Karl Beer (1886-1965) sprach an der Vernissage des Buches von asa Architekten über seine fortverdichteten Häuser Fotos: Juliet Haller

Karl Beer wird verdichtet

Karl Beer war ein wichtiger Architekt des Zürcher Wohnungsbaus. ASA Architekten haben zwei seiner Siedlungen verdichtet. Und dazu ein Buch geschrieben. An dessen Vernissage sprach der alte Beer: Gut geraten!

Beer heisse ich. Karl Beer, Architekt. Heute brachte die Post mir ein Päckli von Martin Eicher. Ein Buch drin, in dem das Büro ASA behauptet, es baue die Gartenstadt weiter. Nicht mit Häusern tun die das, wie wir die Gartenstadt bauten während und nach dem Krieg in Zürich, sondern mit Beiträgen. Drei Stück in Schwamendingen, Seebach, Albisrieden. ASA kannte ich nicht, weil ich ja schon 13 Jahre tot war als Martin Eicher und die Seinen 1978 begonnen haben. ASA ist schön, das Wort kann man von vorne und von hinten lesen. Die ASAs haben aus dem Namen ja auch ein reizendes Bildli gemacht, das hintere «a» auf den Kopf stellend. ASA tönt skandinavisch – grosse Birkenwälder, weite Seen, sozialdemokratische  Schönheit. Er heisst aber Arbeitsgruppe für Siedlungsplanung und Architektur. Ein grosses Bild im Buch zeigt, dass hinter dem Namen mit den 14 Silben eine frohe Truppe ist, locker bekleidet, kurze Hosen, Rucksäcke – so tanzen sie zwischen Sonne und Schatten in der Steilkurve auf dem Dach der alten Fiatfabrik in Lingotto bei Turin, wo die Autos einst alle im Kreis fahren mussten, bevor sie auf die Strasse durften. Grossartige Architektur, ich war auch einmal dort mit meinem Büro. Aber wir trugen alle graue Anzüge von PKZ, weisse Hemden, schmale Krawatten und Frauen mit Rucksäcken und kurzen Hosen – nein die gab es damals nicht als wir nach dem Zweiten Weltkrieg die Gartenstadt gebaut haben. Frauen hatten wir keine im Büro, nur zwei Fräulein für die Buchhaltung und das Telefon. Wahrscheinlich hatte Martin Eicher ein schlechtes Gewissen, dass er mir das Buch schickte, denn für ihren ersten Beitrag hat ASA meine vier Reihen an der Heerenwiese in Schwamendingen abgerissen. Schmucke, zweistöckige Riegel, Balkone, viel Grün. Ich hatte Freude, dass er an mich dachte. Denn das passiert unsereins, die wir den Alltag gebaut haben, ja selten, wenn wir abgebrochen werden. Ich habe nichts dagegen dass mein Werk aus der Welt ist, denn ein Sozialdemokrat meiner Generation ist für den Fortschritt. Aber oft ist es ja so, dass die Nachgeborenen unsere Häuser abreissen, und statt ihnen dann Beiträge aufstellen, Marken platzieren und Lärm machen statt Häuser.

Heerenwiese, Schwamendingen

Die neuen Herrenwiese von ASA in Zürich-Schwamendingen.

So machte ich mich unterwegs. Herrgott wie schnell man heute mit dem Siebner in Schwamendingen ist, zu meiner Zeit fuhren die meisten mit dem Velo, Heerscharen am Morgen in die Fabrik und am Abend zurück wie in China. Und schon stehe ich staunend vor den grossen Ziegelmocken an der Heerenwiese, wo ich 1946 meine vier Zeilen hingestellt habe. Statt zweigeschossig wie mein Haus, ist der Beitrag nun fünf Geschosse hoch, statt Zeilen mit Wiese ein Blockrand wie im Kreis Vier, aber edler. Das wollten wir nicht, denn wir waren als Sozialisten auch Idylliker und wollten dem Arbeiter in der Gartenstadt Luft, Licht und Landschaft geben. All die Emigranten aus der Innerschweiz und dem Kanton Graubünden sollten ländlich sittlich wohnen können. Ich kenne deren encarschadetgna, deren Heimweh, ja gut, denn in Sedrun, Rabius und Sumvitg  habe ich die Schulhäuser gebaut. Doch ich muss sagen Blockrand ist heute nicht mehr, was er einst war. Kein Vergleich zu den Blockrändern von Stuttgart, wo ich lebte, bis ich vor den Nazis 1935 nach Zürich fliehen musste. Der Blockrand war ja oft nichts als eine Profitmaschine, in deren Innenhof noch einer und noch einer gestellt worden ist. Das machte ASA nun natürlich ganz anders – luftig, weit, frei. Mit schönem Garten. Aber ohne Gemüse. Ich weiss ja nicht, wie lange ihr die Verdichtungsideologen und Zinslipicker noch bändigen könnt. Sie werden sich daran machen, Eure Höfe aufzufüllen. Mit Eurer grossen Form ist unsere Gartenstadt ein gediegen urbanes Stück Stadt geworden. Wir wollten das nicht, wir wollten ländlichen Charme in der Nähe der Stadt. Der Enkel meiner Sekretärin heisst Werner Huber. Er arbeitet bei der Zeitschrift Hochparterre und wird in bald sein grosses Buch über Zürichs Architektur herausgeben, ich werde ihm einen Stein in den Garten werfen, damit euer Haus auch erscheint. Ihr seht ich bin nicht beleidigt, dass ihr mein Werk abgerissen habt, eures ist grad so gut.

Staudenbühl, Seebach

Staudenbühl, Zürich-Seebach

Vom Schwamendingerplatz spazierte ich in einer Dreiviertelstunde zu Fuss nach Seebach auf den Staudenbühl. Dort wo die Markus-Kirche von Albert Heinrich Steiner steht. Der Stadtbaumeister meiner Zeit konnte nicht nur Gartenstadt von hinten nach vorne und umgekehrt buchstabieren, er konnte auch ausserordentliche Häuser entwerfen. So diese Kirche. Unterwegs dachte ich – 12 Jahre habt ihr geplant und gebaut, bis Eure drei Beiträge fertig waren. Ich habe innert zwei Jahre für die Zürcher Genossenschaften und andere Siedlungen in der Friedacker-, Stein-, Hallwyl-, Schimmel-, Verena-Conzett-, Dufour-, Werdstrasse und im Beustweg gebaut. In drei Jahren dreimal soviel Wohnungen wie ihr in zwölf. Und mit dem Stadtbaumeister Steiner oben dran war das auch nicht immer einfach, denn der hatte glasklare Vorstellungen von gut und schlecht. Aber ich musste mich ja auch nicht mit Minergie A, Plus und Passiv herumschlagen, mit Verkehrskonzepten plagen und über Bewohnerpartizipation ärgern. 18 Varianten habt ihr studiert, bis ihr die L gefunden habt, mit denen ihr in Schwamendingen meinen Zeilen ans Leder ginget. In der dafür nötigen Zeit haben wir gezeichnet, die Gewobag hat mit Albert Lück einen guten Handel gemacht und schon war das Tännchen auf dem First. 

Ob Martin Eicher das Buch auch Fredi Sauter und Noldi Dirler geschickt hat? Die zwei sind sicher heikler als ich. Kaum hatten sie ihr Büro geründet, waren sie Platzhirsche. 13 000 Wohnungen sollen sie gebaut haben. Am Staudenbühl 1948 acht Zeilen in meiner Art. Gartenstadt mit Pflanzgärten für die Arbeiter. Auch Sauter & Dirlers 89 Wohnungen habt ihr abgeräumt. Dafür stehen nun acht fast quadratische Klötze mit 100 Wohnungen nobel in einen Park gestreut. Auch da muss ich sagen – bravo. Zu Recht heisst das «S» in Eurem schwedisch anmutenden Namen Siedlungsplanung. Ihr wollt, dass das Ganze mehr ist als die Summe der einzelnen Teile. So wie die Postordnung, die Stadtbaumeister Steiner uns vorgelesen hat: Nachbarschaften zu Stadtschaften weiter entwickeln, keine Additionen bauen, sondern das Ganze denken. Amen, sagte ich ihm ab und zu, wenn ich an meine  Baukommissionen dachte, die jeden Rappen umdrehen mussten und gerne einen Riegel mehr aufs Grundstück gestellt hätten. Euer Staudenbühl zeigt, dass die Genossenschaftsrappen dicker geworden sind. Gut, wenn auch ausserhalb der Profitschere so gebaut wird, dass alle am kulturellen Fortschritt teilhaben können. Dieser selbstbewusste Auftritt der Arbeiterschaft in den drei neuen Siedlungen, pardon in den drei Beiträgen, ist eindrücklich. Es geht Euch gut in Zürich heute, sehe ich. Flott so.

Langgrütstrasse, Albisrieden

An der Langgrütstrasse in Zürich-Albisrieden.

Unterwegs mit Bus und Tram nach Albisrieden zum dritten Beitrag denke ich: Ich komme aus der Zeit, wo eine 4 ½ Zimmer Wohnung 75 m2 mass. Eure Zeit macht daraus 128 m2 plus 20 m2 Balkon. Viel redet ihr von Verdichtung, ich muss schmunzeln. Wenn das mehr sein soll als Propaganda, dann verdichtet nicht nur Aussen- und Lufträume, sondern verdichtet Eure Ansprüche an die Welt. 75 m2 für 4 ½ Zimmer – so könntet ihr Eure Städte luftig halten, die Landschaften ausserhalb besser schützen. Ihr brauchtet weniger Material, weniger Möbel, weniger Heizung und hättet erst noch mehr Nähe zueinander. Und hättet dennoch Platz für viel mehr Leute. Und wenn wir grad beim Schmunzeln sind. Ich stieg in den Untergrund Eurer Häuser, hei, dieser Tiefbau, diese Raum- und Geldverschwendung für die Automobile, noch viel mehr pro Kopf als die m2 Wohnraum haben sie zugenommen seit 1948. Und steige ich aus den gigantischen Kellern auf die lieblichen Wege, Plätze und Wiesen um die acht Klötze, sage ich: Nennt diese lieblichen Aussenräume nie mehr verkehrsfrei, nennt sie verkehrsverdrängt. Mit teurem Ablass bezahlt ihr Euer schlechtes Gewissen. 

An der Langgrütstrasse in Albisrieden habe ich auch gebaut. Ich fand meine Häuser nicht grad und dachte – ha, auch fort und weg. Ein langer Ziegelriegel steht der Strasse nach – stolz und selbstbewusst im Auftritt fast wie der Karl-Marx-Hof in Wien. Nur ohne Aufmarschplatz. Hinten im Hof dann meine Beiträge fürs Zürich von 1958. Grosszügigere Häuser als in Schwamendingen. Man leistete sich schon mehr als grad nach dem Krieg. Im Buch, das mir Martin Eicher geschickt hat, las ich dann, dass die Architekten meine Beiträge für ihren schon hätten abreissen wollen, aber es gibt ja auch noch den Bauherren in unserem Beruf. Die Genossenschaft entschied, dass ihre fünf Albisrieder Siedlungen bestehen bleiben sollten, weil auch Menschen mit kleinen Einkommen, wohnen dürfen. So hat man saniert, nicht die ASA tat dies. Mit dem Friedrich-Ebert-Haus in Stuttgart, mit dem SMUV-Haus in Bern, aber auch mit den Schulhäusern in den Bergen Graubündens habe ich gezeigt, dass ich baukünstlerische Ansprüche habe. Die gab ich immer auch meinen vielen Wohnungsbauten für die Genossenschaften mit: Geschwungene Metallgeländer, verglaste Treppenhäuser, plastisch starke Balkone, schön geschreinerte Türen und natürlich stimmige Volumen. Vor meinen Häusern im Hof stehend, die von ASA nebenan und im Rücken, dachte ich – die Genossenschafter hätten mein Werk gescheiter abgebrochen und etwas Rechtes hingestellt als die Dächer zu erhöhen, Lukarnen aufzusetzen und die Häuser in Dämmung einzupacken, so dass die einst schlanken Körper aussehen wie Pirelli-Männchen. Ich weiss ja nicht, wie ihr heute rechnet, aber ich bin nicht sicher, ob solches Umbauen günstigere Wohnungen macht. Bessere aber nicht, ich jedenfalls wohnte lieber im Attikageschoss von ASA als im ausgebauten Dach von mir. 

Ode an den Ziegel

Als ich das Buch ausgepackt hatte, überflog ich die Rechtfertigungen, warum und wie die Nachgeborenen unsere Gartenstadt traktieren, wie sie Beiträge in «das Muster der Stadt einweben» als wären sie Textilingenieure und so «homogene Stadtschaften vereinigen» als wären sie Sozialarbeiterinnen. Alles klug, gut und recht. Ich studiere das all das erst später. Ich habe Zimmermann gelernt und dann Architekt. Mich fesselte das Konstruktive. Mir fiel grad auf, welche strahlende Bedeutung in den drei Bauten der Ziegelstein hat. Und im Buch habe ich zu diesem Material viel gelernt bis dahin dass die Ziegelbrenner die Backsteine für die Fassaden mit 1250 Grad brennen – vom Keller aus Pfungen holten wir schon die Ziegel. Aber es war undenkbar, mit ihnen Fassaden zu bauen, viel zu teuer. Mir gefällt, wie die Arbeiterschaft nicht nur am materiellen sondern auch am kulturellen Fortschritt ihren Teil erkämpft. Und dieses Ziegelbauen in allen drei Siedlungen ist nicht nur konstruktiv spannend, sondern auch kulturell. Auch die ASA selbstbewusste Ziegelkunst zeigt der ASA weiss, wie man Bauschönheit buchstabiert. Eindrücklich, wie sie es können und eindrücklich, wie sie Gewobag gewonnen haben, die dafür nötigen Rappen herauszurücken. Denn gute Rechner waren die Genossenschafter schon zu meiner Zeit – sie werden es wohl nicht verlernt haben. 

Und so danke ich für das Buchgeschenk. Wäre nicht nötig gewesen. Schlechtes Gewissen müsst ihr 30 Asatinnen, Asaten und Gewobagner nicht haben, weil ihr meine Häuser abgebrochen habt. Was statt ihnen nun dasteht, ist gewiss flott und recht geraten. Und wie ihr es in ein schönes Buch gepackt hat, gefällt mir gut. Ich verneige mich.
 

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Kommentare

Andreas Konrad 15.04.2019 20:30
Schöne Materialien, liebevolle Details - der gute, alte Zürcher Arbeiter-Klassizismus ! Einzig die grässlichen Alu-Fensterrahmen sind wieder mal zürchertypisch viel zu dick und ungelenk geraten - sie passen so gar nicht zu der sonst ausgetüftelten, feinen Gestaltung.
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