Ernst Gisel sprach über seine Bauten zu uns, nicht mit Worten. Fotos: gta Archiv / ETH Zürich, Fritz Maurer

Ernst Gisel (1922-2021)

Ernst Gisel verstarb kurz vor seinem 99. Geburtstag, am 6. Mai. Warum passt das Werk des grossen Zürcher Architekten in keine Schublade? Ein Nachruf seines ehemaligen Mitarbeiters Arno Lederer.

Rigi Kaltbad heißt der kleine Ort auf dem Bergmassiv über dem Vierwaldstättersee. Wer mit der Bahn, seil- oder zahnradgeführt ankommt, den erwartet eine atemberaubende Aussicht auf den See und die ihn umgebenden Gebirgszüge. Dort oben gibt es ein mondänes Bad, Hotels und ein paar Ferienhäuser. Gäste, die den Blick ins Tal genießen wollen, verlassen die Station nach Osten, das Panorama zur rechten Hand im Blick. Nicht weit vom Ausgangspunkt, unmittelbar am Abhang, gelangt man zu einer kleinen Kirche. Weisser, grob verputzter Sockel, darüber der Baukörper aus Holz, das Dach einmal zum Tal geneigt, ein anderer, kleinerer Teil, ragt in gegenläufiger Bewegung steil über den Sakralbau hinaus. Dort eine Öffnung, die den Blick auf die Kirchenglocke freigibt. ###Media_2### Hinter der geschlossenen Form des Hauses mit seinen Rundungen und der markanten Form des Daches meint man eine kleine Plastik aus Ton oder Gips zu erkennen, perfekt und harmonisch modelliert. Das eigentliche Volumen ist Teil des steilen Hanges, die knappe, ebene Fläche davor wirkt wie ein Kirchplatz in minimalsten Massen. Deckelschalung aus auffallend kräftigen Brettern, das grob verputze Mauerwerk wie aus den Händen des ländlichen Baumeisters, die Skulptur aus jenen eines Bildhauers, das Kirchplätzchen aus dem Gefühl und Wissen, wie sich Menschen im öffentlichen Raum begegnen wollen. Man fühlt sich an Alberti erinnert, der meinte, Handwerk, Kunst und Bildung seien die unabdingbaren Voraussetzungen für einen, der ein guter Architekt sein will. Gerundete Wände leiten die Kirchenbesucher über eine zweiläufige Treppe auf die untere Ebene. Warum verwehrt uns der Architekt den Blick ins Tal? An Stelle einer großen Öffnung ist es eine Holzwand, die den Raum zum Tal hin abschliesst. Von links fällt hier Licht ein, das durch das Holz weich gefärbt wird. Ein Gefühl von Geborgenheit lässt einen zur Ruhe...
Ernst Gisel (1922-2021)

Ernst Gisel verstarb kurz vor seinem 99. Geburtstag, am 6. Mai. Warum passt das Werk des grossen Zürcher Architekten in keine Schublade? Ein Nachruf seines ehemaligen Mitarbeiters Arno Lederer.

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