Wenn Design Nachbarschaft kultiviert
Die Bewohner des Asylzentrums «Halle 9» und der Neudorfsiedlung in Oerlikon sind Nachbarn. Kontakt gibt es wenig – bis die Interaction Designer Lea Planzer und Sandro Poli der ZHdK mit ihrem Bachelor-Projekt auf den Plan treten.
«Es hat Überwindung gebraucht, rauszugehen und an diesen Türen zu klingeln», erzählt die frischgebackene Absolventin Lea Planzer über die Anfänge ihres Bachelor-Projekts. Mit ihrem Studienkollegen Sandro Poli ist sie in der Oerliker Neudorfsiedlung von Tür zu Tür gezogen und hat erforscht, was die Anwohnerinnen und Anwohner über die Menschen in der benachbarten Halle 9 wissen – oder wissen möchten. Resultat: Wissen gibt es fast keines, das Interesse hingegen ist gross. «Zum Teil wussten die Befragten nicht einmal, dass in unmittelbarer Nähe 250 Flüchtlinge leben!», so Sandro.
Um die Bewohnerinnen und Bewohner der Halle 9 kennen zu lernen und ein Vertrauensverhältnis zu ihnen aufzubauen, haben Lea und Sandro eine Woche im Asylzentrum verbracht. «Anfänglich sind die Flüchtlinge uns eher förmlich begegnet, dann wurden wir hier und da zum Tee eingeladen und schliesslich haben einige für uns gekocht», erzählt Lea.
Auf der Suche nach dem gemeinsamen Interesse
In mehreren Workshops mit interessierten Personen aus beiden Teilen der Nachbarschaft haben die Interaction Designer ermittelt, was die Menschen aus Afghanistan, Eritrea, Syrien, Somalia, der Türkei und der Schweiz teilen könnten, um sich besser kennen zu lernen: Musik? Sport? Essen? Lea: «Uns war wichtig, dass das Projekt weiterlebt, wenn Sandro und ich unsere Bachelor-Arbeit abgeschlossen haben.» Die Beteiligten einigten sich schliesslich darauf, aus einer ungenutzten Ecke der Nachbarschaft gemeinsam einen Garten zu machen.
Wie der Garten aussehen sollte, entwickelten die Gärtnerinnen und Gärtner in spe wiederum in gemeinsamen Workshops. Verständigt haben sie sich dabei auf Deutsch, das einige der Flüchtlinge bereits in Ansätzen beherrschten, auf Englisch und vor allem mit Bildern und Materialien wie Knetmasse. «Praktisch war, dass es sowohl unter den Flüchtlingen als auch in der Neudorfsiedlung einen professionellen Gärtner gab. Von deren Wissen konnte die Gruppe profitieren», sagt Sandro.
Keine Sozialarbeiter
Die Arbeit am gemeinsamen Garten wurde dadurch erschwert, dass immer wieder Beteiligte aus der Halle 9 in andere Unterkünfte transferiert wurden. Dennoch konnten die verbliebenen Projektteilnehmer die Realisierung des Gartens schliesslich in Angriff nehmen. Lea erinnert sich: «Von da an ist eine wirkliche Community entstanden und die Sache hat sich verselbstständigt.» Die Nachbarinnen und Nachbarn koordinieren ihre Gartenarbeit via WhatsApp-Gruppenchat und mittels eines Wochenplans, der im Garten hängt.
Nach seinem Selbstverständnis in diesem engagierten Format gefragt, zögert Sandro nicht mit einer Antwort: «Unser Projekt ist keine Sozialarbeit, sondern ein Co-Design. Die Methoden, die wir verwendet haben, sind ganz klar Designmethoden – freilich solche, bei denen der Mensch im Zentrum des Entwicklungsprozesses steht.» Resultat der Arbeit ist ein Toolkit, mit dem Designer und Nichtdesigner zusammen etwas für eine Gemeinschaft kreieren können. Und natürlich ganz viel Gemüse und Blumen, die im Gemeinschaftsgarten wachsen. Gerade ist Gurkensaison. Ein Blick in den Gruppenchat zeigt: Die Ernte fällt erfreulich aus.
«Was Menschen brauchen»: Entwerfen für Menschen – diese Selbstverständlichkeit steht derzeit hoch im Kurs. Drei aktuelle Projekte behandeln die Themen Flüchtlinge, Marktzugang und Demenz.