Geruchswahrnehmungen in Pflegeeinrichtungen

Duftdesign für Pflegeeinrichtungen

Die ZHdK-Forschenden Priscille Jotzu und Stefan Zahler haben untersucht, wie Düfte das Leben in Alters- und Pflegezentren prägen. Im Campus-Bericht stellen sie ihr Projekt vor.

Das Forschungsprojekt ‹oHealth› der Fachrichtungen Trends & Identiy und Industrial Design der ZHdK will die Geruchsumgebung in Pflegeeinrichtungen verbessern. In vielen Alters- und Pflegezentren wird das Thema Geruch immer noch tabuisiert. Obwohl Gerüche für unser Wohlbefinden zentral sind und viel können, zum Beispiel Erinnerungen wecken, Genesung fördern oder Empfindungen auslösen. Priscille Jotzu und Stefan Zahler erzählen, wieso die olfaktorische Umgebung so wichtig ist und wie sie bei ihren Interventionen vorgegangen sind.

Wieso wolltet ihr die Bedeutung von Geruchswahrnehmungen in Pflegeeinrichtungen untersuchen?
Stefan Zahler: Wir haben uns in unseren Masterarbeiten mit dem Thema Health Design ausseinandergesetzt und daraus hat sich dieses Forschungsprojekt entwickelt. Beim Übergang in eine Pflegeeinrichtung droht für ältere Menschen viel wegzubrechen: das soziale Umfeld, das Wohnumfeld und eben auch die vertrauten Gerüche der  Wohnung und des Quartiers. Anstelle treten neue fremde Dinge und damit auch fremde und invasive Gerüche wie Desinfektionsmittel oder Pflegeutensilien. Gleichzeitig sind die Pflegefachpersonen bei ihrer Arbeit ständig fremden und oft auch unangenehmen Körpergerüchen ausgesetzt. Bis anhin wurde das Thema Geruch in Pflegeeinrichtungen vernachlässigt, obwohl es für unser Wohlbefinden zentral ist und der Pflegeberuf aufgrund der demografischen Entwicklung immer relevanter wird.
Priscille Jotzu: Wir haben uns für einen Ort entschieden, wo gelebt und gearbeitet wird und es auch mal streng riecht. Menschen können inkontinent werden, es wird viel Desinfektionsmittel verwendet und Wunden werden verbunden. Das Geruchsmanagement ist in so einem Umfeld neben den Bewohnenden auch für die Mitarbeitenden und die Angehörigen von grosser Bedeutung.


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Was heisst genau Geruchsmanagement?
Stefan Zahler: Es geht um die Kontrolle der geruchsbildenden Faktoren. Dies sind wir Menschen mit unseren Ausdünstungen und Handlungen als weiche Faktoren in Interaktion mit den harten Faktoren wie die Architektur, Gebäudetechnik, Produkten. Hat man diese im Griff, kann man damit anfangen zu spielen und zu gestalten. Gerüche strukturieren unseren Tagesablauf. Wenn wir nach draussen gehen, dann riechen wir am Morgen frisch gebackenes Brot vom Bäcker oderam Nachmittag das chinesische Restaurant. Auch die Jahreszeiten haben ihre eigenen Gerüche, die unser Zeitempfinden strukturieren. Die Bewohnenden des Pflegeheims sind an den Ort gebunden und können nur bedingt raus. Eine Frage ist jetzt, wie können wir diese Geruchsvielfalt von draussen auch in der Kulisse eines Altersheims ermöglichen, um weiterhin sinnliche Erfahrungen zu schaffen, die angenehme Erinnerungen und Stimmungen wecken und somit unser Wohlbefinden fördern.
Priscille Jotzu: Wir haben eine ‹Geruchsmangementmatrix› entwickelt, die den Pflegeeinrichtungen Orientierung geben soll. Sie ist in drei Kategorien ‹Kommunikation/ Emphatieförderung›, ‹Prävention/Neutralisation› und ‹Einsatz von Wohlgerüchen› gegliedert. Erst nachdem die Prävention in Kraft ist und die unangenehmen Gerüche neutralisiert sind, fördern wir bewusst den Einsatz von Wohlgerüchen. Das können Duftinseln mit ätherischen Ölen sein oder der Einsatz von Röstaromen beim Zubereiten von Mahlzeiten, die besonders gut ankommmen. Wir wollen natürliche Gerüche aus alltäglichen Handlungen hervorheben, zum Beispiel das bewusste Riechen am Kaffee, an den Kräutern in der Suppe oder an den Maiglöckchen im Garten.


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Wie habt ihr die Bewohner:innen für das Thema sensibilisiert und wo waren dabei die Herausforderungen?
Priscille Jotzu: Wir haben Kommunikationsmassnahem wie Poster und Broschüren produziert. Die  Bewohner:innen haben im Tandem mit Pflegenden ein Geruchstagebuch geführt und sind gemeinsam der Frage nachgegangen: welche Gerüche die Menschen im Alltag warnehmen und welche sie gerne oder weniger gern. Damit sollte ein gegenseitiges Verständnis für die Bedeutung von Geruchswahrnehmungen entwickelt werden.
Stefan Zahler: Wir haben in unserer Recherche und Feldforschung erkannt, dass bereits viele Produkte für den Umgang mit Gerüchen vorhanden sind. Was jedoch fehlt, ist ein inspirierender Zugang für die Menschen in den Pflegeeinrichtungen. Als Designer:innen konnten wir diese Lücke mit spielerischen Tools und Interventionen schliessen. Wir haben einen visuellen Auftritt für die Kamapgne entwickelt und dazu zu verschiedenene Vermittlungstools entwickelt, zum Beispiel ein  Poster mit dem Titel ‹Meine Nase und ich› und Workshops zur Kreation des persönlichen ‹Power-Duft› durchgeführt. Dabei haben wir mit den Mitarbeitenden und Bewohnenden einen Duftstift mit ihrer eigenen Zusammensetzung von ätherischen Ölen entworfen. Das war sehr hilfreich, um den Diskurs zu starten. Wie können Gerüche, die mir guttun, in meine Umgebung gebracht werden? Braucht es einen Diffusor oder genügen ein paar Tropfen von ätherischem Öl auf dem Kopfkissen? Die Mitarbeitenden und Bewohnenden können den den Duftstift bei sich tragen und können daran riechen, wann immer sie ein positives Dufterlebnis brauchen.


Die Bewohnerinnen und Bewohner führen ein Geruchstagebuch.

Was waren eure Strategien, um starke Gerüche wie beispielsweise Urin zu kontrollieren?
Priscille Jotzu: In Pflegeeinrichtungen gibt es Ausgüsse. Das sind Räume, in denen Schmutzwäsche gesammelt, Einlagen entsorgt und Nachttöpfe gereinigt werden . In älteren Gebäuden sind diese Ausgüsse teilweise ohne Fenster und ohne wirksame Lüftung ausgestattet. Mit einer technischen Lösung in Form eines fest installierten Geruchsneutralisators wird die Luft besser. Es gibt aber auch niederschwellige Einsätze: wenn man Kaffeesatz zum Abfall gibt, neutralisiert das die Gerüche. Die Entsorgung spielt eine grosse Rolle: Wann sind die Abfälle im Gang und wie oft werden sie weggebracht? Kann man die Säcke mit Vakuum verschliessen? Da sind viele betriebliche Ebenen wie Küche, Reinigungsteam, Cafeteria, Pflege beteiligt.
Stefan Zahler: Bei Neubauten und mit einer zeitgemässen Gebäudetechnik hat man unangenehme Gerüche in den öffentlichen Bereichen mittlerweile gut im Griff. Es sind situationsbezogene Geruchswahrnehmungen, die den Menschen zu schaffen machen, beispielsweise wenn ein künstliche Darmausgang gewechselt werden muss. Solange die Mitarbeitenden aufmerksam sind, die Pflege- und Entsorgungsprozesse funktionieren und die richtigen Hilfmittel vorhanden sind, können ungerwünschte und grossflächige Ausbreitungen von unangenehmen Gerüchen in andere Räume vermieden werden. Es geht aber nicht darum, dass es im Pflegekontext nicht mehr so riechen darf. Im Gegenteil. Es geht darum, dass wir diese Gerüche als Teil der Natur des Menschen akzeptieren und uns bewusst sind, dass auch wir aufgrund von Krankheiten oder Pflegebedarf in diese Situation kommen können. Es braucht teilweise auch eine grössere Toleranz, denn es kann auch diskriminierend für Leute sein, die dann vielleicht inkontinent sind und gepflegt werden müssen und sich bewusst sind, dass sie ab und zu etwas riechen. Solche Personen werden dann nur noch gemieden, das darf nicht passieren. Wenn jemand aus Bequemlichkeit seine Körperhygiene verrnachlässigt, ist das etwas anderes.

Was war die Fragestellung eurer Forschungsarbeit und wie seid ihr dabei vorgegangen?
Priscille Jotzu: Wir haben uns gefragt: Welche Rolle spielen Gerüche für das Wohlbefinden in Pflegeeinrichtungen und was können Pflegeeinrichtungen machen, um durch die bewusste Gestaltung der Geruchsumgebung das Wohlbefinden zu fördern? Um diese Frage zu beantworten haben wir in der ersten Projekphase verschiedene Pflegeeinrichtungen besucht. In der zweiten Projektphase entwickelten wir in enger Zusammenarbeit mit den Mitarbeitenden des Gesundheitszentrum für das Alter Grünau verschiedene Interventionen und begleiteten sie während einem Jahre bei der Entwicklung des Geruchsmanagements. Wir waren in allen Phasen viel vor Ort sind in den Alltag eingetaucht, haben Feldforschung betrieben, Beobachtungen angestellt und notiert, Interviews und Gespärche mit Bewohnenden, Pflegenden, Köchen und Angehörigen geführt.


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Und welche Rolle spielen nun Gerüche für das Wohlbefinden im Altersheim?
Stefan Zahler: Ein erfolgreiches Geruchsmanagement fördert das individuelle Wohlbefinden und somit das soziale Zusammenleben. Riecht es angenehm, halten wir uns länger an einem Ort auf. Riecht es unangenehm, versuchen wir uns der Situation zu entziehen oder die Situation zum Beispiel durch das öffnen des Fensters zu unseren Gunsten zu optimieren. Gerüche führen zu einer nonverbalen Kommunikation. Personen können aufgrund ihres Geruchs von Mitmenschen gemieden werden. Der Verlust des Geruchssinns kann dazu führen, dass sich Personen sozial isolieren. Gerüche und ihre Wahrnehmung prägen unser Zusammenleben wesentlich stärker als wir zunächst denken. Pflegeeinrichtungen, Mitarbeitende, Bewohnende und Angehörige, die dafür sensibilisiert sind und Strategien im Umgang mit Geruchssituationen kennen, können die olfaktorische Dimension aktiv gestalten und so zu einer Atmosphäre und Raumwirkung beitragen, in der man sich wohl fühlt. Jede Person sollte sich bewusst sein, dass sie die Duftumgebung mitgestaltet. Sie ist gleichzeitig Gestaltende und Wahrnehmende.


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