Strickforschung
Jaël Zürcher studiert ‹Vermittlung von Kunst und Design› an der HGK Basel und setzt sich künstlerisch-forschend mit der performativen Handlung des Strickens auseinander.
«Ich stricke einen Blob.» Dieser Satz ist Idee, Vorgehen und Projektbeschrieb zugleich. Ausgehend von meiner alltäglichen Strickpraxis, die mich seit der Kindheit begleitet, widme ich mich einem Handlungsansatz, der über das konventionelle, produkt- und funktionalitätsorientierte Stricken hinausblickt. Ich stricke keine Socken und keinen Pullover, sondern einen Blob und beobachte, was dabei passiert – mit mir und meiner Umwelt. Anfänglich nur ein Platzhalter, wurde der Begriff des Blobs untrennbar eins mit meinem Projekt. (Meinem persönlichen Sprachgebrauch entsprungen, bezeichnet der Ausdruck Blob ein organisches, wild wucherndes Etwas.)
Ich hielt mich in der Durchführung des Strickens an Orten auf, wo mein alltägliches Leben mich hinführte, und entfernte mich gleichzeitig in Form, Dimension und der Weise, wie meine Aufmerksamkeit auf dem flüchtigen Moment der Herstellung liegt, von einer alltäglichen Strickarbeit.
Mein intuitives, responsives Handeln ist nicht nur ein künstlerischer, prozessorientierter Ansatz, sondern auch eine forschende Suchbewegung. Wie wirkt die Handlung auf mich, mein Umfeld und im Wechselspiel wieder zurück auf mich und mein Stricken? Darin sehe ich mich als eine Forscherin, die Teil des beforschten Felds ist und die Methoden im Feld erarbeitet. Je grösser der Blob wurde, desto mehr veränderte sich die Art, wie meine Handlung von mir und Aussenstehenden wahrgenommen wurde. Meine performative Aktion rief Reaktionen hervor, führte zu Dialogen und Interaktionen mit mir und dem Blob.
Alles, was ich beobachtete und erlebte, verschriftlichte ich in situ. Diese Notationen nummerierte ich und hängte die Nummern an die entsprechende Stelle im Blob – wie Fussnoten. In der Auswertung dieser Daten entdeckte ich Zusammenhänge, Verdichtungen und Begegnungsabläufe.
Die Aufzeichnung war eine Untersuchungsmethode der flüchtigen Konstellationen, die sich in der Wahrnehmung, der Begegnung und der Durchführung von «Ich stricke einen Blob» zeigten. Denn im Gleichschritt mit dem Wachstum des Blobs, eröffneten sich aus den entstandenen Begegnungen neue Handlungs-, Reflexions- und Bedeutungsräume.
Aus meinem Durchführungsprozess heraus, eröffnete sich mir die Frage, ob nicht der Blob selbst auch Form von Aufzeichnung sein könnte. Gebildet durch das repetitive Aneinanderreihen von rechten und linken Maschen, vereinen sich in der gestrickten Oberfläche Spuren des Herstellungsprozesses, Spuren von mir – durch die Berührungen und situativ getroffene Entscheidungen beispielsweise. Das Stricken stellte sich als eine Praxis des Antwortens auf meine Erfahrungen heraus und bildet im performativen Vollzug die Grundlage für neue Erfahrungen. Denn dort, wo verbale Erklärungen scheiterten, agierte das Stricken als Mittelstück zwischen mir und meiner Umwelt, meinem Körper und dem Material. Darüber hinaus ermöglichte das Zeigen und vor allem das Untersuchen des Blobs ein anderes, erweitertes Verständnis für mein Vorhaben. Der Blob übersetzt den Prozess in eine gestrickte Form, hält ihn fest und macht ihn erfahrbar.
Wenn Kunstvermittlung als etwas gedacht wird, das nicht eine dienstleistende Funktion hat, sondern durch künstlerische Prozesse und Reflexionen selbst Dinge schaffen kann, so lässt sich mein Projekt als ein vermittelndes verstehen.
Das Nachdenken über die Darstellung flüchtiger Prozesse, alternativer Wissensformen und das Erstellen von Denk- und Handlungsräumen durch künstlerische Handlungen verstehe ich als zentralen Aufgabenbereich des Kunstvermittlungsdiskurses und gleichzeitig als dessen Potential. Durch künstlerische Vorgänge in der Kunstvermittlung können Dinge erfahrbar gemacht werden, die nicht in Worten fassbar sind. Kunstvermittlung darf lustvoll, spielerisch und forschend sein und kann sich auch mit scheinbar Sinnlosem befassen.
In meinem Projekt bediente ich mich bei verschiedenen ästhetischen Praxen, formte daraus meine eigene Strategie und näherte mich Gedanklich dieser Kunstvermittlung an.
Im Handlungsvollzug widerlege ich das Stricken des Blobs als ein sinnloses, funktionsloses Vorhaben. Durch die Interaktionen mit dem Blob und die Integration der Begegnenden in meine Handlung werden neue Räume aufgemacht. In den Aufzeichnungen wird meine Erfahrung kommunizierbar und erfahrbar. Die Absurdität wird in «Ich stricke einen Blob» miteinbezogen, der Blob wird zu einem Akteur und stiftet Sinn – auch für mich, mein weiteres künstlerisches Schaffen und mein weiteres Navigieren im Diskurs der Kunstvermittlung.
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* Jaël Zürcher studiert ‹Vermittlung von Kunst und Design› an der Hochschule für Gestaltung und Kunst Basel FHNW (HGK Basel) und setzt sich künstlerisch-forschend mit der performativen Handlung des Strickens auseinander.