Im Laden Velo67, der «Renn- und Stahlgarage» in Zürich. Foto: Smilla Diener

Was es zu erhalten gilt

Die Industriedesignstudentin Smilla Diener besuchte noch vor der Coronakrise ihren Nachbarn und Velomechaniker Luc Eichmann. Dabei sprachen sie über das Reparieren und seinen Stellenwert in der Gesellschaft.

«Du hast dir da ein schwieriges Thema ausgewählt, denn wir sind alle Teil davon.» Der Velomechaniker Luc hantiert gerade am Hinterrad eines blauen Renners herum und fährt fort: «Und wirklich etwas ausrichten kannst du ja nicht einfach so.» Ich sitze etwas zerknirscht auf einem Hocker im Ladengeschäft Velo67. Letzte Woche war ich hier, um mein Velo flicken zu lassen, nun will ich mich über das Flicken unterhalten. Ich bin Industriedesignstudentin, und ich repariere gerne Dinge. Die meisten meiner Kleider lagen schon unter meiner Nähmaschine; Möbel, Küchengeräte und Sportutensilien repariere, kitte oder funktioniere ich um. Reparieren ist eine meiner Lieblingsbeschäftigungen. Den Objekten, ohne die ich nicht auskomme, schenke ich gerne die nötige Aufmerksamkeit, damit sie mir lange dienen. Ich verstehe die Zeit, die ich ins Flicken investiere als Zeit, die ich mir selber gebe.

Auch als Studentin bin ich mit dem Reparieren konfrontiert. In unserem Curriculum fallen häufig Begriffe wie Reparierbarkeit, Modularität und Materialökologie. «Nachhaltigkeit» ist omnipräsent, mischt sich täglich in unsere Gespräche rund um Designtes und zu Designendes. Ob ein Produkt zusammengeschraubt oder als ein Teil gegossen wird, entscheidet darüber wie einfach man es flicken lassen kann. Ökologischeres Handeln ist schlicht eine Frage der Zukunftsfähigkeit des Designs. Wie das Realität wird, ist noch unklar.

Teure Arbeit, billiges Gerät
Über mir hängen Pneus, Rahmen, Velokäppli. Velos stehen aufgereiht vor dem Shop. Luc und ein Kollege wechseln sich an der Station ab, spannen ein Velo nach dem anderen ein und machen sich an die Arbeit. Auf meine frustrierte Frage, weshalb selbst Velos immer schlechter zu reparieren sind, rüttelt er an der Kette, die er neu einspannt, und meint entschieden: «Weil Arbeitsstunden teurer sind als neue Teile. Ein kaputtes Rad wird nicht mehr geflickt, das wird ersetzt.» Mit Werkzeug und Lumpen in der Hand stützt er sich auf den Tresen. «Kaum jemand ist gewillt, extra zu zahlen. Man sieht auch gar nicht mehr, wie viel Arbeit im Flicken steckt, weil man es sich nicht mehr gewöhnt ist, diese Dinge selber zu tun.» Unsere Generation interessiert sich zwar für das Reparieren, aber davon ist kaum etwas spürbar hier im Shop. Die elektrischen Schaltungen und Carbonrahmen von neuen Modellen werden gleich ersetzt statt geflickt. Luc meint, dass ich mir das hier alles etwas zu rosig vorstelle. Ich erwidere, dass ich optimistisch bleiben möchte.

Es wird still im Shop. Schliesslich meint Luc, dass er auch träume: Vom ‘Unabhängigsein’, vom Leben in einer kleinen Hütte mit Garten. Mit den richtigen Werkzeugen und reparierbaren Alltagsdingen. «Da brauchst du keine viertausend Franken im Monat. Im Zürcher Oberland, da könntest du dich selbst versorgen, du brauchst nur Platz. Hat ja auch so funktioniert in der Schweiz, ist noch nicht lange her.» Ich nicke. Aber die Welt entwickle sich, und das habe seine Vorteile, meint er, und zerrt mich aus meinen nostalgischen Vorstellungen zurück. Neue Technologien ermöglichen einen energieeffizienteren Verbrauch. Gut, heizen nicht mehr alle mit Brennholz. Genauso macht es Sinn, dass sich das Velo weiterentwickelt und so bestenfalls mehr Menschen zum Velofahren animiert.

Beziehungen gestalten
Und doch hadern wir mit dem Verlust des Handwerks. Obwohl das Internet unbegrenzte Möglichkeiten bietet, uns fortzubilden, haben wir uns als Gesellschaft spezialisiert wie nie zuvor. «DIY» ist mehr Hobby als unverzichtbare Beziehungspflege. Luc forscht nach, was ich als angehende Industriedesignerin überhaupt tue. Ich möchte mich verteidigen, entscheide mich für eine diplomatische Antwort. Dabei versuche ich zu beschreiben, wie wichtig die Gestaltung der Schnittflächen zwischen Mensch und Technologie ist und verirre mich in einem Beispiel. «Das kann ja mega gefährlich sein, diese zu manipulieren», hält er entgegen. Ich stimme ihm zu. Luc macht uns einen Kaffee mit der Kolbenmaschine und dreht sich eine Zigarette, während dem er überlegt. Das ginge schon verloren, das Selbermachen, stellt er fest. Wir setzen uns auf die Stufen vor dem Eingang.

Ich bin unsicher über meine Rolle als Industriedesignstudentin. Deshalb ist mir dieses Gespräch so wichtig. Entwerfe ich ein Objekt, gestalte ich die Beziehungen, die es mit dem Menschen eingeht. Dieser Zusammenhang ist entscheidend, solange wir abhängig von den Dingen um uns herum sind. Und ich teile mit Luc die Sorge, dass wir heutzutage keinen Bezug mehr zum Aufwand haben, der im Entwurf und in der Fertigung von Objekten steckt. Also muss es eine, wenn nicht die Aufgabe des Designs werden, diese Verbindung wiederherzustellen. Aus der Liebe zu all den Dingen, die uns mobilisieren und unterstützen, den Dingen, die es uns wert sind, gepflegt und geflickt zu werden.

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