Verschiedene Wege führen zum Ziel und nicht eine neue Architektur, sondern viele neue Ansätze bringen uns weiter. Fotos: NASA Earth Observatory

Welcome to the Future

Wie wird klimaneutrales Bauen vermittelt? Die Arbeitsgruppe Nachhaltigkeit des Departements Architektur an der ETH Zürich hat die Frage mit den Dozierenden Silke Langenberg und Oliver Streiff erörtert.

Aus einer Debatte zu Emissionen des Departments Architektur der ETH Zürich entstand die Arbeitsgruppe für Nachhaltigkeit, kurz AGN. Projekte wie ‹La Boite›, das die Zirkularität von Modellbaumaterialien ermöglicht, oder Diskussionsrunden rund um soziale und klimagerechte Architektur haben gezeigt, dass das Interesse gross ist. Viele Studierende sind sich der Klimakrise bewusst - und sie wollen lernen, wie man ihr gegenübertreten kann.

Konstruktionserbe und klimaneutrale Zukunft
Auf der Suche nach Lösungen zum klimaneutralen Bauen ist das Departement schon weit. An der Implementierung dieser mangelt es hingegen noch. Es ist keine leichte Aufgabe, das Netto-Null Ziel bis 2030 zu erreichen. Doch es ist möglich und notwendig. Der Klimastreik möchte dieser Herausforderung mit dem Klimaaktionsplan begegnen. Die darin formulierten Massnahmen umfassen alle Sektoren und sind als Wegweiser auf dem Pfad in eine klimaneutrale Zukunft zu verstehen. Über diese Zukunft und den Weg dahin wollen wir mit Silke Langenberg sprechen, Professorin für Konstruktionserbe und Denkmalpflege an der ETH Zürich.

Auf dem Weg zu ihrem Lehrstuhl begegnen wir ihr bereits im Gang. Auf ihrem Pullover steht in Grossbuchstaben: WELCOME TO THE FUTURE. Schon Mal sympathisch. Ein paar Minuten später sitzen wir mit Kaffee ausgerüstet, in ihrem gläsernen Meetingraum. Die Stimmung ist locker, wir sind alle etwas müde, aber gut gelaunt. Bereits unsere erste Frage formuliert Langenberg um: es solle nicht «Was ist nachhaltige Architektur?» sondern «Was ist Nachhaltigkeit in der Architektur?» heissen. In ihrer Lehre und Forschung widmet sich Langenberg unter anderem der Suffizienz: Es wird genutzt was da ist. Und das für so lange wie möglich.  

Abrissprojekte vs. Reparaturkurs
«Die Denkmalpflege ist häufig die letzte Instanz, die ein Gebäude vor dem Abriss bewahren kann. Ihrem Erhaltungsauftrag entsprechend ist die Denkmalpflege per se schon nachhaltig», sagt Silke Langenberg. Der Umgang mit dem Bestand wird am D-ARCH zunehmend diskutiert. Ausserhalb des Hochschulkontexts scheint dies jedoch noch weniger der Fall zu sein, wie grosse Abrissprojekte in Zürich – zum Beispiel beim Brunaupark oder beim Wydäckerring – deutlich zeigen. Abreissen und neu bauen ist heute meist günstiger als mit dem Bestand zu arbeiten und dessen Wert für die Zukunft wird nicht erkannt. «Nur weil etwas nicht geschützt ist, heisst das nicht, dass man es abbrechen muss», betont Silke Langenberg. «Im Gegenteil - wenn ein Objekt nicht geschützt ist, kann man eigentlich sehr gut damit arbeiten und bei Bedarf auch stärker eingreifen.»

Schon in den 1990ern wurde umfangreich publiziert, was für Abfallmengen die Bauwirtschaft produziert. Aber es habe sich bis heute noch immer zu wenig verändert, meint Langenberg. Deshalb drehe sich bei ihrer Arbeit viel um die Vermittlung von Nachhaltigkeit. So beispielsweise auch in ihrem Reparaturkurs oder in einem neuen Forschungsprojekt mit dem Game Technology Center der ETH Zürich.

‹Assembling› und ‹Disassembling›
Als Gastkritikerin in Studios stellt sie andere Fragen: «Wie lange überleben die Projekte und wie viel Müll produzieren sie? Wie ist die CO2-Bilanz eines Projektes? Was ist, wenn etwas jetzt kaputt geht?» Die Massnahme 3.7 des Klimaktionsplans fordert unter anderem die Förderung eines Materialkreislaufes. Um diesen zu ermöglichen, müssten Lehrbeauftragte den Studierenden mitgeben, dass ein Gebäude anders konstruiert wird, wenn bereits in der Planung an Reparierbarkeit und Rückbau gedacht wird, meint Langenberg. Die Baukonstruktion sollte nicht nur das ‹Assembling›, sondern auch das ‹Disassembling› umfassen. Dafür brauche es nicht nur die Vermittler:innen dieser Techniken sondern auch das Wissen über bewährte Konstruktionen. Das möchten Silke Langenberg und ihr Team in einem neuen Forschungsprojekt zusammentragen und dokumentieren. Heute sei es häufig so, dass die Informationen bereits verloren sind, wenn der Reparaturfall eintritt. Nicht nur für potenzielle Denkmäler gelte es, das Wissen strategisch zu sammeln, um deren Langlebigkeit und Reparierbarkeit zu garantieren. Eine Lösung dafür sieht Langenberg in einem digitalen Konstruktionsarchiv.

Dies bekräftigt auch Oliver Streiff, den wir am nächsten Tag online zum Gespräch treffen. Er lehrt und forscht an der ETH und ZHAW zu öffentlichem Recht, mit Schwerpunkt Raumplanungs- und Baurecht sowie Denkmalrecht. Auch ihn fasziniert der Gedanke, eine Sammlung von nachhaltigen Praktiken zu erstellen und damit die Idee historischer Musterbücher in die Gegenwart zu übersetzen. Es sei einer der eher unscheinbaren Wege. Dafür aber möglicherweise ein wirkungsvoller, der auch rechtlich verankert werden könnte. Und genau dort sieht Oliver Streiff viel Potential, denn der Strauss der Möglichkeiten sei bunt. So wird auch im Klimaaktionsplan als Massnahme 3.4 formuliert, dass bestehende Gesetze und Bauvorschriften an Netto Null anzupassen sind. «Oft fokussieren wir uns auf die grossen Hebel um grosse Probleme zu lösen. Dabei übersehen wir, dass viele kleine Schritte zusammen auch einen Grossen ergeben», sagt Streiff.

Interdisziplinarität und Kommunikation
Damit diese Vielzahl von Ansätzen verfolgt und weiterentwickelt werden kann, braucht es Expert:innen von verschiedensten Bereichen. Eine interdisziplinäre Herangehensweise ist essentiell, um die Herausforderung der Klimakrise im Gebäudesektor bewältigen. Dabei bedarf es Kooperationen sowohl innerhalb der Hochschulen, als auch über diese hinaus. Oliver Streiff plädiert dafür, die Interdisziplinarität innerhalb von Ausbildungsstätten zu stärken. Ein neues Forum könnte die Kommunikation und Zusammenarbeit zwischen den Professor:innen fördern. «Es braucht nicht eine weitere Professur für Nachhaltiges Bauen», meint Silke Langenberg. «Nachhaltiges Bauen muss immer das Thema sein. Bei jedem neuen Entwurf. Und wenn es das nicht ist, dann stimmt etwas grundsätzlich nicht.»

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