Der Zürcher Think Tank ‹Dezentrum› will aus dem Pavillon von Jean Nouvel am Murtensee das erste Gebäude machen, das sich selbst verwaltet. Fotos: dezentrum.ch

Das Haus gehört sich selbst

Der Zürcher Think Tank ‹Dezentrum› plant das erste Gebäude, das sich mit Hilfe einer Blockchain selbst verwaltet. Die ‹trans›-Redaktion denkt mit.

Im September sorgte der Zürcher Think Tank ‹Dezentrum› für Aufsehen: Sein neues Projekt ‹no1s1› (‹no one’s one›) soll das erste Haus werden, das sich selber gehört. Der von Jean Nouvel erbaute Pavillon am Murtensee wurde ihnen in Zusammenarbeit mit der ZHdK und der Mercatorstiftung zur Verfügung gestellt. Die Idee dahinter ist folgende: Das Gebäude wird im Grundbuch einem ‹Smart Contract› (siehe unten) überschrieben, wodurch es in der Lage ist, sich selbst zu verwalten. Die auf einer Blockchain basierte Technologie, die heute vorwiegend zur dezentralen Abwicklung von Finanzgeschäften eingesetzt wird, ermöglicht nach dem gleichen Prinzip auch eine dezentrale Verwaltung von Gebäuden. Über den ‹Smart Contract› kann das Haus autonom Transaktionen tätigen, zum Beispiel Strom und Wasser beziehen oder eine Handwerkerin rufen.

‹Dezentrum› skizziert ein Szenario, in welchem das Gebäude so dem Immobilienmarkt entzogen wird, weil weder der Staat noch Privatpersonen Eigentumsansprüche stellen können. Da das besitzerlose Haus keinen Profit erwirtschaften muss, kann es kostendeckend vermietet werden. Über ein Interface kommuniziert und verhandelt es mit seinen Nutzerinnen und Nutzern. Ein Beispiel: Ich möchte einen Tai-Chi-Workshop anbieten und gehe zu ‹no1s1›, das mir einen Raum zur Verfügung stellt: «Falls du Umkleidekabinen und eine Bar brauchst, kann ich dir das gerne besorgen», sagt mir das Interface. «Ich wär einfach froh, wenn ihr danach aufräumt. Und natürlich müssen meine Kosten für Wasser und Strom gedeckt sein.» Ich bin einverstanden und unterzeichne den Vertrag.

‹Dezentrum› will Präzedenzfälle schaffen, um über mögliche Zukünfte zu verhandeln. Bei der Automatisierung wird vorwiegend an Administration gedacht, an Finanzgeschäfte und Mobilität. Bald wird der Diskurs aber die Architektur erreichen. Technologie, die autonom handelt, wirft ethische und rechtliche Fragen auf, die wir noch nicht beantworten können: Wie übernimmt ein Haus Verantwortung? Wo beschweren sich die Nachbarn, wenn es im Gebäude zu laut wird? Wer haftet, wenn ein Nutzer sich auf dem vereisten Gehweg das Bein bricht? Was, wenn der Raum illegale Aktionen genutzt? Hat das Gebäude eine programmierte Moral und wenn ja, welche?

Unser Rechtssystem ist nicht auf den Fall vorbereitet, dass nicht-menschliche Entitäten Rechtsansprüche stellen. Es kennt nur Unternehmen als juristisch anerkannte Subjekte. Dieses Verständnis vom handelnden Subjekt wird durch die Entwicklung künstlicher Intelligenz immer mehr in Frage gestellt, zum Beispiel bei der automatisierten Selektion durch Krankenkassen oder bei selbstfahrenden Autos, die Entscheidungen über Leben und Tod treffen müssen.

Der Diskurs über automatisiertes Handeln steht in der Architektur noch am Anfang. Jetzt ist der richtige Zeitpunkt im Rahmen von Projekten wie ‹no1s1› zu verhandeln, wie ein Einsatz autonom handelnder Technik in unserem Feld sinnvoll ist.

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