Waldwirtschaft und Holzexperimente
An der ArchitekturWerkstatt St.Gallen lernen die Studierenden, wie Wirtschaften im Wald funktioniert und was unterschiedliche Holzarten besonders gut können. Jan Fischer berichtet im Campus.
Das Semester startet mit einer Wanderung in den Wald. Einer der St.Galler Revierförster erwartet uns im Forstwerkhof und berichtet vom vielfältigen Wirken seines Teams: Rund 10'000 Kubikmeter Holz ernten sie jährlich – genug Material um 250 Einfamilienhäuser zu errichten! Als Konstruktionsholz dienen vornehmlich gerade wachsende Nadelhölzer, die härteren Laubhölzer klassischerweise als Rohstoff für Möbel. Doch auch Laubholz wird zunehmend in Tragwerken eingesetzt. Buchenholz hat beispielweise eine rund doppelt so hohe Biegefestigkeit wie Fichtenholz, seine Zug- und Druckfestigkeit sind sogar 2,5-mal grösser. In manchen Fällen lohnt sich daher der höhere Preis und die aufwendigere Verarbeitung von Laubholz, weil sich damit schlankere, elegantere Holztragwerke konstruieren lassen. Auch über die Waldökologie lernen wir einiges, vor allem dass es Geduld braucht, mit Holz zu wirtschaften. Denn jeder Baum ist ein Mehrgenerationen-Projekt: eine Fichte ist nach 80 Jahren erntereif, eine Buche nach 120 Jahren.
Nun gehen wir in den Wald, mit der Aufgabe: «Erforscht den Wald, analysiert das darin auffindbare Holz nach seinem Potenzial und wählt bewusst aus, was ihr zum Bauen verwenden möchtet. ». Mit dem neu gewonnenen Blick auf die riesigen, alten Wesen, auf die kleinen Bäche und die dicken Humusschichten am Wegrand, folgen wir dem Förster, der zielstrebig auf ein Gebiet zusteuert, wo kürzlich einige Bäume gefällt worden sind. In grossen Stapeln liegen Stämme und Äste unterschiedlicher Bäume, an denen wir uns bedienen dürfen. Ich bin besonders fasziniert von einem acht Zentimeter dicken Efeustrang, der auffällig schwer und trotz seiner Dicke gut biegbar ist. Auch im Gebüsch daneben dürfen wir zugreifen: mir fällt ein Roter Hartriegel auf, mit feuerroten Zweigen, die sich fast wie ein Seil verknoten lassen.
Reichhaltig bepackt kehren wir zurück in die ArchitekturWerkstatt und machen uns ans Werk. Jetzt gilt es, eine «stabförmige Struktur, die etwas Spezifisches über das Fügen von Elementen und über das Material Holz aussagt» zu bauen – so beschreibt es die Aufgabenstellung. Unsere Maschinen in der sonst frei zugänglichen Holzwerkstatt dürfen wir hierfür nicht verwenden. Das frische Holz würde die Sägeblätter stumpf machen. Also sägen, schnitzen, bohren, feilen und fügen wir per Hand. Ein paar Tage später steht der Kritikraum voller Skulpturen so vielfältig wie der Rohstoff selbst. Manche erinnern an die vitruvianische Urhütte, andere sind objekthaft abstrakt, alle sind Holz-in-Holz gefügt mit Zapfen, Holznägeln oder Flechtwerk, denn Metall- und Klebeverbindungen durften wir nicht verwenden.
In den folgenden Wochen entwickeln wir unsere Strukturen mit grossen und kleinen Kanthölzern und mit gefaltetem und gestecktem Papier zu Tragwerken und Gebäuden weiter. Wir entwerfen brückenartige Strukturen mit Innenräumen, zentral in Zürich über der Sihl und unter der Autobahn, oder Hochhäuser, die gleich daneben in einem wilden Waldstück stehen. So wie der ungewöhnliche Ort unser Entwerfen anregt, entspringen einige kreative Impulse und Details direkt aus den Rohholz-Strukturen der ersten Woche. Die experimentelle Startwoche hat uns nicht nur viel über das Ökosystem Wald, über Holz und seine Leistungsfähigkeit begreifbar gemacht, sondern zudem gezeigt, wie die bewusste Beschränkung der Mittel zum Finden zündender Ideen beiträgt.
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* Jan Fischer studiert im 2. Semester an der ArchitekturWerkstatt St.Gallen der Ostschweizer Fachhochschule.