In ihrer Masterarbeit befasst sich Sabrina Catharine Münzer mit den Südtiroler-Siedlungen, die Anfang der 1940er Jahre in Deutschland und Österreich entstanden sind. Abreissen oder erneuern?
Knapp neun Jahrzehnte nach ihrer Errichtung stehen die Südtiroler Siedlungen im Zentrum einer Debatte über den Umgang mit gebauter Geschichte. Entstanden für Familien, die im Zuge des ‹Hitler-Mussolini-Abkommens› aus Südtirol kamen, sind sie stille Zeugen einer Zeit zwischen Vertreibung und Integration. Geprägt von der Gartenstadtbewegung, Einflüssen der damaligen Zeit und den Werten der ‹Stuttgarter Schule› verbinden sie klare Nachbarschaftsstrukturen mit gemeinschaftlich genutzten Freiräumen.
Trotz ihres Alters besitzen sie hohe architektonische, historische und soziale Qualitäten. Gleichzeitig besteht Handlungsbedarf auf struktureller und funktionaler Ebene. Angesichts aktueller Diskurse zu grauer Energie und Ressourcenverbrauch spricht vieles für einen ganzheitlichen Ansatz, der Erhalt und Erneuerung verbindet.
Wirtschaftliche Verwertbarkeit
In Bregenz jedoch sieht ein Masterplan vor, 220 der 280 Wohnungen an der Rheinstrasse abzureissen und durch Neubauten zu ersetzen. Denn die Wohnungen gelten als veraltet: fehlende Barrierefreiheit, hoher Energieverbrauch, schlechter Schallschutz. Was zeitgemäss wirkt, hat vor allem einen Grund: Geld. Sanierungen sind teurer als Neubauten und werden kaum gefördert. So werden gewachsene Stadtteile auf ihre wirtschaftliche Verwertbarkeit reduziert.
Die Folgen wären gravierend: Nachbarschaften würden zerrissen, Grünräume und alter Baumbestand verschwinden, und ein erheblicher Teil grauer Energie ginge verloren. Nachhaltigkeit würde auf Betriebskosten verkürzt, während ökologische, soziale und kulturelle Werte in den Hintergrund treten.
Gemeinschaft statt Isolation
Das Problem der Südtiroler Siedlungen betrifft nicht nur Bregenz, sondern viele Quartiere in ganz Österreich. Müssen all diese Bauten verschwinden? Oder lassen sich historische Werte erhalten und gleichzeitig zeitgemäss weiterentwickeln? Diese Siedlungen funktionieren als soziale Organismen – lebendige Beweise dafür, dass Gemeinschaftsflächen mehr verbinden als private Zäune. Die Höfe gelten als halbprivate Wohnzimmer im Freien: Orte, an denen Kinder spielen, Ältere plaudern und Alltag geteilt wird. Ihre Wurzeln liegen in Ebenezer Howards Gartenstadt-Idee: Wohnen im Grünen, kurze Wege, gemeinschaftlich genutzte Flächen statt Isolation.
Meine Vision einer Gartenstadt 2025+ knüpft hier an und setzt auf den Erhalt der charakteristischen Bauten mit behutsamen Ergänzungen und energetischer Sanierung. Die Höfe bleiben das Herzstück, werden aufgewertet und klar zoniert – mit Gemeinschaftsgärten und Treffpunkten für Jung und Alt. Eine Umstrukturierung der Grundrisse schafft alternative Wohnformen – von Clusterwohnungen bis zu Joker-Zimmern. Dies fördert soziale Mischung und reagiert auf unterschiedlichen Lebensphasen.
Laubengänge und Mobilitätskonzept
Ein zentrales Element sind neue Erschliessungen über Laubengänge im ersten Obergeschoss: Viele Wohnungen werden so mit wenigen Aufzügen barrierefrei erreichbar, und es entstehen überdachte Übergänge. Die zahlreichen Stellplätze vor den Häusern werden durch ein zentrales Parkhaus ersetzt. Zusätzlich soll ein nachhaltiges Mobilitätskonzept mit Einbahnführung, sicheren Wege, Rad- und Kinderwagenabstellräume sowie Carsharing-Flächen den Autodruck reduzieren und den Raum zurück an den Menschen geben.
Mein Leitmotiv ‹Preserve what connects – design what is missing› steht für eine Baukultur, die Geschichte nicht tilgt, sondern weiterschreibt – ökologisch, sozial und kulturell nachhaltig.
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* Sabrina Catharine Münzer studiert berufsbegleitend im 5. Semester des Masterstudiengangs Architektur an der Universität Liechtenstein. Diese Arbeit ist Teil der Vorstudie ihrer Masterthesis.













