wind oder Erdbeben besser auf die Stützen zu verteilen. Weil die Spitzenlasten kleiner werden, können die Ingenieure die Tragstruktur schlanker dimensionieren. Der Begriff «ein Gebäude als Maschine» erhält damit neue Brisanz. War die Vision der «Walking City», von der Archigram in den 60er-Jahren geträumt hatte, doch kein Hirngespinst?

Das Demonstrator-Hochhaus soll 2020 in Betrieb gehen. (Visualisierung: ILEK)

Wieder zurück auf den Boden brachte Bechmann die Gäste mit dem Bahnhof Stuttgart 21. Die Struktur überwölbt mit nur 36 Zentimetern Stärke bis zu 30 Meter. Die tropfenförmigen Oberlichter im Park über den Geleisen hatte einst Frei Otto analog entworfen. Weil die Schalen nur auf Druck belastet sind, hätten sie ohne Bewehrung auskommen sollen. Die digitalen Berechnungen zeigten jedoch, dass es wegen der Erdkräfte doch Armierungseisen braucht, die die Planer am 3D-Modell aneinander vorbei fädelten.

Oberlichter bringen Licht in den Bahnhof in Stuttgart. (Visualisierung: plan b, Atelier Peter Wels, ingenhoven architects)

Die Digitalisierung will Bechmann neben der Form auch fürs Material nutzen. «Wir müssen sortenrein konstruieren, damit die Bauten später einmal rezykliert werden können.» Wer mit Datenbanken erfasst, wo welche Materialien verbaut sind, kann sie besser wieder verwenden. «Damit wir keinen Raubbau mehr betreiben müssen.»

Der blinde Architekt
Die Digitalisierung stellt Dinge in Zusammenhänge, die früher nicht fassbar waren. Steffen Lemmerzahl vom Architekturbüro Slik nutzt die Macht der Algorithmen bereits im Entwurf. Er definiert mit parametrischen Regeln, wie beispielsweise Tageslicht, Erschliessung oder Gebäudehöhe voneinander abhängen. Der Computer generiert darauf eigenständig Stadtstrukturen oder Grundrisse. «Der blinde Architekt», nannte Lemmerzahl das Verfahren bei einem Projekt. Doch die Maschine ersetzt den Menschen nicht. «Was der Computer ausspuckt, wird nicht direkt in Architektur umgesetzt.» Aber es zeigt Möglichkeiten auf, auf die man selber vielleicht nicht gekommen wäre.

Der Architekt Steffen Lemmerzahl erklärt in der Baumuster-Centrale, wie er mit dem Computer entwirft.

Den Grundriss für das Gewerbehaus Yond in Zürich entwickelte der Architekt mit solchen parametrischen Regeln. «Dafür muss man kein Programmiere sein», meinte Lemmerzahl. Mit der Software Grasshopper können Architekten grafisch programmieren. Vom Bildschirm ging es zurück ins Styropormodell, an dem die Architekten den Städtebau ausknobelten. Das Tageslicht im Haus, das bis zu 24 Meter tief ist, simulierten sie wiederum am Computer.

Den Grundriss für die Gewerbeüberbauung Yond in Zürich entwickelten Slik Architekten mit Algorithmen.

Digital und analog gehen Hand in Hand. In Zukunft würden Menschen und Maschinen noch enger zusammenarbeiten, glaubt Lemmerzahl. Der japanischen Künstlers Koki Ibukuro lässt die Algorithmen von unterschiedlichen Fassaden träumen, je nachdem welche Grimassen er zieht. Andere legen riesige Grundriss-Bibliotheken an, von denen künstliche Intelligenz lernen soll. Was die KI-Architektur für die drängenden Probleme wie Klimakrise und Ressourcenverschleiss bedeuten, steht allerdings noch in den Sternen.

Der japanischen Künstlers Koki Ibukuro lässt die Algorithmen von unterschiedlichen Fassaden träumen, je nachdem welche Grimassen er zieht.

Der Grohe Dialog «trends thesen typologien» mit dem Thema «Analoge Techniken für digitale Prozesse» war eine Gastveranstaltung von Grohe in der Baumuster-Centrale in Zürich.

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