Was ist räumliche Gerechtigkeit?

Spatial Justice

Studierende des Instituts Innenarchitektur und Szenografie der FHNW haben sich der Frage gestellt, wo räumliche Ungerechtigkeit existiert und wie sie als Gestalter:innen darauf eingehen können?

Fühlst du dich willkommen im öffentlichen Raum? Fühlst du dich akzeptiert in deinem Arbeitsumfeld? Fühlst du dich wohl in deiner Haut? Wenn ja, dann gehörst du wohl zu der privilegierten Gruppe, die gesellschaftlich anerkannt, finanziell abgesichert ist und daher selbstbewusst Räume betreten kann. Während des vergangenen Herbstsemesters haben sich siebzehn Studierende des Instituts Innenarchitektur und Szenografie HGK FHNW mit der Thematik ‹Spatial Justice› auseinandergesetzt und sich der Frage gestellt, wo räumliche Ungerechtigkeit existiert und wie wir als Gestalter:innen darauf eingehen können?

Die erste Phase des Projektes beinhaltete eine breitgefächerte Recherche und die Klärung von Begriffen: Was ist positiver Rassismus? Wo liegt der Unterschied zwischen Sex und Gender? Wie ist Intersektionalität und Raum miteinander verknüpft?


Gemeinsame Recherchewand

Eine gemeinsame Recherchewand verhalf uns, in die Thematik einzutauchen und uns einen Überblick zu verschaffen, in welchen Räumen Diskriminierung stattfindet. Auf einem Stadtspaziergang durch Basel, auf der Suche nach Diskriminierung im öffentlichen Raum, wurde uns bewusst, wie unsichtbar die Problematik von der Stadt gemacht wird. Marginalisierte Gruppen werden oft nicht berücksichtigt und sind daher visuell nicht vorhanden. Das Sichtbare scheint vielerorts gut zu funktionieren, das Nichtexistierende und Nichtsichtbare ist hingegen problematisch.

Nach der gemeinsamen Recherchephase setzten sich die Studierenden spezifisch mit einer Thematik auseinander, zu der sie selber einen persönlichen Zugang haben. Daraus entstanden durch Forschen und Experimentieren fünfzehn Konzepte mit räumlich-gestalterischen Ansätzen. So vielfältig und persönlich das Thema ‹Spatial Justice› ist, so unterschiedlich fielen auch die Projekte aus. Magdalena Schneiter setzte sich mit dem persönlichen Raum auseinander, der keine sichtbaren Grenzen hat, sondern wie eine durchsichtige Membran unseren Körper umgibt. Diese Membran kann platzen, wie eine Seifenblase, sobald ihre Grenzen überschritten werden. Es ging ihr aber nicht nur um die Wahrnehmung des eigenen Raums, sondern auch um die Akzeptanz und den Respekt der persönlichen Räume anderer Menschen.
 

Magdalena Schneiter: Individualität im Gleichen – Einen unsichtbaren Raum sichtbar machen.

Elen Friede und Sarah Berger experimentierten mit dem eigenen weiblichen Körper im Raum und mit der Frage, warum ihre Körper und Bewegungen so sind, wie sie sind. Bei diesem Selbstexperiment wollten sie ihre Scham überwinden mithilfe der Vorstellung, sich in einem stereotypenfreien Raum aufzuhalten. Mit einem selbstentworfenen Fragekatalog bewegten sie ihre Körper in einem isolierten Raum, frei von fremden Blicken, und entwickelten daraus eine filmische Sequenz, welche wiederum nach aussen gezeigt wurde.


(... ) sind wir komisch? sind wir kosmisch? sind wir kompliziert? sind wir eine kategorie? sind wir sweet? sind wir scham? sind wir göttin? sind wir stark? sind wir schwach? sind wir alle gleich? sind wir schön? sind wir sexy? sind wir dynamisch? sind wir curvy? sind wir sensibel? sind wir die quelle allen seins? sind wir simpel? sind wir nackt? sind wir besser? sind wir fleisch? sind wir begehren? sind wir liebe? sind wir echt? sind wir nicht von dieser welt? sind wir anders? sind wir süss? sind wir detail? sind wir viele? sind wir porno? sind wir lust? sind wir vulva? sind wir selbstständig? sind wir wehleidig? sind wir eifersüchtig? sind wir rebellisch? sind wir verführerisch? sind wir sanft? sind wir leise? sind wir laut? (...) Aus dem Fragekatalog von Sarah Berger und Elen Friede


Schlusspräsentation an der HGK FHNW, Filmausschnitt ‹Corps› von Elen Friede und Sarah Berger.
Andere Studierende wählten radikalere Methoden, um auf räumliche Ungerechtigkeit aufmerksam zu machen. Kevin Peterhans untersuchte in seinem Projekt öffentliche Bauten in Basel. Sind diese für Personen mit einer Behinderung nicht oder nicht ausreichend zugänglich, erhalten sie vom ‹%-Gremium› im Rahmen des Wildwuchsfestivals den architektonischen Nein-Award und haben während eines Jahres die Möglichkeit, zusammen mit kantonaler Unterstützung, Lösungen zur verbesserten Zugänglichkeit zu finden. Wird das Ziel innerhalb eines Jahres erreicht, erhalten die Bauten den Ja-Award.
 

‹%G› von Kevin Peterhans

Elisa Glauser setzte ihren Fokus auf die Signalisierung für sehbehinderte und blinde Menschen in der Stadt. Ihr Projekt ‹SpazierKlang› soll durch verschiedene Klänge den betroffenen Menschen helfen, sich in der Stadt zu orientieren und zugleich die sehenden Menschen für die alltäglichen Hindernisse sehbehinderter Personen zu sensibilisieren. Elisa Glauser experimentierte mit verschiedenen Metallen, analysierte deren Klänge und präsentierte einen möglichen Vorschlag zur Klangsignalisierung in der Spitalstrasse in Basel.
 

‹SpazierKlang› von Elisa Glauser: Experimente mit verschiedenen Metallen.

Schlusspräsentation ‹SpazierKlang› an der HGK FHNW (Bild: Elisa Glauser)

Schlusspräsentation ‹SpazierKlang› an der HGK FHNW (Bild: Elisa Glauser)


Als Gestalter:innen von Räumen können wir uns zwar nicht immer in die Rolle von Benachteiligten hineinversetzen und für sie sprechen. Wir können aber versuchen herauszufinden, wer die Diskriminierenden und wer die Diskriminierten sind. Und so verstehen, was für Kriterien der Raumgestaltung gegenüber gewissen Menschengruppen benachteiligend oder ausschliessend wirken und wie sich ‹Spatial Justice› räumlich-gestalterisch umsetzen lässt.

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