Interdisziplinärer Dialog: der Landschaftsarchitekt Martin Keller (links) und der Ingenieur Max Bösch. Foto: Anne Morgenstern Fotos: Sophie Stieger

«Kein Gärtchen, kein Chichi»

Der bronzene Hase geht an den Schwemmholzrechen in der Sihl von Égü Landschaftsarchitekten. Er ist das Resultat des Dialogs zwischen Ingenieurwesen und Landschaftsarchitektur.

Nach dem Unwetter von 2005 verbesserte der Kanton Zürich seinen Hochwasserschutz. Dazu gehörte der Bau eines Schwemmholzrechens in der Sihl. 2014 empfahlen die Mitglieder der Natur- und Heimatschutzkommission des Kantons, die das Projekt begutachteten, den Beizug eines Landschaftsarchitekten. Beauftragt wurde Martin Keller. Aus dem Dialog mit dem Ingenieur Max Bösch, der das Projekt im Auftrag der Baudirektion des Kantons leitete, entstand eine Kunstbaute, die das Wort Kunst auch tatsächlich verdient.

Der 350 Meter lange Schwemmholzrechen in der Sihl ist das Resultat eines landschaftsarchitektonischen Blicks auf einen Infrastrukturbau.

Ein Schwemmholzrechen klingt nicht gerade nach einer attraktiven Gestaltungsaufgabe. Was faszinierte Sie daran?
Martin Keller: Die Dimensionen – das ist Landschaftsarchitektur im Sinne des Wortes! Kein Gärtchen, kein Chichi. Beim Schwemmholzrechen überlagern sich die unterschiedlichsten Ansprüche. Ein 350 Meter langes Bauwerk in die Landschaft einzufügen, ist eine grosse und spannende Aufgabe. Bei Projekten dieser Art liegt für Landschaftsarchitekten ein grosses Aufgabenfeld brach.

Ingenieurtechnik und Gestaltung sind bei diesem Projekt eng verwoben. Wie kam es dazu?
Max Bösch: Das Projekt lag 2014 – nach knapp fünfjähriger Planung – fertig vor, als die Mitglieder der Natur- und Heimatschutzkommission des Kantons Zürich, die das Vorhaben begutachteten, den Beizug eines Landschaftsarchitekten anregten. Damit sollte den gestalterischen Aspekten der Einbettung der Kunstbaute in die Landschaft mehr Gewicht verliehen werden, denn der Schwemmholzrechen grenzt direkt an zwei Objekte aus dem Bundesinventar der Landschaften und Naturdenkmäler von nationaler Bedeutung.

Sie mussten in ein fertiges Projekt und in ein bestehendes Team einsteigen. Ging das gut?
Martin Keller: In den ersten Sitzungen musste ich meine Arbeit unter Beweis stellen. Die Frage, was «das bisschen Gestaltung» noch bewirken könne, stand unübersehbar im Raum. Bald hat sich aber eine sehr gute Zusammenarbeit entwickelt, und beide Seiten erkannten, dass sich die Disziplinen Landschaftsarchitektur und Ingenieurwesen ideal ergänzen können. Ich brachte meine Ideen ein, sie wurden aufgenommen, und ich konnte sie weiterentwickeln. Einige wurden allerdings auch haushoch verworfen.

Welche?
Martin Keller: Ich hatte etwa die Idee eines überdimensionierten Xylophons: Die in ihrem Innern unterschiedlich hoch mit Beton gefüllten Stahlpfosten hätten, wenn Schwemmholz dagegen geprallt wäre, verschiedene Töne erzeugt. Die unterschiedliche Füllhöhe sei aus statischen Gründen völlig sinnlos, meinten die Ingenieure (lacht).

Ein Rechen, der parallel zum Fluss verläuft, ist eher unüblich. Wieso verläuft er in Fliessrichtung?
Max Bösch: Bei Rechen, die quer zum Flusslauf stehen, besteht Verstopfungsgefahr. Da die Sihl verhältnismässig viel Schwemmgut mitführt, haben wir uns für einen Parallelrechen entschieden. Damit dieser funktioniert, muss vieles stimmen: Der Platz für den Rückhalteraum muss da sein, der Flusslauf muss eine Kurve beschreiben et cetera. Wir haben 16 Standorte evaluiert, der Rütiboden erfüllte als einziger alle Anforderungen.

Jeder Stein sitzt am richtigen Platz: Handwerk und Gestaltung.

Welche gestalterischen Themen liegen dem Entwurf zugrunde?
Martin Keller: Einerseits die Stromlinien des Wassers, andererseits die Bandstruktur des Sihltals: Bahnlinie, Strasse, Fluss und die bewaldeten Talflanken. Aus diesen parallelen und linearen Bewegungen habe ich das Gestaltungsprinzip entwickelt. Seine Umsetzung verlangte vor allem bei den Übergängen zwischen den einzelnen Abschnitten – also zwischen Ufer und Wehrschwelle, Längs-, Querrechen und wieder zum Ufer hin – Präzision und Sorgfalt. Dadurch, dass ich den Bau dieser Schlüsselelemente mit unterschiedlich grossen Quarzsandsteinblöcken vorsah, konnten dreidimensionale Formen mit hohem gestalterischen Anspruch entstehen.

Wie setzten die Arbeiter die anspruchsvollen Formen um?
Martin Keller: Die Equipe vor Ort – vom Polier bis zu den Arbeitern – war sehr motiviert. Hilfreich war auch, dass ich die Übergangsstellen in einem Modell gebaut hatte, das ich in der Baubaracke aufstellte. Die Arbeiter haben sich am Modell über die Detaillösungen Gedanken gemacht und sich so aktiv eingebracht.

Damit der Schwemmholzrechen im Notfall seine Dienste erfüllen kann, muss er getestet werden. Wie ging man da vor?
Max Bösch: Dafür haben wir intensiv mit der Versuchsanstalt für Wasserbau der ETH Zürich zusammengearbeitet. Die Forscher haben ein Modell im Massstab 1:40 gebaut, bei dem Wassermenge, Schwemmgut und so weiter reguliert werden konnte. Die Versuchsanordnung erlaubte es, das Projekt zu perfektionieren und verschiedene Hochwasserszenarien zu testen. Sie haben gezeigt, dass der Rechen bis zu 95 Prozent des Schwemmholzes in der Sihl sicher zurückhält.

Musste sich der Schwemmholzrechen schon bewähren?
Max Bösch: Die Feuertaufe steht noch aus. Bei Normalwasser liegt der Rückhalteraum trocken. Erst bei einem Hochwasser, das statistisch gesehen einmal pro Jahr zu erwarten ist, wird er überflutet. Das war seit der Einweihung 2017 zweimal der Fall. Schwemmgut wird sogar erst bei einem kritischen Hochwasser, das sich laut Statistik alle zehn Jahre ereignet, abgelagert. Nur ein sehr seltenes Extremhochwasser füllt den Rückhalteraum komplett.

Gibt es eine Fortsetzung der Zusammenarbeit?
Max Bösch: Im Herbst 2017 hat der Regierungsrat grünes Licht für die Projektierung eines Entlastungsstollens zwischen Langnau am Albis und Thalwil gegeben. Durch den zwei Kilometer langen Tunnel sollen Hochwasserspitzen der Sihl direkt in den Zürichsee abgeleitet werden. Bei der Gestaltung des Bauwerks an der Oberfläche wollen wir den bewährten Dialog zwischen Ingenieur und Landschaftsarchitekt fortsetzen.

Martin Keller hat seine Gestaltungsempfehlungen visualisiert. Die Skizzen zeigen Entwürfe für den Rückhalteraum...

...den Übergang vom Längs- zum Querrechen...

...oder zum Abschluss des Steinblockteppichs (unten).

 

Die Jury sagt:
Kunstvoller Ingenieurbau

Der Schwemmholzrechen in der Sihl schützt menschlichen Lebensraum – im direkten wie im weiteren, ästhetischen Sinn. Der Schutz unseres Lebensraums ist auch eine der Aufgaben der Landschaftsarchitektur. Die Gestaltung des Rechens ist das Resultat eines landschaftsarchitektonischen Blicks auf einen technischen Infrastrukturbau. Die Jury lobt, wie im Sihltal Ingenieurwesen, Ästhetik und Handwerk zusammenkommen. Mit grosser gestalterischer und handwerklicher Sorgfalt hat der Landschaftsarchitekt den Bruchsteinwall, die gegossenen Betonsockel und die eisernen Zinken zusammengebunden. Der Schwemmholzrechen zeigt: Ingenieurbauten und Landschaftsarchitektur frühzeitig zusammenzudenken, schafft einen Mehrwert für Mensch und Landschaftsbild.

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