Scewo kommt mit Treppen mit Neigungswinkel zwischen 17 und 34 Grad zurecht. Fotos: Scewo

Vom Medizinprodukt zur Mobilitätslösung

Im Interview auf erzählt der Industrial Design-Student Thomas Gemperle, wie aus einem Forschungsprojekt für einen treppensteigenden Rollstuhl ein Unternehmen wird.


Was vor zwei Jahren mit einem Forschungsprojekt begann, ist heute auf dem Weg ein Unternehmen zu werden: Die Rede ist von Scewo, einem treppensteigenden Rollstuhl. Kreativer Kopf des Scewo-Teams ist Thomas Gemperle, der an der Zürcher Hochschule der Künste Industrial Design studiert. Im Interview erzählt er, welche Herausforderungen es bis zur Markteinführung von Scewo Ende 2018 noch zu meistern gilt.

Valérie Hug: Wie hat die Scewo-Story begonnen?
Thomas Gemperle: Angefangen hat alles vor etwa zwei Jahren im Rahmen eines gemeinsamen Fokusprojektes der Fachrichtung Industrial Design der ZHdK und des Departements Maschinenbau und Verfahrenstechnik der ETH Zürich. Zunächst war das Ziel, einen treppensteigenden Roboter zu entwickeln. Erst im Laufe des Projekts kam die Idee auf, einen Rollstuhl zu machen, der fähig ist, Treppen hinauf- und hinabzusteigen.

Solche Rollstühle gibt es bereits. Warum sticht euer Rollstuhl heraus?

Neu ist sicherlich unsere Kombination des Balancierens auf zwei Rädern und der Raupe zum Treppensteigen. Dadurch ist der Scewo flexibler, agiler und kompakter als gängige elektrische Rollstühle mit vier Rädern. Hinzu kommt, dass unser Rollstuhl via eigens entwickelter Steuerung über einen Joystick und eine Handyapp bedient werden kann.

Welche Probleme hat der aktuelle Prototyp und welche Lösungsansätze verfolgt ihr?
Momentan haben wir zwei Hauptprobleme: Einerseits besteht der Scewo auf konstruktiver Ebene noch aus zu vielen Teilen; er ist zu schwer und zu wenig robust. Auf der anderen Seite müssen wir die Software überarbeiten, Fehler beheben, Übergänge automatisieren und die Funktionen verfeinern. Diverse Studierende versuchen momentan, diese Probleme im Rahmen ihrer Master- und Bachelorarbeiten zu lösen.

Was sind deine Rolle und Aufgaben bei Scewo?
Neben Bernhard Winter und Pascal Buholzer bin ich der dritte Firmengründer und der Leiter des Design-Teams. Zu meinen Aufgaben gehören die komplette Entwicklung des Designs – von der Zeichnung bis zur Konstruktion – aber auch die Marketingstrategie und das Pflegen von Kontakten zu Industriepartnern. Meine grösste Herausforderung wird das Design des Sitzelements darstellen: Deshalb sind wir intensiv im Gespräch mit Spezialisten und Patienten des Schweizer Paraplegiker-Zentrums.

Auf was gibst du besonders Acht beim Entwickeln des Designs?
Auf die Formsprache; sie soll dynamisch, modern und konsequent sein. Der Rollstuhl soll nicht länger nur ein Medizinprodukt sein, sondern zur attraktiven Mobilitätslösung werden. Es ist klar, dass wir in Zukunft Kompromisse zugunsten der Ergonomie und Funktionalität eingehen müssen. Ein gutes Beispiel ist das Sitzelement: Die Anforderungen der Verstellbarkeit lassen es nur schwer zu, ein Element aus einem Guss zu designen. Es ist jedoch nicht unmöglich.

Ursprünglich sollte Scewo ein Forschungsprojekt bleiben. Warum plant ihr jetzt doch eine Markteinführung?
Bereits unser erster Prototyp hat eingeschlagen wie eine Bombe. So haben wir uns entschieden, am Cybathlon-Wettkampf teilzunehmen und dafür einen zweiten Prototypen zu entwickeln. Auch hier war das positive Feedback wieder so gross – erste Kaufinteressenten haben sich gemeldet – dass es für uns glasklar war, dass wir am Projekt dranbleiben müssen.

Wie sieht es mit den Rückmeldungen von Rollstuhlfahrern aus?
Wir haben von allen Seiten positives Feedback erhalten. Am schönsten sind die Rückmeldungen jener Personen, die einen manuellen Rollstuhl bedienen und finden, dass unser Scewo das einzige elektrische Gefährt wäre, das sie kaufen würden.

Wie geht es jetzt weiter mit Scewo?

Im Juni schliesse ich mein Bachelor-Studium an der ZHdK ab. Ab dann investiere ich meine Zeit zu hundert Prozent in Scewo. Meine beiden Teamkollegen folgen im September, im Oktober wollen wir dann offiziell unser gleichnamiges Start-up gründen. Das grösste Problem ist momentan die Finanzierung. Deshalb haben wir unser Projekt auf der Crowdfunding-Plattform Patreon angemeldet, wo Personen uns mit monatlichen Beiträgen unterstützen können. Das ermöglicht uns, die benötigte Hardware – also Metallteile, Motoren und Designmaterialien – für unsere Prototypen zu erwerben. Die zweite grosse Schwierigkeit ist, ein gutes Team aufzubauen. Unsere Türen stehen allen offen, die motiviert sind und Interesse am Projekt haben.

close

Kommentare

Kommentar schreiben