Drei Tiere und ein Saal

Die Architektin Tilla Theus hat die bestehenden Gasthäuser Ochsen und Adler, das neue Haus Wolf und den neuen Saal zu einem starken Ensemble zusammengefügt.

Fotos: Luca Zanier
In Zusammenarbeit mit Hotel Caspar und Tilla Theus Partner

Die Architektin Tilla Theus hat die bestehenden Gasthäuser Ochsen und Adler, das neue Haus Wolf und den neuen Saal zu einem starken Ensemble zusammengefügt.

Die Auseinandersetzung mit bestehender Bausubstanz, das sorgfältig austarierte Gleichgewicht zwischen Alt und Neu sind Themen, die die Architektin Tilla Theus seit den Anfängen ihrer Berufskarriere beschäftigen. Spätestens der Umbau von acht Zürcher Altstadthäusern zum Hotel Widder machte Tilla Theus 1995 als Fachfrau für gepflegte Restaurant- und Hotelbauten bekannt.

Nun reihen sich drei weitere Tiere in die lange Werkliste der Architektin ein: der ‹Ochsen›, der ‹Wolf› und der ‹Adler› im aargauischen Muri. Doch bereits die Bezeichnungen der einzelnen Teile des ‹Drei-Häuser-Hotels› enthalten ein zweideutiges Augenzwinkern: Mit dem Wolf ist nämlich nicht der mit dem Hund verwandte Canis lupus gemeint, sondern der Maler Caspar Goar Wolf. 1735 in Muri geboren, wurde er bis zu seinem Tod 1783 in Heidelberg zu einem der wichtigsten Schweizer Maler seiner Zeit und zum Pionier der Hochgebirgsmalerei. Der ‹Ochsen› und der ‹Adler› setzen eine jahrhundertealte Tradition als Gasthäuser vor den Toren des Klosters Muri fort. Der ‹Wolf› hingegen ist ein Neubau, der ebenfalls auf das Kloster verweist, denn dort ist das Werk des Landschaftsmalers ausgestellt. Solche vielfältigen Bezüge hat Tilla Theus zu einem feinen Netz gesponnen, das alle Teile des neuen Ensembles subtil – einmal sichtbarer, das andere mal diskreter – miteinander verbindet.

An der Strasse steht der ‹Ochsen›, daran angebaut sind der Saal und der Neubau.

Die drei Häuser des Hotels Caspar sind in ein Geviert zwischen der Seetalstrasse, der Marktstrasse und der Caspar-Wolf-Strasse eingestreut. Als vierter Teil des Ensembles verbindet ein neuer Saal den ‹Ochsen› mit dem ‹Wolf›. Der ‹Adler› steht etwas abseits, ist aber unterirdisch über eine bestehende Tiefgarage mit den anderen Häusern verbunden. Ausgangspunkt der Planungen war der ‹Ochsen› mit seinen An- und Nebenbauten. Dem damaligen Wirt schwebte ein Hotel vor wie der ‹Widder› in Zürich, allerdings als Dreisternehaus und auf Muri zugeschnitten. Erst später stiess der ‹Adler› zum Projekt.

 

Die Spuren der Zeit im ‹Ochsen›
Ein Blickfang am stattlichen Haus an der Seetalstrasse ist das schmiedeeiserne Wirtshausschild von 1760. Strassenseitig ist der ‹Ochsen› mit dem Nachbarhaus zusammengebaut und fügt sich unauffällig in die Häuserzeile ein. An der Schmalseite jedoch verweist das eindrückliche Segmentgiebelportal auf die besondere Bedeutung des Gebäudes. Nach wie vor betritt man das Gasthaus durch den zentralen Eingang an der Strasse. Blickfang sind hier der ‹Center Table›, ein grosser gemeinschaftlicher Tisch, sowie die dahinterliegende offene Küche mit grossem Grill. Rechts und links befinden sich die beiden als Stuben gestalteten Gasträume.

Die Wandpaneele im rechten Teil des Restaurants sind neu gestaltet.

Wie stark die Wirtefamilie das Haus in den vorangegangenen Jahrzehnten umgebaut hat, ist heute nicht mehr sichtbar. Alles wirkt selbstverständlich und wie aus einem Guss. Doch längst nicht alles ist neu, denn Tilla Theus hat etliche Bauteile übernommen. So kleidet nach wie vor das 1947 aus billigem Furnier gefügte Täfer den linken Teil des Gastraums aus. Eine Schablonenmalerei im Bronzeton mit Motiven einer entdeckten Tapete verwischt die Spuren der Zeit und veredelt Täfer und Raum. Auch die aus den 1980er-Jahren stammende Rasterdecke ist noch vorhanden, sie ist einfach vom einen in den anderen Gastraum umgezogen.

Eine Schablonenmalerei veredelt das Wandtäfer im linken Teil des Restaurants.

Im ersten Stock gibt es im ‹Ochsen› zwei Sitzungszimmer, darüber liegen die Hotelzimmer. Angesichts der knappen Platzverhältnisse fanden in diesem Haus nur gerade vier Zimmer Platz. Dafür erstreckt sich jedes über zwei Geschosse: Unten stehen den Gästen ein kleiner Aufenthaltsbereich und das Bad zur Verfügung, geschlafen wird auf der Galerie. Weisse Wände und Decken zeichnen die Formen des Dachstuhls nach. Dazu kontrastieren der Parkettboden und die Treppe aus schwarzem Stahl. Hoch liegende Lukarnen bringen Licht in die Tiefe der Räume und schaffen eng begrenzte Ausblicke.

Doppelgeschossiges Zimmer im ‹Ochsen› mit dem Wohnbereich auf der unteren Ebene.

 

Die Willkommensgeste im ‹Wolf›
Ein enger Verwandter des Murianer ‹Ochsens› ist der benachbarte ‹Wolf›. Dieser Neubau entstand anstelle eines baufälligen zweistöckigen Vorgängerhauses. Die Verwandtschaft zum Nachbarn hat Tilla Theus nicht mit einer simplen Übernahme von Formen oder Farben hergestellt, sondern sie hat dem ‹Ochsen› einen eigenständigen jüngeren Kollegen zur Seite gestellt. Sie nahm einzelne Elemente der Ochsen-DNA auf und setzte sie in zeitgemässen Formen um. So ist der Neubau ebenfalls ein dreigeschossiges Volumen mit grossem Giebeldach und muralem Charakter. Auch die Lage der Öffnungen in der Fassade und die Fensterformate orientieren sich am benachbarten Altbau. Die Stirnseite ist zwar nicht mit einem Segmentgiebel geschmückt, dennoch haben die Architekten sie besonders ausgezeichnet: Ein leichter Knick in der Fassadenachse und ein leicht nach vorne geneigter Giebel erzeugen als Willkommensgeste einen kleinen Vorplatz beim Eingang. «Der Wolf streckt zwei Pfoten aus und neigt auch den Kopf zum Gast», freut sich Tilla Theus.

Der ‹Wolf› empfängt die Gäste mit einer leicht geneigten Giebelfassade und den markanten Fensterläden.

Normale Fensterläden wären an dem Haus seltsam gewesen, meint sie, und Rollläden hätten ärmlich gewirkt. Also liess sie sich von den Laibungsläden inspirieren, wie man sie im Tessin oder in Italien findet – dort allerdings meist im Innern. Hier erzeugen sie an den mit einem Besenstrich verputzten Fassaden ein lebendiges Bild und stellen ebenso eine Verbindung zum ‹Ochsen› her wie die schmalen Lukarnen auf dem Dach.

Im Gegensatz zu den beiden anderen Häusern gibt es im ‹Wolf› keine Gastronomie; er ist ausschliesslich Hotel. Die Struktur ist einfach: Die Treppe liegt an der einen Längsseite, flankiert von zwei kurzen Korridoren, die die Zimmer erschliessen. Es gibt drei Gestaltungstypen, die sich vor allem farblich voneinander unterscheiden. Die Farben in den nur morgens besonnten östlichen Zimmern sind wärmer als jene in den westlichen Zimmern, die länger vom Sonnenlicht profitieren. Die Materialisierung ist ähnlich wie im ‹Ochsen›: Parkettboden, weisse Wände und Decken. Die Bäder sind hier, im Neubau, moderner gestaltet als im Altbau. Eine Besonderheit ist die Hochzeitssuite im Dachgeschoss mit frei stehender Badewanne. Für Hochzeitsgesellschaften ist das Hotel Caspar prädestiniert, spannt sich doch zwischen dem ‹Ochsen› und dem ‹Wolf› ein grosser Saal auf.

 

Das hölzerne Zelt des Saals
Der neue Saal ist Herzstück und Lebenselixier des ‹Drei-Häuser-Hotels›. Sein grosses, mehrfach gefaltetes Dach verbindet den ‹Ochsen› mit dem ‹Wolf›. Unter den mit Metallschindeln gedeckten Dachflächen verbirgt sich jedoch nicht nur der vielfältig nutzbare Saal, sondern auch das langgestreckte Foyer – das gleichzeitig Verbindungsgang ist – sowie die Treppe und der Lift des ‹Ochsens›. Ein inzwischen abgebrochenes Nachbarhaus inspirierte Tilla Theus zum doppelgiebeligen Dach. Dieses liegt wie ein grosses Faltwerk über dem im Verhältnis zur Länge eher breiten Saal. Die Giebel ziehen ihn in die Länge und schaffen so bessere Proportionen.

Der Saal mit seiner gefalteten Holzdecke ist das Herz des Hotels.

In der für sie typischen Akribie hat Tilla Theus für die Decke eine Oberfläche gesucht, die die Idee der Flächigkeit unterstützt. Schliesslich entwickelten die Architekten eine hölzerne Struktur aus CNC-gesägten Holzstäben. Diese hat der Schreiner so zu einem Positiv-Negativ-Muster zusammengefügt, dass kein Abfallholz entstanden ist. In der gleichen Art sind auch die Giebelwände ausgebildet, und vor den verglasten Seitenwänden schützen vorhangartige Paneele aus den gleichen Holzstäben den Raum vor Licht und Einblick. Sämtliche Öffnungen in den Holzoberflächen sind als kaum sichtbare Tapetentüren ausgestaltet. Wie bei etlichen von Tilla Theus’ Bauten erhellen grosse Spiegel, an denen das Strahlerlicht reflektiert, den Raum.

Die Platzverhältnisse waren knapp. Die Erschliessung im ‹Ochsen› und Nebenräume verkürzten den Saal, sodass das Foyer als schmaler Streifen ausgebildet ist. Es öffnet sich zum Vorplatz, von dem aus ein paar Stufen auf die Caspar-Wolf-Gasse führen. Hier hat das ‹Drei-Häuser-Hotel› seinen Aussenraum.

 

Die Überraschung im ‹Adler›
Der ‹Adler› stiess erst im Lauf der Planungsarbeiten zum Projekt dazu. Auch dieses Haus kann auf eine jahrhundertelange Tradition zurückblicken. Allerdings hatten ihm zahlreiche Umbauten arg zugesetzt, insbesondere eine teilweise Auskernung in den 1990er-Jahren. Sondierungen förderten bis zu drei Balkenlagen zutage. Die Fassade war mit Giebeln ergänzt und mit angeklebten Fensterschalungen verunstaltet worden. Das Vorgehen schien anfänglich klar: Auskernung!

Der ‹Adler› mit dem angebauten Wintergarten.

Doch diesen Plänen machte die Geschichte einen Strich durch die Rechnung. Bei den Abbrucharbeiten kamen nämlich im ersten Stock Malereien zum Vorschein, die Bauleiter Heinz Grimm und Projektleiter Holger Widmann innehalten liessen. Schon am nächsten Tag war die Denkmalpflege vor Ort. «Und dann fing die Umplanung an!», blickt Tilla Theus auf diesen Moment zurück. Die dekorativen Malereien in Grau, Weiss und Schwarz – Grisaillen – erstrecken sich über die Wände und Decken von zwei Räumen im nördlichen Teil des Hauses. An der Decke schmücken s-Linien und Tupfen die Balken und Schlangenlinien oder Blumen die dazwischenliegenden Bretter.

Auf dem fragmentarisch erhaltenen Wandputz gibt es Reste von mindestens sechs Kartuschen mit Schulterbogen, die eine Vase mit Blumen umrahmen. In den Vasen stehen Tulpenköpfe, Blätterwerk und ein Stock mit einem Vogel. Die Denkmalpflege geht davon aus, dass diese Malereien im ‹Adler› aus der Bauzeit stammen, also etwa ab 1692. Für das Umbauprojekt bedeutete diese Entdeckung, dass die alten Balken über dem Erd- und dem ersten Obergeschoss erhalten bleiben mussten. Anstelle der hier vorgesehenen zwei Zimmer planten die Architekten nun eine Suite ein und liessen die Deckenmalereien ergänzen. Vor über dreihundert Jahren hatten die Handwerker zunächst die ganze Decke hell gestrichen und dann die Motive aufgetragen. Dies heute ebenso zu machen, wäre aber eine Fälschung gewesen. Also wählte man einen anderen Weg: Der helle Anstrich wurde nicht vollflächig aufgetragen, sondern so, dass die Motive als ‹Fehlstellen› frei blieben. Was bei der Originaldecke die dunklen Pinselstriche sind, ist bei den ergänzten Partien die dunkle Holzoberfläche.

Die Räume mit den historischen Malereien im ‹Adler› beherbergen eine Suite.

Die Grundstruktur des Hauses mit einem von Fassade zu Fassade durchgehenden Mittelgang blieb erhalten. Daran aufgereiht sind die Hotelzimmer. Trotz der grossen Eingriffe, die im ‹Adler› nötig waren, stellen die neuen Teile einen Bezug zum Alten her. Das hölzerne Treppengeländer etwa hat die gedrechselten Stäbe des alten Geländers zum Vorbild, entspricht aber den heutigen Normen. Und für die Tische und Ablagen in den Hotelzimmern entwarf Projektleiter Holger Widmann markante gedrechselte Holzbeine, die einen marmorartigen Anstrich erhielten und sich so mit den marmornen Ablageflächen vereinen.

 

Die lustvollen Spielereien der Tilla Theus
In der Gaststube im ‹Adler› mussten die Lasten der darüberliegenden Korridorwände abgefangen werden. Das statische Konzept ist einfach: Unterzüge mit Stützen. Die Umsetzung ist jedoch verspielt. Hatte Tilla Theus seinerzeit in der Bar des Hotels Widder in Zürich den Betonunterzug mit Widderhörnern verziert, nahm sie sich hier den Adler zum Vorbild. Aus Faserbeton geformte Adlerschwingen leiten als Kapitelle die Kräfte in die Stützen. Der Gastraum – erweitert durch einen lichten Wintergarten – dient auch als Hotelréception. Auf die Wände liess die Architektin vergrösserte Ausschnitte aus Gemälden von Caspar Wolf aufbringen, womit sich der Kreis zum Daseinsgrund des ‹Drei-Häuser-Hotels Caspar› schliesst. Doch zu direkt sollte es dann doch nicht sein. Trotz anfänglichen Zweifeln der Bauherrschaft, aber auch des Projektleiters Holger Widmann, liess die Architektin ein grossformatiges Punktmuster auf die Bilder aufbringen. «Aller jusqu’au bout» – bis ans Ende gehen! Das ist die Arbeitsweise von Tilla Theus.

Erdgeschoss mit ‹Ochsen› (unten), anschliessendem Saal und ‹Wolf› sowie dem ‹Adler› rechts oben.

2. Obergeschoss

 

Dieser Artikel stammt aus dem Hochparterre-Themenheft «Zu Gast bei Caspar». Es stellt auf 36 Seiten das Hotel vor, das mitten in Muri im Aargauer Freiamt steht. Das Hotel besteht aus drei Häusern: Der ‹Ochsen› und der ‹Adler› sind seit Jahrhunderten gastliche Orte in der Gemeinde. Neu dazugekommen sind der ‹Wolf› und ein Saal. Das Heft stellt die Gebäude vor, spürt den Entwurfsgedanken der Architektin Tilla Theus und ihres Teams nach und wirft einen besonderen Blick auf die denkmalpflegerischen Aspekte. Bestellen Sie hier das Themenheft im Webshop oder lesen Sie es kostenlos als E-Paper.

Themenheft ‹Zu Gast bei Caspar›.

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