Bachelor-Studentin Sabrina Fleisch mit ihren Kolleginnen Lina Gasperi, Ronja Kessler und Silva Stecher vor ihrem Projekt WissWak.

Pro Bono! Gestaltung für das Gemeinwohl

Wie können Architekturstudierende motiviert werden, ihre Umwelt nachhaltig zu gestalten? Davon berichtet Daniel Haselsberger, der an der Uni Liechtenstein forscht, wie Nachhaltigkeit vermittelt werden kann.

Im Zuge meiner Tätigkeit am Institut für Architektur und Raumentwicklung der Universität Liechtenstein und zusammen mit meiner Kollegin Cornelia Faisst begleite ich Architekturstudierende aus dem Bachelor- und Masterstudiengang bei der Umsetzung sogenannter Pro Bono Projekte. Dabei initiieren, planen und realisieren die Studierenden kleine Interventionen, Workshops und Events in einem transdisziplinären Prozess und zum Wohl der Gesellschaft. Folgende fünf Gedanken sollen einen Einblick in dieses aussergewöhnliche Lehrformat erlauben und als Inspiration für weitere transformative Ausbildungspraktiken dienen.

"Wie gehen wir als künftige Architekt*innen mit dem Bestand um?" Diese Frage stellten sich der Bachelorstudent Hans Hatt und seine Kolleg*innen Jill Bürk, Felice Pfeiffer und Gordian Graf Strachwitz bei der Organisation eines Leerstands-Festivals zur partizipativen Ideensammlung für die Wiederbelebung eines verlassenen Industrieareals in Villingen-Schwenningen (DE). Bild: Jill Bürk


Realer Bedarf statt Utopie
Anders als sich die Studierenden dies von den Entwurfsstudios gewohnt sind, beginnt ein Pro Bono Projekt nicht mit einer fiktiven Aufgabenstellung, sondern einem konkreten Bedarf. Und dieser muss erstmal im Austausch mit Partner*innen aus der Praxis ausfindig gemacht werden. Diese Ausgangslage fordert die Studierenden heraus, die Komfortzone der eigenen Entwurfskammer zu verlassen und mit potenziellen Partner*innen aus der Praxis in Kontakt zu treten. Dabei hören sich einige Studierende bei ihrer Gemeinde um, andere haben noch gute Kontakte zur Schule, die sie einmal besucht haben, wieder andere sind Mitglied in einem gemeinnützigen Verein oder wollen sich schon lange Mal bei einer NGO im globalen Süden engagieren. Die Wege zu einem Pro Bono Projekt sind vielseitig und nicht selten etwas holprig. Je präziser der Bedarf für ein Projekt jedoch schon zu Beginn geklärt und eine Zusammenarbeit beschlossen werden kann, desto grösser sind die Aussichten auf eine erfolgreiche Umsetzung des Projektes. Der Projektvielfalt sind dabei kaum Grenzen gesetzt, so reichen die Projekte von der Feuerstelle über den Baukulturworkshop bis hin zum Leerstands-Festival.

"Es sind wichtige Begegnungen entstanden, zu Personen, die ähnliche Interessen verfolgen wie ich. Diese Bekanntschaften weiß ich zu schätzen und versuche den Austausch über die gemeinsamen Interessen aufrechtzuerhalten", Bachelorstudent Christian Haller über die Umsetzung seines einwöchigen Workshops zur Engadiner Baukultur an der Mittelschule in Ftan (CH), in Zusammenarbeit mit dem Verein Creacumün und dem Kalkwerk. Bild: Mayk Wendt  


Vom Ego-System zum Eco-System
Ein Pro Bono Projekt ist nicht die Selbstverwirklichung einer einzelnen Studentin oder eines einzelnen Studenten. Den Studierenden steht es zwar offen, ob sie ein Pro Bono Projekt allein oder in einer Gruppe umsetzen möchten, die transdisziplinäre Zusammenarbeit mit Partner*innen aus der Gesellschaft ist aber zwingender Bestandteil eines jeden Projekts. Meistens handelt es dabei um Gemeinden, Schulen oder gemeinnützige Vereine. Hinzu kommt, dass die Projekte auch in einem engen Austausch mit den Zielgruppen geplant und umgesetzt werden sollen. Der angestrebte partizipative Gestaltungsprozess erfordert eine intensive Vorbereitung, spart dafür aber auch Ressourcen und erweitert das Netzwerk der Studierenden. In dieser Bottom-up-Herangehensweise agieren die Studierenden als Moderator*innen, die ihre Ideen aus einem sorgfältig erarbeiteten Verständnis der Bedürfnisse künftiger Nutzer*innen entwickeln. Dieses partizipative Vorgehen fördert auch den Aneignungsprozess und den verantwortungsvollen Umgang durch die Nutzenden. Damit wird sichergestellt, dass die Pro Bono Projekte auch nach Absolvierung der Lehrveranstaltung genutzt werden.

"Die in das Projekt investierten Stunden und Bemühungen waren bei der Vernissage vergessen, es war die Zeit des Stolzes und des Genießens", freuen sich Juliana Hasler, Florian Heeb und Pascal Rüegg über ihre selbstgebaute Kräuter[Bar], mit der sie in verschiedenen Supermärkten in Liechtenstein auf das Thema Foodwaste aufmerksam machten. Bild: Pascal Rüegg


Vom Imaginieren zum Experimentieren
Pro Bono Projekte sind Teil eines transformativen Lehransatzes in der Architekturausbildung. Die Architekturstudierenden sollen befähigt werden, Verantwortung zu übernehmen und sich aktiv für eine nachhaltige (Um)gestaltung der gebauten Umwelt zu engagieren. Dabei geht es im Sinne einer transformativen Bildung nicht nur um die Generierung eines System- und Zielwissens, welches die Studierenden nicht nachhaltige Systeme identifizieren und nachhaltige Visionen erarbeiten lässt, sondern um die Erzielung eines Transformationswissens, das die Studierenden vom Denken ins Handeln bringt. Denn genau dort stossen wir in unseren Nachhaltigkeitsbestrebungen oftmals an Grenzen. Wir kennen die Probleme wie auch die Lösungen, tun aber trotzdem zu wenig. Die Pro Bono Projekte zielen genau auf diese fehlende Handlung ab. Was dabei rauskommt, ist nicht die Utopie auf Papier oder bestenfalls als Modell, sondern ein kleiner, präziser Eingriff, der dafür aber auch umgesetzt wird. Die 17 Nachhaltigkeitsziele – Sustainable Development Goals (SDGs) – der Vereinten Nationen bilden dabei einen wichtigen Orientierungsrahmen, worin die Studierenden vielseitige Handlungsfelder und Potentiale für ihre künftigen Tätigkeiten entdecken sollen.

"Als in Zusammenarbeit mit der Gemeinde die Idee der Grillstelle aufkam, war ich sofort begeistert. Zu sehen, dass meine Vorschläge gut ankamen und ich freie Hand hatte, war für mich sehr motivierend", Nicolo Däppen über die Sitzgelegenheit und Grillstelle, die er in Zusammenarbeit mit der Gemeinde Trimmis (CH) und einer lokalen Oberstufenklasse umsetzen konnte. Bild: Nicolo Däppen


Der Weg ist das Ziel
Obwohl die Umsetzung des Pro Bono Projektes ein wesentlicher Bestandteil dieses Lehrformats ist, steht die gebaute Intervention, der organisierte Event oder der durchgeführte Workshop nicht an erster Stelle. Ziel dieses prozessorientierten Lehrformats ist weniger ein Produkt als eine nachhaltige Wirkung auf die Studierenden und deren PartnerInnen aus der Praxis. Eine sorgfältige Bedarfserörterung, ein partizipativer Gestaltungsprozess und die Sicherstellung einer langfristigen und nachhaltigen Nutzung des Projekts stehen im Vordergrund. Nicht zuletzt bildet das Pro Bono Projekt eine Gelegenheit für die Studierenden sich ein Netzwerk aufzubauen und damit eine Basis für künftige (gemeinnützige) Tätigkeiten zu schaffen. So haben Studierende und deren Partner*innen auf der Basis von Pro Bono Projekten bereits weitere Projekte initiiert oder Vereine gegründet, um sich auch in Zukunft für gemeinnützige Zwecke einzusetzen.

Gute Geschichten
Erkenntnisse der Transformationsforschung zeigen, dass wir nebst einem moralischen Anstoss und einem nachhaltigen Erfindertum, auch gute Geschichten von Nachhaltigkeitspionier*innen benötigen, um uns selbst für eine nachhaltige Transformation einzusetzen. Wir brauchen Geschichten des Gelingens, die uns zeigen, dass es auch anders und nachhaltig geht. Die Studierenden können dabei von bereits umgesetzten Pro Bono Projekten gleichermassen profitieren wie von den Inputs eingeladener Change-Maker. Dadurch werden sie motiviert Verantwortung zu übernehmen und sich aktiv an einer sozial und ökologisch nachhaltigen Gestaltung ihrer Umwelt zu beteiligen. Wird das Lehrformat zu Beginn noch als lästige Pflicht betrachtet und die Umsetzung des Projekts in weiter Ferne wahrgenommen, erfahren die Studierenden im Laufe des Projektes eine Selbstwirksamkeit, die das obligatorische Uni-Projekt schnell in ein Herzensprojekt verwandeln lässt, wo ECTS und aufgewendete Stunden in den Hintergrund und das erfüllende Engagement für das Gemeinwohl ins Zentrum rücken.

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Kommentare

Daniel Haselsberger 07.09.2022 14:10
Dies ist ein guter Hinweis. Die Studierenden treten anfangs oft mit einer konkreten Idee an uns, die mehr aus dem Wunsch einer "Selbstverwirklichung" entspringt, statt einem identifizierten gemeinnützigen Bedarf. Eine andere Schwierigkeit besteht darin, dass es den Projekten in unserem Kontext gegenüber solchen im globalen Süden oft an einem tatsächlichen Bedarf fehlt. Die Corona-Einschränkungen und der relativ geringe Stundenumfang des Moduls machten einen Einsatz im globalen Süden bisher jedoch oft schwierig.
Horst Eisterer 04.07.2022 15:31
Möglicherweise ist es behelflich, vermehrt zwischen Bedarf und wirklichem Bedürfnis zu unterscheiden, um nicht absolut notwendiges Bauen zu vermeiden. Wir brauchen zudem dringend ein Umbau-Ordnung. Dafür sollten sich auch die Studierenden bei den Gemeinden einsetzen. asaz-arch.ch
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