Woher kommst du, wohin gehst du?
Für ihre Projektarbeit reiste Adelina Lahr nach Palermo und fragte Menschen, warum sie reisen. Entstanden ist eine Publikation mit Zeichnungen und Zitaten.
Das Modul ‹Kult(o)ur – Wahrnehmung auf Reisen› hat mich sofort angesprochen, denn es beinhaltete eine zehntägige Reise nach Palermo. Reisen inspiriert mich und ich liebe es, neue Orte zeichnerisch zu erkunden, zum Beispiel in Form einer Reportage. Ich habe mir vorgenommen, ein Projekt zu machen, bei dem ich mit den Leuten reden muss und so meine Italienischkenntnisse üben kann.
In den Dokumentationen, die ich mir vor der Reise angeschaut habe, wird Palermo als multikulturelle Vorzeigestadt dargestellt, die viele geflüchtete Menschen aufnimmt. Für diese Offenheit steht auch das Restaurant Moltivolti, auf deutsch ‹viele Gesichter›. Dort habe ich Malik getroffen, der vor sechs Jahren aus Gambia nach Palermo gekommen ist. Im Gespräch hat er mir von seiner Reise erzählt: «Jemand, der aussieht wie ich, muss immer einen Grund angeben, warum er reist. Die Leute nehmen automatisch an, dass ich auf der Flucht bin oder Arbeit suche. Ich reise aber auch gerne aus Neugier – warum wird einigen Menschen dieses Recht verwehrt? Dich fragt doch auch niemand, warum du reist, oder?»

Dieser Gedanke hat mich nicht mehr losgelassen. Ich habe mich gefragt, woher die Menschen in meiner Umgebung kommen, wo sie schon waren und wo sie noch hin möchten. Ich habe begonnen, mit den Leuten auf Palermos Strassen über ihre Reisegewohnheiten zu sprechen. Dabei wollte ich herausfinden, warum sie Reisen unternehmen, wie sie reisen, wer wohin reisen kann und wie unterschiedlich ihre Einstellungen zum Reisen sind. Die Rolle der zeichnenden Reporterin hat es mir erlaubt, auf Leute zuzugehen und sie in Gespräche zu verwickeln. Ich habe den Matrosen gezeichnet, der fünf Monate im Jahr auf hoher See verbringt, das Paar in den Flitterwochen, den alten Mann, der Palermo schon Jahre nicht mehr verlassen hat und die Schulfreundinnen, die ins Ausland wollen, weil sie in Sizilien keine Zukunft für sich sehen. Ein mit Tusche gefüllter Pinselstift hat es mir erlaubt, schnell zu zeichnen und mit einem Werkzeug dünne oder dicke Linien und Flächen zu setzen.
Mein Skizzenbuch hat sich schnell gefüllt und ich habe gemerkt: Es gibt so viele Arten, zu reisen, wie es Menschen auf der Erde gibt. Das Reisen lockt und begeistert die meisten von uns, aber nicht alle haben die Möglichkeit dazu. Das Recht, sich frei zu bewegen, sollte für alle gelten und nicht ein Privileg für Menschen bleiben, die mit dem richtigen Pass geboren worden sind.
Die Zeichnungen aus Palermo habe ich in einer Publikation versammelt. Sie werden von einem Text begleitet, der Einblick in meinen Arbeits- und Gedankenprozess bietet. Von den gesammelten Zitaten habe ich die wichtigsten auf deutsch übersetzt. Einige Bilder habe ich auf eine Doppelseite vergrössert, um ihre Wirkung zu verstärken. Bisher habe ich etwa zwanzig Exemplare produziert und die Seiten mit der Maschine zusammengenäht.
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* Adelina Lahr studiert im 2. Jahr ‹Illustration Fiction› an der Hochschule Luzern Design & Kunst. Ihr Beitrag entstand interdisziplinären Modul IDA ‹Kult(o)ur - Wahrnehmung auf Reisen›. (ab FS23 +Colabor)