Das Symposium ‹Architekturpädagogiken› diskutierte die Bedeutung der Schweizer Architekturschulen für die Gesellschaft. Fotos: Markus Käch/HSLU

Wo bleibt die Haltung?

Das Symposium ‹Architekturpädagogiken› diskutierte die Bedeutung der Schweizer Architekturschulen für die Gesellschaft. Ein grosses Thema und ein ernüchterndes Ergebnis, schreibt trans-Redaktorin Dorothee Hahn in ihrem Bericht für ‹Hochparterre Campus›.




Ein Symposium mit der Fragestellung, welche Bedeutung Architekturschulen für die Gesellschaft haben, ist ein ambitioniertes Unterfangen. Sich als Lehrender oder Studierender einer Architekturschule dieser Frage zu stellen geht schliesslich an die eigene Substanz: Ist das, womit ich einen Grossteil meiner Zeit verbringe, überhaupt gesellschaftlich relevant? An der Hochschule Luzern hat man das trotzdem gewagt: Am 10. November fand das Symposium ‹Architekturpädagogiken› mit genau diesem Thema statt – und einem ernüchternden Ergebnis.

Die Liste der Teilnehmer ist lang, der Grossteil unterrichtet an Schweizer Architekturschulen. Als ‹trans›-Redaktion sind wir die einzigen geladenen Studierenden an der Veranstaltung. Nach einer kurzen Einführung startet eine Reihe sechsminütiger Keynotes zur Frage nach der Bedeutung von Architektur für die Gesellschaft. «Es braucht Krisen, damit sich etwas ändert», proklamiert der Urbanist Stefan Kurath. Einige Zuhörer drehen sich auf den schwarzen Bürostühlen mit Rollen hin und her. Ein Projekt des Hochbauamt Zürichs zeigt die Umgestaltung einer Strasse in einen Marktplatz. Nickende Köpfe im Publikum. «Das heisst das Architektur nicht eine selbstbezogene Disziplin ist sondern sich der Realität stellen muss», sagt Marc Derron von der Anlagestiftung Pensimo. Das Plädoyer «sich der Realität stellen», das an Wahlsprüche von Politikern erinnert, wird im Laufe des Tages auch noch von anderern Teilnehmern aufgegriffen werden. Von was für welchen Realitäten gesprochen wird, und was «sich stellen» in dem jeweiligen Kontext genau bedeutet, bleibt jetzt wie später im Dunkeln. Dann geht es über zu den Tischgesprächen. Allgemeine Themenkomplexe wie Architektur, Klima & Soziologie sollen dort in 90 Minuten besprochen werden. Doch die Diskussionen scheinen betäubt von der Grösse ihres Gegenstandes.

Am Nachmittag geht es mit Kurzvorträgen weiter. Dann sind wir an der Reihe. «Welche Rollen haben Architekturschulen für die Gesellschaft?» War die zentrale Frage unserer Keynote, um die wir im Vorfeld gebeten wurden. «Wir müssen anfangen uns selbst als Teil der Gesellschaft zu sehen. Das bedeutet auch zu hinterfragen, welchen Einfluss die Räume auf uns haben, in denen wir studieren.» Wir zeigen ein Foto von der sterilen HIL–Eingangshalle auf dem Campus Hönggerberg. Gelächter im Publikum. Unsere plakative Keynote beginnt ihre Wirkung zu entfalten. Wir werden von einigen Teilnehmern auf unsere rotfarbenen Oberteile angesprochen. Georg Vrachliotis, der nach uns spricht, leitet seine Keynote mit dem zwinkernden Hinweis ein, dass sich ja auch demnächst die  68’er Revolution jähre. Die Beiträge rauschen an einem vorbei. Irgendwann gibt es nochmal einen kleinen Höhepunkt, als viele sich gegenseitig zustimmen, man solle doch am besten eine grosse Vielfalt an Entwurfskursen an Architekturschulen anbieten, so könne sich der Student sein Profil selber zusammenwählen. Doch wo bleibt da die Haltung?

Irgendwann ist das Symposium einfach zu Ende. Haben wir irgendwas verpasst? Gab es vielleicht einen Raum, von dem wir nichts wussten? Wo war die Diskussion? Langsam dämmert es uns: Wir haben heute nicht diskutiert.  Wir haben zwar unsere jeweiligen Standpunkte genannt, sie aber nicht gegenseitig überprüft. Wir haben zugestimmt, aber nicht in Frage gestellt. Wir haben genickt, und nicht den Kopf geschüttelt. Haben wir in der Schweiz verlernt zu streiten? Ohne Reibung entsteht keine Energie, ohne Energie gibt es keine Veränderung. Die Welt jedoch ändert sich, die Anforderungen an Architekturschulen damit auch. Sich den Problematiken unserer Zeit zu stellen, für die die Schweiz genauso Verantwortung übernehmen muss, wie jeder Teil dieses Planeten, ist wichtig. Wir müssen also streiten. Vielleicht brauchen die Schweizer Architekturschulen tatsächlich eine Krise, damit sie aus ihrem Inseldasein herauskommen und beginnen, darüber zu diskutieren, warum es sie eigentlich gibt. Und vielleicht sind 50 Jahre nach 1968 sogar ein hilfreicher Anlass.

*  Dorothee Hahn ist Redaktorin der Zeitschrift trans, dem Fachmagazin des Architekturdepartements der ETH Zürich, das seit 1997 von einer unabhängigen, studentischen Redaktion geführt wird.

close

Kommentare

Dorothee Hahn, Co-redakteur trans Magazin 12.12.2017 10:14
Corrigendum: Die Aussage im Text, dass wir die einzigen geladenen Studierenden waren, ist nicht korrekt. Es sind weitere Einladungen verschickt worden, allerdings wurden diese nicht wahrgenommen...
daniel 06.12.2017 18:34
ohne energie entsteht keine reibung
Werner K. Rüegger 05.12.2017 13:34
Es geht uns allen einfach viel zu gut in diesem Land. Es gibt (im Vergleich zu den 68ern) einfach keine wirklichen Probleme. Diskussionen sind auch nur möglich wenn man einander zuhört und nicht schon während der Präsentation an den Apéro denkt. UND was wird unter dem Begriff Architekturstudium verstanden? Die Befähigung mit den immergleichen Argumenten seine Ideen zu verteidigen ODER an der Frage nach dem Sinn des Ganzen zu scheitern?
Matthias 05.12.2017 12:06
endlich hat es mal jemand verstanden Überleben (in) der Lee(h)re
curia 05.12.2017 11:22
"Überleben in der Leere" Von den grossen Daseinsmächten, Staat,Religion oder Kultur-,scheint mir die Kultur die bedeutsamste. Um ihretwillen sollte alles geschehen. Sie ist der oberste Zweck, und wo sie eine Unterordnung erfährt des Staates oder der Wirtschaft, da sollten wir uns empören! Wurde der Staat einmal vom liberale Staatsschiff und dessen Funktionären gekapert dann ist es nicht mehr all zu weit. Giorgio Agamben findet dazu noch einen besseren Ausdruck, "Ohnmächtig überlässt sich der säkularisierte Staat den ökonomischen Mächten, während die metaphysische Idee der Gerechtigkeit heimatlos durch die aufgeklärte Moderne geistert." Wenn also Studenten nur noch zu Werkzeugen ausgebildet werden, des Staates oder der Wirtschaft, dann ist es mit der Kultur nicht mehr all zu weit.
Kommentar schreiben