Unlimitiert bunt
Die Textildesign-Studentin Siv Keller hat eine fast vergessene textile Drucktechnik wieder zum Leben erweckt. Entstanden sind dabei etliche Knetmassen und erste vielversprechende Druckergebnisse.
In meinem Projekt ging es darum, die Knetmasse für das sogenannte Orbis-Verfahren wieder zu entwickeln. Denn es gibt dazu keine zugänglichen Rezepturen mehr. Orbis ist ein Druckverfahren aus den 1920er Jahren. Dabei werden Knetmassen eingefärbt, von Hand zu Muster verknetet, um eine Walze gelegt und abgedruckt. Der Knet als Farbträger wird kontinuierlich abgetragen, sodass jeder Meter Stoff ein Unikat bleibt. Mit Orbis-Verfahren können unlimitiert viele Farben gedruckt werden, was bis zur Erfindung des Inkjet-Verfahrens kaum möglich war. In der Schweiz wurde das Orbis-Verfahren von zirka 1985 bis 1995 unter dem Namen Marvel von der Firma Jakob Schlaepfer in St. Gallen angewendet. Heute wird die Technik weltweit nur noch vom japanischen Unternehmen Kyoto Marble benutzt.
Als Grundlage für meine Recherche dienten mir acht Bücher, die ein Techniker der St.Galler Textilfirma Jakob Schlaepfer in den 1980er und 1990er geschrieben hat. Die Bücher enthalten wenig konkrete Informationen zu der Knetmasse, aber viele Hinweise, wie die Masse ausgesehen und sich verhalten hat. Aus diesen Bildern und Notizen konnte ich die Eigenschaften der Masse ableiten: Sie darf nicht kleben, muss wasserlöslich und von Hand bearbeitbar sein und ohne Rissbildung aushärten. Zudem wollte ich, dass sie keine erdölbasierten Stoffe enthält. In den Büchern fand ich auch alte Patente, die mir zwar keine funktionierenden Rezepturen, aber doch Anhaltspunkte lieferten, wie so eine Masse zusammengesetzt sein könnte. Ich verwendete etwa sechs Wochen darauf, die richtigen Inhaltsstoffe zu finden und eine halbwegs funktionierende Rezeptur zu entwickeln. Danach begann ich die Farbstoffe einzuarbeiten, was erneut Anpassungen an der Rezeptur erforderte. Jeder Schritt, den ich machte, erforderte rückwirkende Anpassungen und eröffnete eine Menge neuer Fragen: Welche Farbstoffkonzentration gibt den sattesten Ton? Wie lange muss ich die Masse kneten? Wie lange dauert das Aushärten? Wie feucht muss der Stoff beim Abdrucken sein? Wie fixiere ich die Farbe?
Nach zehn Wochen konnte ich endlich erste gestalterische Versuche unternehmen. Orbis ist ein unglaublich schönes Druckverfahren. Unlimitiert bunt, sehr spielerisch und nur bedingt planbar. Durch das Abtragen der Druckstöcke und Walzen verändert sich das Druckbild konstant und bekommt eine erzählerische, ephemere Qualität. Man weiss im Voraus nie genau, wie der Druck aussehen wird. Ich freue mich diese Technik weiterzuentwickeln, das gestalterische Potential auszuloten und herauszufinden, wie die doch sehr aufwändige Technik zeitgemässe Anwendungen finden könnte.
Für Studierende nur 9 Franken im Monat – Jetzt Hochparterre abonnieren!
* Siv Keller studiert im 5. Semester Textildesign an der Hochschule Luzern Design & Kunst. Ihr Projekt wurde durch die TDS Textildruckerei Arbon und die Kunstgiesserei St. Gallen ermöglicht.