Die Zukunft ist schon hier
Andreas Kohler und David Polke studieren an der ZHdK Interaction Design. Mit ihrem ‹Soci‘o’Meter› möchten sie die Diskussion über Künstliche Intelligenz anstossen. Ein Interview für Hochparterre Campus.
Welche Bedeutung hat für euch KI? Wie geht ihr damit persönlich um?
David*: Die gesellschaftliche Bedeutung von KI kann meiner Meinung nach nicht überschätzt werden. Wir befinden uns mitten in einer neuen technologischen Revolution.
Andreas*: KI polarisiert ungemein und ich selbst bin auch unschlüssig. KI-Tools können Workflows vereinfachen und bei der Ideenfindung hilfreich sein. Ethische Fragen sind aber stets präsent: die Daten, auf die KI-Applikationen zugreifen, sind eigentlich geklaut. Das ist für mich ein grosses Problem.
David: Ich finde die neuen Möglichkeiten toll, sehe aber auch die Risiken. Für das eigenständige Denken ist KI eine Bedrohung. Im Entwurfsprozess nutze ich KI gezielt für Ideeniterationen, ästhetische Exploration und administrative Aufgaben, während die inhaltliche Ausarbeitung und finale Gestaltung ausschliesslich durch menschliche Expertise erfolgt.
Was hat euer Projekt ‹Soci‘o’Meter› mit KI zu tun?
David: Thema des Moduls ‹Spatial Interaction› war der mögliche Einfluss von KI auf Demokratien. Wir fragten uns, was passiert, wenn KI in der Justiz verwendet wird. In London sollte eine KI anhand der Aufnahmen von Überwachungskameras herausfinden, welche Personen potentiell kriminell sind. Nach einigen Wochen wurde das Experiment abgebrochen, weil hauptsächlich Schwarze Menschen als verdächtig eingestuft wurden. KI kann aufgrund von Äusserlichkeiten nicht erkennen, wer gefährlich ist. Dennoch wird darüber nachgedacht, die Technologie für diesen Zweck einzusetzen.
Andreas: Viele Menschen denken, das passiere irgendwann in der Zukunft. Dabei ist es brandaktuell. In China wird Künstliche Intelligenz bereits verwendet, um Menschen aufgrund ihres Verhaltens einzuschätzen. Doch KI reproduziert Stereotype, weil die von Menschen erschaffenen Daten diese Stereotype enthalten. In diesem Sinne ist Intelligenz das falsche Wort: KI braucht eine Datenbasis und berechnet daraus Wahrscheinlichkeiten aufgrund antrainierter Muster.
Wie habt ihr diese Gedanken in das Konzept einfliessen lassen?
Andreas: Uns war wichtig, dass wir eine spielerische Herangehensweise finden, dabei aber stets die Ernsthaftigkeit des Themas im Auge behalten. Wir wollten ein interessantes Objekt entwerfen, das zur Interaktion einlädt.
David: Nach der Devise «show, don’t tell» wollten wir über die Interaktion einen Denkprozess auslösen. Unsere persönliche Meinung über KI ist irrelevant, auch wenn die kritische Perspektive in dem Projekt durchscheint. Am Ende liegt die Verantwortung zur Meinungsbildung bei jeder einzelnen Person, die den ‹Soci‘o’Meter› verwendet.
Was passiert dabei?
Andreas: Der ‹Soci‘o’Meter› ist ein Kasten, der an einen Foto- oder Video-Automaten aus den 1970er Jahren erinnert. Die Designsprache verweist absichtlich auf die Vergangenheit: wir wollen damit betonen, dass KI bereits allgegenwärtig ist, obwohl viele sie immer noch als ein Zukunftsthema sehen. Die Interaktion ist einfach: Du löst mit einem Knopf eine Kamera aus, dein Porträtfoto wird dann von der KI ausgewertet. Nach kurzer Zeit spuckt der Automat eine Karte aus, die dein Bild und die Auswertung enthält.
David: Der Automat fordert dich zum Mitmachen auf. Sei erst Mal unkritisch, «Join the Club!» Der Aha-Effekt tritt ein, wenn du die Karte erhältst. Die KI bewertet verschiedene Kategorien wie Attraktivität, Reichtum oder Intelligenz mit Werten von 1 bis 100. Dazu verfasst sie einen kurzen Kommentar. Der Tonfall ist provokativ und ironisch, aber nicht beleidigend. Zusätzlich ordnet dich die KI in eine Rangliste ein.
Welche Reaktionen hat das ausgelöst?
David: Am Tag der Modulpräsentation stellten wir den Apparat im Toni-Areal auf. Erst waren die Leute skeptisch, dann trauten sich einige und daraus resultierte ein Dominoeffekt. Immer mehr Leute machten mit und zeigten sich gegenseitig die Resultate. Es wurde viel und kontrovers diskutiert.
Wie habt ihr als Team zusammengearbeitet und was waren die grössten Herausforderungen in der Umsetzung des Projekts?
David: Wir hatten sechs Wochen Zeit: drei für Idee und Konzept, drei für die Umsetzung. Die Messlatte legten wir uns selbst hoch, denn wir wollten ein Projekt entwickeln, das eine digitale Komponente hat und zugleich fassbar ist, mit einer eigenen, markanten Ästhetik. In der ersten Phase haben wir zu viert konzipiert und Pläne entworfen. In der zweiten Phase gab es mehr Arbeitsteilung. Wir ergänzten uns sehr gut.
Andreas: In der Programmierung der KI entstand ein Wettlauf gegen die System-Updates von GPT, auf dem unsere Anwendung basiert. Denn die KI ist Einschränkungen unterworfen und kommuniziert nur, was die Entwickler ihr erlauben. Wir mussten sie austricksen.
David: Wir gaukelten der KI vor, dass sie sich in einem Traumland befindet und sie deshalb die Erlaubnis hat, die Antworten zu geben, auf die wir abzielten. Manchmal funktionierten unsere Anfragen am Abend noch, am darauffolgenden Morgen aber aufgrund von Software-Updates bereits nicht mehr.
Andreas: LED, Rechner, Screen, Drucker, Web-Applikation, Micro-Controller mussten für sich funktionieren und dann auch im Zusammenspiel. Alle diese Schnittstellen hatten ihre eigenen Tücken.
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* Jeanne Antonin, Andreas Kohler, David Polke und Hyejin Shim haben den Soci’o’Meter gemeinsam konzipiert und umgesetzt. Sie studieren im 5. Semester im BA Major Interaction Design an der Zürcher Hochschule der Künste.