Die Verdorfung der Stadt

Zürich wird immer kontrollierter und angepasster. Doch Städte leben von der Vielfalt und vom Ungeplanten. Ein Plädoyer für mehr urbanen Mut.

Fotos: Tomas Fryscak (Illustration)

Zürich wird immer kontrollierter und angepasster. Doch Städte leben von der Vielfalt und vom Ungeplanten. Ein Plädoyer für mehr urbanen Mut.

Zürich wächst und wächst, wird höher, dichter, urbaner. Doch statt grossstädtischer wird das Denken zwischen den Häusern oft kleingeistiger. Mit jedem Jahrzehnt entwickelt sich die Limmatstadt etwas mehr vom chaotischen Gewusel zum geordneten, regulierten, gesäuberten Idyll. Mit anderen Worten: Die Stadt wird immer mehr zum Dorf. Das ist gut gemeint und beseitigt oft Missstände. Und nein, früher war nicht alles besser. Zürich war ärmer, ungerechter, schmutziger, lauter, rauer, widersprüchlicher und dichter bewohnt. Aber die Verdorfung macht die Stadt auch langweiliger und intoleranter. Die Haltung: Alles, was die eigene Lebenswelt stört, muss verschwinden. Das Phänomen der verdorften Stadt lässt sich vielerorts beobachten. Doch in Zürich ist es besonders ausgeprägt. Dafür sorgt eine Mischung aus progressiver Politik, sprudelnden Steuereinnahmen, Gentrifizierungsdruck, Regulierungslust und zwinglianischer Provinzialität. Bern fehlt dafür das Steuersubstrat, Basel funktioniert trinational und darum offener, Genf hat schon immer grossstädtischer gedacht. Zürich ist ein urbanes Paradies. Die penible Ordnung und die kuratierte Planung sind mit ein Grund dafür, dass Zürich regelmässig zu den lebenswertesten Städten der Welt gezählt wird. Aber man kann es auch übertreiben. Planen darf nicht in Bevormundung münden. Das Spontane hat auch einen Wert. Lastenfahrrad statt Auto In der Stadt werde jeder auf seine Art und Weise glücklich, hiess es früher. In Zürich wird der Spielraum für das eigene Glück stetig kleiner. Das Rauchverbot ist ein Segen für alle. Dass man im Tram bitte nicht musizieren soll, kann man noch verstehen. Doch wenn das Telefon beim Ombudsmann der Verkehrsbetriebe klingelt, sobald jemand im Bus ein Sandwich isst, zeugt das von einem neuen Starrsinn. Am deutlichsten zeigt er sich beim Verkehr: Das Auto soll weitgehend aus der Stadt verbannt ...

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